Egal ob in Hamburg, in Deutschland oder weltweit: 2016 war für den Fußball ein schwarzes Jahr. 2017 kann nur besser werden.
Der Ball ist rund. Das ist keine neue Erkenntnis, bringt aber den kleinen Vorteil mit sich, dass man aus allerlei unterschiedlichen Perspektiven auf das große Ganze, auf den Fußball an sich, schauen kann. Da gibt es eine Hamburger Sicht, eine deutsche, eine europäische und natürlich eine weltweite. Und sie alle haben zum Ende des Jahres 2016 zwei große Gemeinsamkeiten. Erstens: Um den Fußball war es noch nie so schlimm bestellt. Und zweitens: 2017 kann nur besser werden.
Im Großen gibt es seit diesem Jahr endgültig keinen Zweifel mehr, dass Fifa, Uefa und DFB jahrelang betrogen und gelogen haben, dass sich nicht nur die Torbalken biegen. Sepp Blatter, Michel Platini, Wolfgang Niersbach? Haben abseits des Rasens einen irreparablen Schaden angerichtet.
Unterm Strich immer nur eines: das große Geld
Und die Besten der Besten auf dem Rasen? Vermeintliche Fußballhelden wie Cristiano Ronaldo und Lionel Messi, die bei der Steuer noch mehr tricksten als mit der Kugel am Fuß im Strafraum. Wenn 2016 über den großen Fußball gesprochen wurde, ging es um alles und jeden, nur nicht um Fußball. Und irgendwie stand unter dem Strich immer nur eines: das große Geld.
Doch auch fernab der großen Bühne im kleinen Hamburg brachte der Fußball im Jahr 2016 keinen Spaß. Der HSV und der FC St. Pauli? Übertrumpften sich Wochenende um Wochenende dabei, den schlechtesten und unansehnlichsten Fußball des Landes zu bieten. St. Pauli rutschte auf den letzten Platz der Zweiten Liga ab. Und der HSV verlor im Kalenderjahr 2016 mehr als doppelt so viele Partien (17), wie er gewinnen konnte (8). Schlimmer als die Darbietungen auf dem Platz waren nur noch die Darbietungen außerhalb des Platzes. Der HSV wechselte den Vorstandschef, der Sportdirektor wurde entlassen und – selbstverständlich – wurde auch der Trainer ausgetauscht. Bruno Labbadia, im vergangenen Dezember zu Hamburgs Persönlichkeit des Jahres 2015 gewählt, war neun Monate später bereits wieder Geschichte.
Ist dieser Fußball also wirklich nicht mehr zu retten? Kann man den HSV und St. Pauli, die Würzburger Kickers und Bayern München, Cristiano Ronaldo und Mergim Mavraj, Messi und Lewis Holtby, Dietmar Beiersdorfer und Florentino Pérez tatsächlich in einem Atemzug nennen?
Doch, ist er. Einerseits. Und ja, kann man. Andererseits. Tatsächlich zeigten nicht erst die vom „Spiegel“ veröffentlichten Football Leaks, dass das komplette System Profifußball so verrottet und verlogen ist, wie man es sich auch in seinen schlimmsten Alpträumen nicht hätte ausmalen können. Im Großen wie im Kleinen. Hier verhandelt der HSV mit ein paar halbseidenen Schurken aus der Unterwelt über den Verkauf von Clubanteilen. Dort werden Verträge veröffentlicht, die derart absurde Summen offenbaren, dass man beinahe lachen muss, wenn es nicht so traurig wäre. Doch allzu traurig braucht gleichzeitig niemand sein. Denn endlich ist auch auf all das, was abseits des grellen Flutlichts im Stadion passiert, der Scheinwerfer gerichtet.
2016 wurde der Scheinwerfer auf die Schattenseiten gelenkt
Und natürlich gibt es Wochenende für Wochenende auch zahlreiche Momente der Hoffnung. Zum Beispiel, wenn sich der HSV nach acht Monaten ohne Heimsieg in Folge ein schwaches 1:0 gegen den FC Augsburg erzittert und der Volkspark vibriert, als ob man gerade die Champions-League-Trophäe gewonnen hätte. Da liegen sich für Sekunden wildfremde Menschen in den Armen, weil der 14 Millionen Euro teure und natürlich gnadenlos überbezahlte Serbe Filip Kostic tatsächlich zum zweiten Mal in dieser Saison getroffen hat. Es sind Momente wie dieser, in denen erwachsenen Männer rational nicht zu erklärende Tränen kommen und in denen all die Millionen und Milliarden für Sekunden vergessen werden.
Und vielleicht ist ja auch alles ganz anders, als man es nach den Enthüllungen über Steuerschlupflöcher, horrende Beraterhonorare und blühenden Menschenhandel zu glauben meint. Woran werden die Menschen denken, wenn im Champions-League-Finale 2017 am 3. Juni Madrids Cristiano Ronaldo in Cardiff die halbe Abwehr von Bayern München in der 90. Minute ausspielt, Manuel Neuer verlädt und anschließend mit nacktem Oberkörper und angespanntem Sixpack an der Eckfahne feiert? „Geld ist nicht alles“, hat Ronaldos Berater Jorge Mendes gerade gesagt, als er erklärte, warum der Weltfußballer des Jahres ein unmoralisches 100-Millionen-Euro-Angebot aus China ablehnte. Was er nicht sagte: Als ob es Ronaldo interessieren würde, wenn in China ein Sack Geld umfällt! Die 100 Millionen Euro, die der Portugiese von Real und seinen zahlreichen Sponsoren bekommt, sind ja auch ganz nett.
