Hamburg. Ein Besuch im Spielerrestaurant am Rothenbaum unterstreicht, wie wichtig das Thema Ernährung im Leistungssport geworden ist
Dass Michael Stich sich den Luxus einer eigenen Meinung leistet, ist bekannt. Dennoch überraschte der Direktor des Herrentennisturniers am Rothenbaum, als er anlässlich seines Legendenmatches gegen Tommy Haas zum Fitnessgeheimnis der älteren Spieler auf der Tour gefragt wurde, mit seiner Ansicht zur fortschreitenden Professionalisierung der Akteure. „Anstatt nach jedem Match zur Massage und zum Physiotherapeuten zu rennen, würde ich mir wünschen, dass sich die Jungs nach einem gewonnenen Match auch mal eine Currywurst und ein Bier gönnen würden, um zu genießen“, sagte der 48-Jährige.
Die Realität sieht deutlich anders aus. Gerade im Bereich der Ernährung haben sich der Leistungssport im Allgemeinen und Einzelsportarten wie Tennis im Speziellen in den vergangenen Jahren einschneidend verändert. Insbesondere der Verzicht auf gluten- und laktosehaltige Lebensmittel ist zu einer Modeerscheinung geworden, der sich viele Athleten verschrieben haben. „Als das Thema vor ein paar Jahren in den Medien hochkam, haben sich auch im Tennis viele damit beschäftigt und leben mittlerweile danach“, sagt Turnierärztin Regina Melosch, „auch wenn medizinisch nicht erwiesen ist, dass ein Verzicht auf Gluten oder Laktose Menschen nutzt, die keine Unverträglichkeit oder gar Allergie haben.“
Gluten ist als Klebereiweiß ein Stoffgemisch aus Proteinen, das in den Samen einiger Getreidearten vorkommt. In Verruf gekommen ist es, weil es im Verdacht steht, aufgrund der schweren Verdaulichkeit den Darm unnötig zu belasten und Entzündungsreaktionen hervorzurufen. Laktose ist der in Milch enthaltene Zucker, der bei Unverträglichkeit ebenfalls Verdauungsprobleme hervorruft. Menschen, die Gluten oder Laktose nicht vertragen, klagen über Völlegefühl, Blähungen, Bauchkrämpfe, Durchfall und sogar über Sinnestrübungen und Kreislaufprobleme – Symptome, die Tennisspieler während eines Turniereinsatzes wahrlich nicht gebrauchen können.
Vorreiter der glutenfreien Ernährung ist der serbische Topspieler Novak Djokovic, der aus seinem Verzicht fast schon eine Religion gemacht hat. Aber auch deutsche Tennisprofis lassen bewusst die Finger von Backwaren oder getreidehaltiger Pasta. „Weizen ist entzündungsfördernd, deshalb versuche ich, Nudeln zu vermeiden“, sagt Cedrik-Marcel Stebe (Vaihingen), der in dieser Woche im Achtelfinale stand. Sein Frühstücksmüsli, ein wichtiges Morgenritual, muss glutenfrei sein.
Wer Näheres über die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten der Tennisprofis erfahren will, muss mit Jan Bröcker sprechen. Der Mitbegründer des Rothenbaum-Caterers Speisenwerft leitet seit neun Jahren das Spielerrestaurant im dritten Stock des Stadions mit Blick über den Centre-Court. Hier werden die Teilnehmer, ihre Teams und Familien den ganzen Tag lang verpflegt. Von 9.30 Uhr an gibt es Frühstück, von 12 Uhr bis eine Stunde nach Ende des letzten Matches bereiten vier Köche Speisen für das Büfett vor. „Wir kochen aber auch nach den Ernährungsplänen der Profis das, was sie wünschen“, sagt Bröcker, der als ausgefallensten „Sonderwünscher“ den Spanier Nicolas Almagro und dessen Verlangen nach Pasta mit Jakobsmuscheln nennt.
Schon seit neun Jahren bieten Bröcker und sein Team gluten- und laktosefreie Kost an, nehmen zum Braten Olivenöl statt Butter und empfehlen zum Salat Essig und Öl anstelle von schweren Dressings. „Deutlich zu spüren ist aber, dass die Nachfrage nach glutenfreiem Brot angestiegen ist“, sagt er. Die meisten Profis würden zudem panierte Fisch- und Fleischspeisen ablehnen. „Besonders beliebt ist Hähnchenbrust natur, in Olivenöl gebraten, und Pasta mit Scampis.“ 40 Kilo Nudeln und zehn Kilo Reis werden pro Tag verspeist. Wichtiger als die Quantität ist Bröcker jedoch die Qualität. „Wir achten sehr darauf, hochwertige Produkte regionaler Anbieter zu verwenden“, sagt er.
Ähnliche Erfahrungen hat auch Florian Lenz gemacht. Der Leiter des Restaurants „Le Parc“ im Turnierhotel Grand Elysée am Dammtor bewirtet mit seinem Team die Tennisprofis beim Frühstück. Ein spezielles Angebot sei allerdings nicht notwendig, die Spieler essen das, was auch die anderen Hotelgäste erhalten. „Das liegt daran, dass grundsätzlich die Nachfrage nach gluten- und laktosefreien Produkten deutlich größer geworden ist“, sagt Lenz. Bei Sportlern besonders beliebt seien die „à la minute“ zubereiteten Eierspeisen und die Vitalecke des Büfetts. Auf Wunsch wird zudem Porridge angeboten. Wurst- und Fleischwaren dagegen würden weniger nachgefragt als früher.
Trockenfrüchte geben den Spielern einen „Zuckerboost“
Einen weiteren Aspekt gesunder Ernährung hat Turnierärztin Melosch ausgemacht. „Einige Spieler verzichten komplett auf industriellen Zucker“, sagt sie. Beliebt seien deshalb neuerdings Datteln oder andere Trockenfrüchte, die den Profis, deren Körper normalerweise keinen Zucker bekommt, während eines Matches „einen richtigen Zuckerboost“ verschaffen. Um den Flüssigkeits- und Mineralstoffverlust eines langen Tennismatches auszugleichen, greifen die Spieler zudem gern zu Kohlehydrat-Gels, die den Magen nicht belasten. Außerdem boomt der Markt der Elektrolyt- und anderen Nahrungsergänzungsmittel, wobei die meisten Sportler penibel darauf achten, nur Produkte zu sich zu nehmen, die auf der Kölner Liste der unbedenklichen Stoffe stehen, um nicht bei einer Dopingkontrolle eine böse Überraschung erleben zu müssen.
Tatsächlich gibt es aber auch noch Spieler, die sich vom Hype um die Ernährung nicht haben anstecken lassen. Der deutsche Youngster Daniel Altmaier (18) lässt zwar Fast Food, Süßigkeiten und vor allem zuckerhaltige Getränke während eines Turniers weg, greift aber ansonsten bei allem zu, was ihm schmeckt. „Ich glaube, dass eine zu intensive Fixierung auf das Thema auch lähmen kann“, sagt sein Trainer Markus Hornig, „wenn man zum Beispiel bei einem Turnier mal nicht das bekommt, was man will, kann das stören.“ Deshalb solle sein Schützling in Maßen all das essen, was er wolle. Michael Stich dürfte diese Einstellung gut gefallen.