Sotschi. Der Teammanager fordert vor dem Confed Cup in Sotschi mehr Mut für Veränderungen – und hofft auf das Finale.
Freitagmittag schlüpfte Oliver Bierhoff (48) in die Rolle des Außenministers des deutschen Fußballs. Der Manager der Nationalmannschaft lobte überschwänglich die Bedingungen in Sotschi („Tolles Hotel, kurze Wege, wir fühlen uns sicher“) und formulierte ein ehrgeiziges Ziel: „Wir wollen ins Endspiel des Confed Cups.“ Eine andere Rolle nahm er im Gespräch mit dem Abendblatt ein. Er warnt davor, die Erfolge für eine Selbstverständlichkeit zu halten, und fordert ein Umdenken.
Herr Bierhoff, Sie haben ein Angebot eines europäischen Topclubs vorliegen, der Sie als Sportvorstand unbedingt verpflichten möchte. Werden Sie den DFB verlassen?
Oliver Bierhoff: Es wird immer wieder viel geredet und spekuliert. Nur so viel: Ich hätte bereits in den vergangenen Jahren etwas anderes machen können. Aber ich habe beim DFB einen Vertrag bis 2020. Ich empfinde eine hohe Loyalität gegenüber meinem Team, der Nationalmannschaft und dem Akademieteam. Dazu kommt das spannende Projekt DFB-Akademie. Obwohl es wegen der baulichen Verzögerung keine einfache Zeit ist, will ich dieses Projekt zur Weiterentwicklung des Fußballs und Positionierung des DFB verwirklichen. Deshalb kommen für mich zurzeit keine anderen Aufgaben infrage.
"Ich möchte Impulse setzen"
Das ist schwer zu glauben. Es heißt, dass Sie mit Ihren Ideen die DFB-Führung überfordern und Ihnen Entscheidungen zu lange dauern.
Tatsächlich arbeite ich gut mit Präsident Reinhard Grindel und Generalsekretär Friedrich Curtius zusammen. Das heißt aber nicht, dass wir immer derselben Meinung sind. Ein bisschen Reibung gehört dazu. Darin sehe ich auch meine Aufgabe. Ich möchte immer wieder neue Impulse und Reize setzen, um den Sport im Verband weiterzuentwickeln.
Deutschland ist Weltmeister. Die Bundesliga boomt. Was beunruhigt Sie?
Wir sind im deutschen Fußball an einem kritischen Punkt angekommen, an dem wir sehr genau aufpassen müssen, dass wir unsere Spitzenposition nicht wieder verlieren, dass wir nicht zu selbstverliebt in unsere Erfolge sind.
Ist der deutsche Fußball zu satt?
Es gibt Tendenzen, die einen zum Nachdenken bringen. Wir müssen aufpassen, dass wir gewisse Entwicklungen nicht verschlafen, nur weil wir volle Stadien, gute TV-Verträge und viele junge Talente haben. Dennoch schaffen wir es im Juniorenbereich im Moment nicht, Titel zu holen oder entscheidende Momente für uns zu nutzen. Ein anderes Beispiel: Wir haben vier Schweizer Torhüter in der Bundesliga, das ist ein Zeichen, dass die Schweizer in der Ausbildung etwas richtig machen. Wir müssen den Mut haben, stets Veränderungen vorzunehmen und uns infrage zu stellen.
Ihre Worte erinnern an das Jahr 2000. Damals lag der deutsche Fußball am Boden. Das kann man doch nicht mit der aktuellen Situation vergleichen.
Wir haben nach dem WM-Titel 1990 geglaubt, ohne akribische Arbeit top zu bleiben. Mit dem Programm von 2002 haben wir gemeinsam mit den Vereinen unglaublich viel erreicht. Das sieht man an der Qualität der Spieler. Aber: Wir haben sehr viele ähnliche Spielertypen, zu wenig Vielfalt in der Ausgestaltung der Persönlichkeiten. Wir sind zu systemverhaftet und haben dabei individuelle Stärken wie Dribbling, Kopfballspiel oder Abwehrverhalten vernachlässigt. Diese Themen müssen wir aufgreifen und korrigieren.
Dann wäre es doch sinnvoll, wenn der DFB einen neuen Sportdirektor installiert. Oder ist die Übergangslösung Horst Hrubesch eine Dauereinrichtung?
