Hamburg. Diskussion um Zukunft des Tennisturniers hält an. Verband will Lizenz erst im September vergeben. Veranstalter braucht Klarheit
Detlef Hammer ließ den Blick aus dem Spielerrestaurant über den Centre-Court am Rothenbaum streifen, wo am Sonnabendnachmittag mehr als 7000 erwartungsfrohe Tennisfans das erste deutsche Halbfinale seit 1992 sehen wollten, und er sah zufrieden aus in diesem Moment. „Genau dafür machen wir das alles“, sagte der Geschäftsführer der Agentur HSE, die 2009 vom Lizenzinhaber Deutscher Tennis-Bund (DTB) bis 2018 das Recht zur Ausrichtung des wichtigsten deutschen Herrenturniers überschrieben bekommen hatte. Die Frage allerdings, die über der Turnierwoche geschwebt hatte wie eine Gewitterwolke, die sich nicht abregnen kann, wurde nicht beantwortet: Wie lange noch dürfen Hammer und Turnierdirektor Michael Stich den Hamburger Sportfans Sandplatztennis der Weltklasse anbieten?
Am Sonntagmittag saß Stich vor den Medienvertretern auf dem Podium und verbreitete eine neue Botschaft. Man wolle in den kommenden Wochen nicht mehr zu wie auch immer gearteten Fragen die Zukunft des Turniers betreffend Stellung nehmen, sagte der 48-Jährige. „Wir haben keinerlei Informationen über Vertragsinhalte oder Planungen. Alles, was wir wollen, ist, hier auch in den kommenden Jahren ein Tennisturnier auszurichten.“ Sie wollen doch nur spielen (lassen), und jeder konnte in diesem Moment spüren, wie schwer es dem Macher Stich fällt, in diesem Spiel nur eine Figur zu sein, die andere hin und her schieben.
Von 2019 an vergibt der DTB die Lizenz für das Traditionsturnier, das in diesem Jahr seine 111. Auflage erlebte, neu. Seit Monaten ist bekannt, dass es neben der HSE mit Dietloff von Arnim, der lange Jahre in Düsseldorf den World Team Cup verantwortete, Michael Mronz, der sich in diversen Sportarten als Eventmanager profiliert hat, und Peter-Michael Reichel, Gründer des Damentennisturniers im österreichischen Linz, drei weitere Bewerber gibt. Stichs Hoffnung, der weltgrößte Tennisverband würde die Bilanzpressekonferenz am Sonntag dazu nutzen, die Verlängerung der Partnerschaft zu verkünden, hatte sich schon während des Wimbledon-Turniers Anfang Juli zerschlagen, als Dirk Hordorff, Vizepräsident Leistungssport im DTB, in einem Abendblatt-Interview bestätigte, frühestens im September eine Entscheidung fällen zu können.
Vor dem Bundesausschuss (BA), dem die Präsidenten der 18 Landesverbände angehören, hatten sich DTB-Präsident Ulrich Klaus und Verhandlungsführer Hordorff am Freitagabend im Dorint Hotel in Eppendorf zugeknöpft präsentiert. Alle vier Kandidaten, wurde den Landesfürsten, die ein Genehmigungsrecht haben und so die Entscheidung über die Neuvergabe der Lizenz beeinflussen können, ver-kündet, hätten tadellose Bewer-bungen abgegeben. Alle seien bereit, deutlich höhere Lizenzgebühren als die bislang geschätzt 150.000 Euro pro Jahr zu entrichten. „Wir müssen nun noch weitere Gespräche mit den Kandidaten und der Stadt führen“, sagte Hordorff. Bei der nächsten BA-Sitzung am 23. September wolle man eine Entscheidung präsentieren. Von einem Bonus, den Hordorff Stich aufgrund dessen Vergangenheit als Wimbledonsieger, der regionalen Verbundenheit zu Hamburg und der Vernetzung in der Stadt noch vor Wochen zugeschrieben hatte, sei nicht mehr die Rede gewesen. „Mein Eindruck war, dass alle vier Kandidaten gleich behandelt werden. Eine Präferenz war nicht auszumachen“, sagte BA-Sprecher Robert Hampe.
