Madrid. Der Nationaltorwart bricht sich den frisch operierten Fuß. Bayern protestiert bei Uefa wegen Polizeieinsatz. Saisonrekord für Sky.
Mitten in der Albtraum-Nacht bei Real Madrid schockte den FC Bayern eine weitere bittere Nachricht. Torhüter Manuel Neuer erlitt beim heroischen Champions-League-Kampf gegen Real Madrid einen Bruch am erst vor drei Wochen operierten linken Fuß und muss die Saison vorzeitig beenden. Die Verletzung erlitt Neuer nach Angaben des Rekordmeisters unmittelbar vor dem Gegentreffer zum 2:3 durch Cristiano Ronaldo in der Verlängerung (109.). Dennoch hatte er die Partie zu Ende gespielt.
„Manuel Neuer wird acht Wochen ausfallen“, sagte Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge, der in seiner nächtlichen Ansprache harte Kritik am ungarischen Schiedsrichter Viktor Kassai übte. „Ich muss sagen, ich habe heute zum ersten Mal so etwas wie wahnsinnige Wut in mir, Wut, weil wir beschissen worden sind.“
Scharfe Kritik an Kassai
Rummenigge reihte das „emotionale Spektakel“ mit dem 2:4 nach Verlängerung zu den Final-Niederlagen 1999 binnen weniger Sekunden gegen Manchester United und dem Elfmeter-Drama gegen den FC Chelsea 2012 ein. „Das Heldentum sieht man nicht im Sieg von großen Schlachten, sondern im Ertragen von unglücklichen Niederlagen – mehr muss man heute nicht sagen“, bemühte Rummenigge ein altes Zitat.
Bei einer großen Königsklassen-Schlacht im Estadio Santiago Bernabéu schied der deutsche Rekordmeister nach drei Halbfinal-Pleiten unter Pep Guardiola zum vierten Mal nacheinander gegen ein Team aus der Primera División aus. Auch für Carlo Ancelotti war eine Spitzenmannschaft aus Spanien die Endstation. Der Italiener ist nach seinem ersten großen Rückschlag in München nun besonders gefragt.
In einer dramatischen Europapokalnacht kämpften die Münchner zwar bravourös gehen den nächsten K. o. Doch das 1:2 aus dem Hinspiel zu Hause entpuppte sich als zu große Hypothek. „Wir haben unser Herz auf den Platz gelegt“, beschrieb es Innenverteidiger Mats Hummels. Er kritisierte wie auch Ancelotti die Leistung des ungarischen Referees. „Im Viertelfinale braucht man einen Schiedsrichter, der eine höhere Qualität hat“, rügte der Italiener.
Vidal: „Man möchte sich umbringen“
Kassai übersah bei zwei Real-Treffern und einem Bayern-Tor die Abseitsstellung. Den Platzverweis für Arturo Vidal (84.) vollzog er nach einer Aktion, die kein Foul des Chilenen war. Zuvor hatte der Mittelfeldakteur aber wiederholt gefoult. Bei aller Wut auf Kassai: Diese Gelb-Rote Karte war mit Ansage.
Vidal selbst hatte dennoch kein Verständnis: „Wenn zwei Topmannschaften gegeneinander spielen, darf der Schiedsrichter nicht der Clown sein, der das Spiel zur Show macht und Real den Vorzug gibt“, schimpfte er. Einmal in Rage war der Mittelfeldspieler nicht mehr aufzuhalten. „Es ist furchtbar, furchtbar. Man könnte sich umbringen“, klagte Vidal in der Nacht auf Mittwoch.
Polizei muss Schiedsrichter schützen
Die Wut der Spieler soll sich auch direkt gegen Kassai gerichtet haben. Nach übereinstimmenden Informationen mehrerer spanischer Medien sollen Robert Lewandowski, Vidal und Thiago den Ungarn bis in dessen Kabine verfolgt und dort heftig beschimpft haben. Letztlich habe die Stadionpolizei einschreiten müssen, um die Bayern-Profis zu beruhigen.
Die Zeitung „Marca“ berichtete, bereits im Tunnel seien nach dem Abpfiff laute und wütende Schreie zu hören gewesen. Einige Spieler hatten Kassai aufgelauert und ihn „auf jede mögliche Art beleidigt“, wie das Blatt schrieb. Die Uefa teilte am Mittwoch auf Anfrage mit, dass nach dem Spiel keine disziplinarischen Verfahren eingeleitet worden seien. Vonseiten des FC Bayern gab es zunächst keine Stellungnahmen zu den Vorkommnissen.
