Hamburg. Durch eine Kooperation mit Shanghai SIPG FC verdienen die Hamburger fünf Millionen Euro bis 2018. Doch das soll erst der Anfang sein
Kurz nach Weihnachten war der Moment gekommen, mal grundlegend etwas klarzustellen. Im Rahmen einer Pressekonferenz, auf der Shanghais brasilianischer Neuzugang Oscar vorgestellt werden sollte, wollte SIPG-Präsident Sui Guoyang am Mittwoch mit einem falschen Gerücht aufräumen. Die Ablöse des Starspielers von Chelsea London liege keinesfalls bei 60 Millionen Pfund, also gut 70 Millionen Euro, wie Medien weltweit in den vergangenen Tagen behauptet hätten. „Die Ablösesumme für die Verpflichtung des Spielers lag tatsächlich bei 60 Millionen Euro“, sagte Sui Guoyang, und fügte entwaffnend ehrlich hinzu: „Und wenn wir nicht 60 Millionen Euro geboten hätten, glauben Sie, Oscar hätte sich die Mühe gemacht zu kommen?“
Es ist gut zwei Wochen her, da sitzt Yaodong Cheng im ersten Stock des Volksparkstadions und schüttelt energisch mit dem Kopf. Natürlich müssten die chinesischen Clubs viel Geld für internationale Topstars ausgeben, sagt der Chinese, aber das alleine reiche nicht. „In China gibt es ein Sprichwort“, sagt Cheng: Auf einem Bein alleine kann man nicht stehen. „Die Millionen für die Stars sind das eine Bein“, so Cheng. „Das andere Bein ist mindestens genauso wichtig.“ Und wegen des anderen Beins sei er nach Hamburg gekommen.
Yaodong Cheng, 49 Jahre alt, Trainingsanzug, freundliches Gesicht und leicht ergraute Haare, ist Nachwuchskoordinator vom SIPG FC, also von dem Club, der gerade den teuersten Transfer Chinas perfekt gemacht hat. „Die Millionentransfers sollen dem chinesischen Fußball einen kurzfristigen Push geben“, sagt Cheng. „Aber um langfristig Erfolg zu haben, brauchen wir Wissen, Know-how und Partner. Und der HSV ist ein sehr wichtiger Partner für uns.“
Huiwen Zhang-Dirks nickt höflich, während sie Cheng aussprechen lässt und die Worte dann übersetzt. Die Geschäftsführerin der Hanse-Sino-Consulting hatte vor zwei Jahren die Idee einer Kooperation zwischen dem HSV und SIPG, „als noch die allerwenigsten auf die Idee kamen, dass in der Verbindung zwischen Fußball und China so viel Musik drin steckt.“ Und die Anfangsidee klang simpel: Wissenstransfer – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Aus dieser Anfangsidee ist mittlerweile ein Zweijahresvertrag geworden, der dem HSV fünf Millionen Euro bis 2018 einbringen soll. Die Rahmendaten: Innerhalb dieser zwei Jahre soll es 36 Workshops geben, die jeweils rund eine Woche lang dauern. Ein Drittel dieser Workshops, die graue Theorie, findet beim HSV statt. Zwei Drittel der Lehrgänge, die Praxis, ist in Shanghai geplant. Man agiere wie ein Beratungsunternehmen, erklärte Noch-Marketingvorstand Joachim Hilke, der zusammen mit Zhang-Dirks die theoretische Idee in die Praxis umgesetzt hat. Hilke, der ab dem 31. Dezember vom HSV freigestellt ist, soll und will sich noch bis Ende Juni um das HSV-China-Projekt kümmern, ehe Florian Riepe, der Bereichsleiter Marketing, übernimmt. „Mit Blick auf die sportpolitische Ausrichtung des Landes und der Vermarktungspotenziale ist China der für die Bundesliga relevante Auslandsmarkt“, sagt Hilkes Noch-Vorstandskollege Frank Wettstein. „Die Unterstützung von SIPG FC als einen der führenden chinesischen Clubs ist für den HSV Herausforderung, Chance und Verpflichtung zugleich.“
Längst gilt China als eine Art Eldorado des Weltfußballs. Da ist der 60-Millionen-Euro-Transfer Oscars nur eines von vielen Beispielen. Auch Landsmann Hulk wechselte erst kürzlich für pi mal Daumen 50 Millionen Euro zum SIPG FC, Alex Teixeira unterschrieb ebenfalls für 50 Millionen Euro bei Jiangsu Suning, der Kolumbianer Jackson Martinez ging für 42 Millionen Euro von Atletico Madrid zu Guangzhou Evergrande Taobao, und Ramires zog es für vergleichsweise läppische 28 Millionen Euro nach Jiangsu. Mit insgesamt 337 Millionen Euro Transferausgaben im vergangenen Januar und Februar haben die 16 Super-Liga-Clubs vor einem Jahr sogar die 20 neureichen Clubs der englischen Premier League (253 Millionen Euro) weit übertrumpft.
Schuld an all dem soll Staatspräsident Xi Jinping sein. Der war es, der 2011 Fußball kurzerhand zum Staatsziel auserkoren hat. Seine sehnlichsten drei Wünsche damals: Erstens soll China die Qualifikation zu einer Fußball-Weltmeisterschaft schaffen. Zweitens die WM ins eigene Land holen. Und drittens? Die Wunderlampe noch einmal kräftig poliert: Weltmeister werden.
Fünf Jahre ist es nun her, dass Chinas Staatsoberhaupt seine Wünsche zu Protokoll gebracht hat. Und selbst von der WM-Qualifikation ist die Nummer 82 der Welt noch immer weit entfernt, aber um die große, weite Fußballwelt einmal gehörig aus den Angeln zu heben, hat es schon einmal gereicht.
Im Kleinen angefangen hat alles mit einer Shanghai-Reise von Bürgermeister Olaf Scholz im November 2015, auf der Huiwen Zhang-Dirks als Teil der Delegation dabei war und Hilke dabei sein sollte. Hilke musste zwar im letzten Moment absagen, traf sich aber ein paar Monate später in Hamburg mit Zhang-Dirks auf einen folgenschweren Kaffee. „So eine Partnerschaft hat es noch nie im Fußball gegeben“, sagt die gebürtige Pekingerin, die seit 25 Jahren in Hamburg lebt. „Der Zweijahresvertrag ist ein Signal für die Verbindlichkeit. Es geht um mehr als nur um ein Freundschaftsspiel für ein paar Millionen Euro.“
Die U19 vom SIPG FC war Mitte Dezember mit Yaodong Cheng für sechs Tage in Hamburg, Anfang Februar folgt der Gegenbesuch in Shanghai. „Vor der Reise nach Hamburg war ich mir unsicher, was dieser HSV uns eigentlich beibringen soll. Sportlich schien der Club am Ende. Da hatte ich viele Fragezeichen“, sagt Cheng. „Doch nach zwei Tage sind keine Fragezeichen mehr übrig. Ich bin tief beeindruckt vom HSV und von den Strukturen.“
Cheng muss aufbrechen. Chinas Nachwuchstrainer des Jahres verabschiedet sich mit einer Verbeugung, dann geht er los. Schnell und bestimmt. Erst das eine Bein, dann das andere.