Aus Sicht des DTB ist dieses Vorgehen verständlich, schließlich hat der Verband nicht den Zeitdruck wie ein Ausrichter, der Sponsorenabschlüsse tätigen muss, bevor die Budgets Ende Herbst verplant sind. Und Dank dafür, das nach der Aberkennung des Mastersstatus 2008 darbende Turnier zu einem „Leuchtturm“ (Hordorff) gemacht zu haben, der für andere Veranstalter und den Verband wieder interessant ist, darf, da es um Geschäftemachen geht, leider niemand erwarten, auch Stich nicht. Umso wichtiger war es also, zwischen den Zeilen zu lesen in den vergangenen Tagen. Und da fiel auf, dass Hordorff den Ton gegenüber der Stadt deutlich verschärfte („Die Stadt muss sich an der Renovierung des Dachs beteiligen“) und auch Stichs Rolle öffentlich herunterspielte („Wegen ihm kauft auch niemand eine Karte“).
Menschen, die den gebürtigen Hamburger Hordorff kennen, beschreiben ihn als gewieften Verhandler und großen Taktiker. Das stimmt zweifelsohne. Im seit Monaten schwelenden Konflikt um die Zukunft der Anlage mit dem Club an der Alster, der das Erbbaurecht hält, das Stadion abreißen und durch eine deutlich kleinere Multifunktionsarena ersetzen will, landete Hordorff in den Verhandlungen mit den vier Lizenzkandidaten einen wichtigen Coup. So ließ er sich zusichern, dass nicht mehr der DTB, der vertraglich ein Nutzungsrecht und die Instandhaltungspflicht für das Stadion hat, die Kosten für eine Dachsanierung übernehmen muss, sondern der neue Veranstalter.
Zudem bat Hordorff den Bundesausschuss um Zustimmung, dass sich der DTB um eine Lizenz für ein Damenturnier bewerben dürfe. Diese wurde einstimmig erteilt. Kein Wunder, dass deshalb die Bewerbung Peter-Michael Reichels in ein neues Licht gerät. Der 64 Jahre alte Österreicher ist nicht nur Europa-Repräsentant der Frauentennisorganisation WTA, sondern seit Anfang 2016 auch Chairman für alle Turniere der Frauentour weltweit. Mit Reichel verbindet Hordorff eine jahrzehntelange Freundschaft. Auch wenn die Lizenz für ein Damenturnier von der für das Herrenevent losgelöst betrachtet werden muss, liegt nahe, dass dem DTB eine gemeinsame Vergabe an einen Vertrauten zumindest als gute Alternative erscheinen dürfte zu einer weiteren Kooperation mit dem als unbequem eingestuften Stich. Auch wenn beide Seiten betonen, dass sich das einst belastete Verhältnis professionalisiert habe. Und die von Hordorff angeprangerte fehlende Unterstützung der Stadt, die aktuell 100.000 Euro zuschießt, könnte das Argument sein, mit dem ein – noch immer unwahrscheinlicher – Abschied aus Hamburg begründet werden könnte.
Wechsel des Platzbelags spielt untergeordnete Rolle
Eine eher untergeordnete Rolle spielt dagegen der Wechsel des Platzbelags. Zwar fehlten dem Teilnehmerfeld in diesem Jahr wieder die für die öffentliche Wahrnehmung wichtigen Top-20-Spieler, dennoch kamen 62.300 Zuschauer an den neun Turniertagen und damit trotz des schlechten Wetters 4000 mehr als im Vorjahr, als Lokalmatador Alexander Zverev dabei war. Entscheidend ist deshalb nicht, auf welchem Untergrund gespielt wird, sondern dass die Herrentennisorganisation ATP dafür Sorge trägt, dass mehr Spieler zum Termin eine Woche nach Wimbledon aufschlagen. Insgesamt traten bei den drei Konkurrenzturnieren der abgelaufenen Woche (Hamburg, Gstaad, Atlanta) nur drei Top-20-Spieler an.
Eine offizielle Anfrage des DTB, den von einigen Spielern angeregten und von Hordorff ebenfalls propagierten Wechsel von Sand- auf Hartplatz zu vollziehen, hat es bislang noch nicht gegeben. „Grundsätzlich wäre das für 2018 möglich, aber so ein Wechsel ist nicht isoliert zu betrachten und bedarf komplexer Verhandlungen“, sagte ein ATP-Sprecher. Technisch wäre eine temporäre Umrüstung von Sand auf Hart problemlos möglich, günstig ist sie allerdings nicht. Experten der Firma Tespo, die seit 29 Jahren die Plätze pflegt, taxieren die Kosten auf 30.000 Euro pro Court.
Geld, das erwirtschaftet werden muss. Dafür jedoch braucht der neue Veranstalter bald Klarheit. Genau die wünscht sich Michael Stich. „Ob wir auf Gras, Sand, Hartplatz oder Kuhmist spielen, ist nicht relevant. Wir wollen einfach nur ein Turnier veranstalten“, sagte er am Sonntag. Wenn es doch so einfach wäre ...