Andere Stars mühten sich, nach der Fortsetzung des Spanien-Fluchs die positiven Aspekte hervorzuheben. „Wir haben Männerfußball gespielt und gezeigt, dass wir den FC Bayern würdig vertreten. Für ein Ausscheiden war es schon respektabel, aber wenn du ausscheidest, hilft dir das auch nichts“, haderte Weltmeister Thomas Müller.
Völlig ausgepowert verließ das Starensemble den Fußball-Tempel in Spaniens Hauptstadt. Jérôme Boateng und Hummels waren bei ihrem riskanten Blitz-Comeback nach Verletzungen an die Grenzen gegangen. Neuer erlebte erst recht eine schmerzhafte Nacht in Madrid.
Hummels: "Es tut weh"
„Wir haben heute alles, was wir hatten, auf den Platz geworfen, haben alle wirklich die letzten Reserven genutzt und versucht, dieses Ding hier zu schaffen“, beschrieb es Hummels. „Wir waren sehr nah dran. Wenn man in die Kabine geht und das 2:2 und 2:3 vor Augen geführt bekommt und weiß, okay, der Schiedsrichter hat heute einen eklatant schlechten Tag gehabt, dann tut das schon weh.“
In Unterzahl hatten die Bayern, die sich durch Robert Lewandowski (53. Minute/Foulelfmeter) und ein Eigentor von Sergio Ramos (78.) in einer grandiosen Aufholjagd in die Verlängerung gekämpft hatten, das Nachsehen. Cristiano Ronaldo mit seinen Königsklassen-Toren 98 bis 100 (76./105./110.) zerstörte den Münchner Traum. Asensio erzielte den Endstand (112.).
Üppige Einnahmen als Trost
„Die Mannschaft ist gerade im wahrsten Sinne des Wortes in der Kabine in Trümmern“, beschrieb es Rummenigge. Viel Zeit haben die Münchner nicht vor den nächsten Aufgaben. Am Sonnabend steht ein Heimspiel gegen Mainz an, in einer Woche wartet das nächste Alles-oder-nichts-Spiel für die Bayern. Dann soll gegen Borussia Dortmund im Halbfinale des DFB-Pokals der nächste Tiefschlag unbedingt vermieden werden.
Trösten können sich die Bayern mit den üppigen Einnahmen, die sie trotz des Scheiterns erzielt haben: mehr als 70 Millionen Euro. Allein an Uefa-Prämien erspielte die Mannschaft 32,7 Millionen Euro. Dazu kommen nach insgesamt fünf Heimspielen in Vor- und K.-o.-Runde in der Allianz-Arena rund 20 Millionen Euro an Zuschauereinnahmen. Aus dem sogenannten Marktpool, der für die deutschen Clubs geschätzt bei rund 55 Millionen Euro liegt, hatte der FC Bayern bereits knapp 20 Millionen sicher.
Sky verzeichnet Saisonrekord
Die Qualifikation für das Halbfinale wäre weitere 6,5 Millionen wert gewesen. Elf Millionen Euro gibt es für den unterlegenen Finalisten, 15,5 Millionen für den Champions-League-Sieger 2017.
Dem Pay-TV-Sender Sky hat das Spiel einen Saisonrekord beschert. Die reguläre Spielzeit sahen nach Senderangaben am Dienstag 1,42 Millionen Zuschauer. In der Verlängerung schauten sogar 1,52 Millionen zu und sorgten für einen Marktanteil von 7,0 Prozent. Die Übertragung war die erfolgreichste der laufenden Spielzeit und die drittstärkste in der Geschichte von Sky.
Beschwerde wegen Polizeieinsatz
Ein Nachspiel hat der Einsatz der spanischen Polizei im Gästeblock in der Halbzeitpause des Spiels. Bayern München hat deshalb eine Beschwerde bei der Uefa eingelegt. Die Bayern verurteilten die "teilweise heftigen Attacken" als "völlig deplatziert und maßlos". Zudem will der Club eine Erklärung über die Vorgänge von der spanischen Polizei einfordern, wie er ebenfalls mitteilte.
Die Polizisten waren unter anderem mit Schlagstöcken gegen Zuschauer vorgegangen, wie TV-Bilder zeigten. Bei dem Einsatz soll es dem Vernehmen nach um ein kleines Banner gegangen sein.