Generell muss der Sportdirektor in das Anforderungsprofil des DFB passen. Horst Hrubesch erfüllt aus meiner Sicht die Rolle in dem bestehenden Team schon sehr gut. Ich freue mich sehr, ihn an meiner Seite zu haben. Er arbeitet leidenschaftlich und mit großer Freude, hat ein großes Herz und ist ein Sympathieträger. Ich kann mir gut vorstellen, dass das auch eine dauerhafte Lösung werden könnte.
"Die Gefahr ist da"
So einen Mann wie Horst Hrubesch kann ein Verband, dessen Ansehen in Teilen der Fangemeinde schwer angekratzt ist, doch gut gebrauchen. Was denken Sie, wenn der DFB als Fußballmafia bezeichnet wird?
Ich sitze im Präsidium und sehe täglich, wie viele Gedanken wir uns über die Amateurclubs, den Nachwuchs oder über soziale Projekte machen. Der DFB tut so viel Gutes an der Basis und auf gesellschaftlicher Ebene. Aber die Gefahr ist natürlich da, dass in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr differenziert wird. Da wird auch vieles vermengt mit Vorgängen bei anderen großen Sport-Organisationen. Und selbstverständlich gibt es die Vorgänge und Untersuchungen rund um die WM 2006, die den Verband beschäftigen. Aber ich habe das Gefühl, dass diese Diskussion viele Menschen mittlerweile langweilt.
Haben Sie vor dem Confed Cup versucht, Kontakt zum russischen Präsidenten Wladimir Putin aufzunehmen?
Nein. Für uns ist es wichtig, auf unserer Ebene, also über den Sport, Brücken zu bauen. Die Politik ist eine weitere Ebene, auf diesem Parkett müssen sich auch Politiker bewegen. Das darf man nicht von einer Fußballmannschaft verlangen. Man darf nicht erwarten, dass wir die Probleme lösen, die auch Politik nicht bewältigt. Was wir können, ist, Freude am Spiel zu vermitteln und auf die Menschen zuzugehen. Wir können Begegnungen schaffen. Und für Werte einstehen: für Offenheit, Vielfalt, Toleranz. Und wir positionieren uns gegen Gewalt und jede Form von Diskriminierung.
DFB-Präsident Grindel hat sich gegen eine WM 2022 in Katar ausgesprochen, wenn die Vorwürfe stimmen sollten, dass der Wüstenstaat den Terror finanziert. Stimmen Sie mit ihm überein?
Die Vergabe von Großereignissen muss in Zukunft anders beleuchtet werden als bisher. Man wünscht sich, dass Turniere in Ländern veranstaltet werden, in denen moralische Werte gelebt und akzeptiert werden. Aber man muss dabei berücksichtigen, dass unsere Werte nicht auf alle anderen Länder übertragen werden können. Insofern muss man abwägen, was genau in Katar dahintersteckt. Ich empfinde die Schwarz-Weiß-Diskussion manchmal als ein wenig heuchlerisch. Man kann diese Länder nicht verurteilen und gleichzeitig nach Dubai in den Urlaub fliegen. So macht man es sich zu einfach.
"Mehr Zeit und Ruhe"
In Russland wird Julian Draxler die Mannschaft als Kapitän auf das Feld führen. Wie hat er sich entwickelt?
Sehr gut. Es zeigt auch wieder, dass ein Wechsel ins Ausland einem Spieler guttun kann. Wäre Julian weiter in Deutschland geblieben, wären der Druck und die Erwartungshaltung riesengroß gewesen. Durch seinen Wechsel ist er ein bisschen aus dem Fokus geraten. Und so konnte er sich in Paris freischwimmen. Ich kenne es ja aus eigener Erfahrung: Als Spieler hat man im Ausland mehr Zeit und Ruhe, um in der Persönlichkeit zu reifen.
Joachim Löw ist seit 13 Jahren beim DFB. Haben Sie keine Befürchtung, dass er irgendwann keine Lust mehr auf diesen Job verspürt?
Er hat bis 2020 unterschrieben. Er macht das ja nicht leichtsinnig. Ihm macht die Arbeit weiter große Freude. Das ist ein Job, der auf ihn zugeschnitten ist. Und er hat Spaß daran, die Mannschaft weiterzuentwickeln.