Stuttgart/Hamburg. Zuvor verschmähter Doppeltorschütze Werner und Löw freuen sich über Seelenbalsam. Mario Gomez witzelt über die Sprechchöre.
Dank einer 6:0 (4:0)-Gala gegen Norwegen im drittletzten Gruppenspiel ist der deutschen Fußball-Nationalmannschaft die direkte Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland kaum mehr zu nehmen.
Einzelkritik: Werner gefeiert, Draxler wie Müller
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Die norwegischen Medien gingen mit ihrer Nationalmannschaft hart ins Gericht. "Es war, als hätte ein alter norwegischer Gebrauchtwagen versucht, mit einem Formel-1-Monster aus dem Mercedes-Benz Museum mitzuhalten", schrieb "Dagsavisen". Die norwegischen Pressestimmen im Überblick:
Aftenposten: "Norwegen gedemütigt. Es war einfach nur traurig. Worte für diese Erniedrigung zu suchen ist sinnlos."
Dagsavisen: "Es war, als hätte ein alter norwegischer Gebrauchtwagen versucht, mit einem Formel-1-Monster aus dem Mercedes-Benz-Museum mitzuhalten. Das hätte zweistellig ausgehen können. Es war ein seltenes Stück Fußballtheater. Wenn die Deutschen Platz und Raum bekommen, das zu tun, was sie wollen, kann so etwas geschehen. Das ist nicht, wo Lars Lagerbäck uns hinführen wollte. Was kann er tun? Leider nicht viel!"
Dagbladet: "Gedemütigt und ausgespielt nach allen Regeln der Kunst. Die beste Nationalmannschaft der Welt ließ Norwegen wie die schlechteste aussehen. Wir waren Zuschauer unseres eigenen Elends und nicht einmal in der Nähe von irgendwas. Dafür gibt es nur ein Wort: peinlich! Die Deutschen nahmen erst nach dem 5:0 den Fuß vom Gas und wurden menschlich. Es war eine schreckliche Vorstellung."
Verdens Gang: "Deutschland demütigt Norwegen. Das war nur noch peinlich! Norwegen hing von der ersten Minute an in den Seilen. Die Spieler wurden als Kegel missbraucht, sie mussten sich vorkommen als würden sie Schatten jagen, ihnen wurde vom technischen, flinken und präzisen deutschen Fußball schwindlig. Lars Lagerbäck entgeht der Guillotine nur, weil es erst sein fünftes Spiel war."
Draxler: "Habe nicht an Wechsel gedacht"
Julian Draxler will bei Paris St. Germain den Kampf gegen die Mega-Transfers annehmen und stellt sich der Konkurrenz mit dem Weltstar Neymar. "Ich habe gar nicht an einen Wechsel gedacht. Ich fühle mich in Paris sehr, sehr wohl, das wird auch so bleiben. Wir haben zwei Granaten verpflichtet, aber das gehört bei den großen Vereinen dazu", sagte der Mittelfeldspieler nach dem Spiel bei RTL.
Er habe von PSG-Trainer Unai Emery "das Signal erhalten, dass er weiter mit mir plant", berichtete der Offensivspieler. "Ich habe in dieser Mannschaft keinen Sonderstatus, sondern muss mir meine Einsätze erkämpfen. Und das werde ich tun."
Dabei konkurriert der 23-Jährige mit dem 222-Millionen-Euro-Mann Neymar, "einem der besten Spieler der Welt". Der Brasilianer war für diese Rekordablöse vom FC Barcelona gekommen. Zudem verpflichtete PSG Kylian Mbappé vom AS Monaco, für Draxler "eines der weltgrößten Talente. Ich nehme die Herausforderung an, mache mir keinen Kopf und gebe mein Bestes. Wir werden viel Spaß haben und Spektakel sehen."
Bisher war Draxler in dieser Saison auch wegen seines Trainingsrückstands nach dem Confed Cup in Russland im Sommer kaum zum Einsatz gekommen.
"Entschuldigung, Norwegen!"
Der norwegische Fußball ist in eine Art Schockstarre gefallen. "Das war beschämend", sagte Torhüter Rune Jarstein von Hertha BSC, "ich habe mich lange nicht mehr so klein gefühlt. Entschuldigung, Norwegen!"
Havard Nordtveit von 1899 Hoffenheim schimpfte: "Wir waren nicht gut genug, 6:0 ist einfach zu viel, auch wenn Deutschland Weltmeister ist. Das darf nicht passieren. Wir hatten ein bisschen zu viel Angst." Für Norwegen war es die höchste Niederlage in einem Qualifikationsspiel seit dem 0:9 gegen die Niederlande um Johan Cruyff 1972.
Coach Lars Lagerbäck sprach nach der schlimmsten Pleite seiner langen Laufbahn als Nationaltrainer (bisher 0:3 mit Schweden gegen Deutschland) von einer "Lehrstunde" für das Landslaget: "Das tut weh, wir können es viel besser."