Fußball ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Keinen Deut besser, aber wahrscheinlich auch nicht viel schlechter. Es gibt, auch das sollte eine Erkenntnis aus dem Jahr 2016 sein, auch im Fußball mehr Schattierungen als eben nur schwarz und weiß.
Kann man aber auf der einen Seite Reals Ronaldo und seine Berater für ihre ungebremste Geldgier verteufeln, aber auf der anderen Seite Hamburgs albanischen Neuzugang Mergim Mavraj, der nach einem guten Halbjahr mit dem Überraschungsteam aus Köln nun den Vertrag seines Lebens beim abstiegsbedrohten HSV unterzeichnete, mit offenen Armen empfangen?
Vielleicht. Denn anders als Ronaldo, der bei aller Wertschätzung für seinen herausragenden rechten Fuß sein Geld am Fiskus vorbei in irgendwelche Steueroasen bunkert und so das Allgemeinwohl betrügt, macht HSV-Neuzugang Mavraj nur das, was jeder andere auch macht – oder machen sollte: hart arbeiten, um so ein so großes Stück vom Kuchen wie nur möglich abzubekommen. Deswegen braucht auch niemand Lewis Holtby vom HSV zu neiden, dass er – wie es die Football Leaks enthüllten – ein monatliches Grundgehalt von 291.666,77 Euro erhält. Nicht die gut verdienenden Fußballer, sofern sie ihr Geld angemessen versteuern, sind das Problem. Sondern die nicht minder gut verdienenden Clubverantwortlichen, die den Bezug zur Realität längst verloren haben. Fußballer sind keine schlechteren Menschen, aber eben auch keine besseren. Nur wer das in Erinnerung behält, kann sich auch wieder ein wenig mehr über Tore und Tricks freuen und über Pleiten und Rumpelfußball ärgern.
Der HSV hat endlich einen Chef, der auf das Geld achtet
Auch aus Hamburger Sicht kann es 2017 eigentlich nur aufwärtsgehen. Nachdem der HSV 2016 – mal wieder – kein Fettnäpfchen, keinen Skandal und keine Fehlentscheidung ausgelassen hat, hat man – mal wieder – zum Start des Jahres 2017 subjektiv das Gefühl, dass das Schlimmste überstanden ist. Der Dino der Bundesliga hat einen neuen Vorstandsvorsitzenden, der – ganz anders als sein Vorgänger – nicht mehr ausgeben als einnehmen will. Diese Tatsache allein reicht schon, um diesem einst so wunderbaren Club wieder ein kleines bisschen mehr die Daumen bei seiner Dauermission Klassenerhalt zu drücken. Und weil auch der Trainer zu wissen scheint, was er da macht, gibt es immer mehr Hamburger, die von etwas überzeugt sind, was noch vor wenigen Wochen völlig unmöglich schien: von der Rettung.
Diese wünscht man nicht nur als Hamburger auch dem FC St. Pauli, der sich trotz elf Punkten aus 17 Spielen hartnäckig weigert, den allgemeinen Grundsätzen des Geschäfts zu folgen. Der Trainer bleibt der Trainer – wie herrlich verrückt ist denn bitte das?
St. Pauli steht für Solidarität, Offenheit und Toleranz
Natürlich geht es beim Kiezclub ganz genauso um das große und kleine Geld des völlig außer Rand und Band geratenen Geschäfts. Doch gleichzeitig nimmt man den Machern des Tabellenschlusslichts der Zweiten Liga irgendwie ab, dass es auch ihnen um mehr als um den schnöden Mammon geht. St. Pauli steht für Toleranz, für Offenheit und für die Solidargemeinschaft. Echte Fans des Kiezclubs bekommen zwar Hautausschlag, wenn Außenstehende das längst überholte und veraltete Klischee des „etwas anderen Clubs“ aus der Mottenkiste holen. Aber so ganz normal ist dieser Verein, dessen ehrenamtlicher Präsident eine Weihnachtsbotschaft im Stile des Bundespräsidenten mit einem brennenden Baum im Hintergrund vorliest, eben auch nicht.
Doch sogar am Millerntor bleibt am Wochenende der Fußball, nun ja, der Fußball. Und das ist auch gut so. Denn die Welt außerhalb der Stadien ist schon kompliziert genug: Trump, AfD, Lügenpresse, Flüchtlingsobergrenze, postfaktische Behauptungen, der Brexit, die Kölner Silvesternacht, Schmähkritik und die Panama Papers. Mit all diesen Dingen muss man sich schon genug herumschlagen. Da möchte man sich den Glauben daran bewahren, dass ab und an für 90 Minuten zumindest im Fußball alles wieder gut wird.
Der Fußball ist das unwichtigste Wichtige der Welt. Nur wenn die Verantwortlichen, die Funktionäre, die Vorstandschefs, die Präsidenten, die Berater, die Manager und auch die Fuß-baller selbst das verstehen und beherzigen, kann der Fußball vielleicht doch noch gerettet werden. Das Fußballjahr 2016 war eine heftige Klatsche. Aber glücklicherweise gibt es immer ein Rückspiel. Deswegen dürfen wir uns auf ein rauschendes Fußballjahr 2017 freuen. So viel Naivität muss erlaubt sein.