Phasenweise 31 Prozent Marktanteil für RTL
Der Kölner Sender RTL hat mit der Live-Übertragung eine ordentliche Quote erzielt. Im Schnitt sahen über acht Millionen Zuschauer den 6:0-Kantersieg der Löw-Elf. In der ersten Hälfte verzeichnete RTL 8,18 Millionen Fans (Marktanteil: 25,6 Prozent), in den zweiten 45 Minuten schauten 8,79 Millionen (MA: 30,8) zu. Die Nachberichterstattung des Spiels mit der Zusammenfassung von weiteren Ausscheidungsspielen verfolgten anschließend noch 3,43 Millionen Zuschauer (MA: 21,3).
Gomez witzelt über Sprechchöre
Der Feststellung, sein Name und die der weiteren ehemaligen VfB-Profis Sami Khedira und Werner seien vom Stuttgarter Publikum besonders laut gerufen worden, begegnete Mario Gomez mit einem Spruch. "Sami hat sie ja gekauft alle“, sagte der Stürmer angesichts der Tatsache, dass Khedira zuvor 1200 Tickets gekauft hatte, um sie an soziale Einrichtungen zu verschenken.
Werner erleichtert, Löw schwärmt
Timo Werner war einfach nur glücklich. Zutiefst erleichtert reagierte der Stürmer von RB Leipzig auf die Ovationen der deutschen Fans in seiner alten Heimat Stuttgart. "Damit haben viele nicht gerechnet, dass es so ausgeht. Danke an die Fans, die mich wunderbar unterstützt haben", sagte der Doppeltorschütze: "Da spielt man gleich doppelt so gerne."
Zuletzt war der 21 Jahre alte Stürmer in allen Stadien ausgepfiffen und teils übel beschimpft worden - auch während des 2:1 gegen Tschechien am Freitag in Prag. Davon war in Stuttgart keine Spur. "Das bedeutet mir so viel", sagte er, "ich wurde wie früher begrüßt."
Bundestrainer Joachim Löw schwärmte fast euphorisch von der neuen Nummer eins in der deutschen Stürmer-Hierarchie. "Timo macht das, was dem Gegner extrem weh tut und extrem schwer zu verteidigen ist, weil er diesen brutalen Zug zum Tor hat und diese Schnelligkeit", betonte Löw, "er läuft ständig quer und tief. Ich hoffe, dass er das beibehält, diese Laufwege sind für den Gegner kaum zu stoppen."
Grindel froh über "fröhliche Atmosphäre"
DFB-Präsident Reinhard Grindel hat nach dem Spiel von einer "fröhlichen, stimmungsvollen Atmosphäre" in Stuttgart geschwärmt und seine Hoffnung auf ähnliche Festtage in der Zukunft bekräftigt. "Das war ein Fußballabend, wie man ihn sich wünscht. Es wäre schön, wenn wir das ab jetzt auch in der Bundesliga und den weiteren Spielen der Nationalmannschaft im In- und Ausland erleben", sagte Grindel.
Besonders beeindruckt war er vom "feinen Gespür, das das Publikum im Umgang mit Werner hatte. Er hat es mit zwei Toren zurückgezahlt", sagte Grindel nach den auch für ihn schwierigen Tagen.
Eine Zelle von etwa 200 Personen hatte in der Eden Aréna von Prag während des WM-Qualifikationsspiels gegen Tschechien (2:1) am Freitag beide Nationalhymnen und die Schweigeminute gestört. Es waren "Sieg Heil"-Rufe zu hören. Bundestrainer Joachim Löw und seine Mannschaft hatten sich klar distanziert.
Am Montagabend sagte Löw: "Wir haben hier in Stuttgart erlebt, wie schön Fußball sein kann, wie viel Spaß es machen kann. Es war eine tolle Stimmung von Beginn weg, ein sehr, sehr tolles Publikum, das jeden einzelnen Spieler unserer Mannschaft unterstützt hat. Wir haben unseren Teil mit unserem Spiel beigetragen."
Gomez: "Timo ist so klar in der Birne"
Mario Gomez prophezeit seinem neuen Angriffskonkurrenten Timo Werner eine große Zukunft in der deutschen Nationalmannschaft und im europäischen Fußball. „Er wird die nächsten zehn Jahre in Deutschland im Sturm dominieren. Wahrscheinlich auch in Europa, wenn er einfach so weiter macht wie bisher. Und da habe ich keine Bedenken. Er ist so klar in der Birne und macht das grandios“, sagte der 32 Jahre alte Angreifer des VfL Wolfsburg nach dem 6:0 gegen Norwegen über den elf Jahre jüngeren Stürmer von RB Leipzig.
Der ehemalige Stuttgarter Werner erzielte bei seinem achten Einsatz in der Nationalelf seine Länderspieltore fünf und sechs. Gomez, der mit seinem 31. Treffer das Tor zum 6:0-Endstand erzielte, begrüßt die rasante Entwicklung von Werner. „Wir brauchen einfach bei der WM einen Timo Werner in dieser Form. Er wird sogar noch besser, er wird dann noch ein Jahr mehr Erfahrung haben, wenn wir Weltmeister werden wollen“, sagte Gomez. Er habe sich auch sehr für Werner gefreut, dass dieser vom Stuttgarter Publikum mit Sprechchören bedacht worden sei.