Potsdam. Tyron Zeuge soll den Sinkflug seines Sports am Sonnabend abbremsen. Sauerland verlängert Vertrag mit Sat.1.
Um die Bedeutung des Supermittelgewichts-WM-Duells, das an diesem Sonnabend (22.20 Uhr/Sat.1) den italienischen WBA-Weltmeister Giovanni De Carolis und den Berliner Tyron Zeuge in der Potsdamer MBS-Arena zusammenführt, will Kalle Sauerland nicht herumreden. „Es ist in diesem Jahr der wichtigste Kampf für die Zukunft des deutschen Boxens“, sagt der Mitinhaber des Berliner Sauerland-Stalls, für den Zeuge in den Ring steigt.
Schafft es der als Toptalent gehandelte 24-Jährige, nach dem Remis im ersten Duell im Juli dieses Jahres den Rückkampf gegen den Italiener zu gewinnen, wäre er der jüngste deutsche Weltmeister seit Graciano Rocchigiani 1988 – und könnte entscheidend dazu beitragen, den Sinkflug abzubremsen, in dem sich das Profiboxen hierzulande befindet.
Von Zeiten wie im Dezember 1995, als in der Spitze 18,52 Millionen den Schwergewichts-WM-Kampf zwischen Axel Schulz und dem Südafrikaner Francois Botha sahen und damit den Boxboom der 90er- und 2000er-Jahre begründeten, ist längst nur noch zu träumen. Zuletzt sahen Anfang Oktober nicht einmal mehr zwei Millionen auf Sat.1 zu, wie Jürgen Brähmer seinen WBA-WM-Titel im Halbschwergewicht an den Waliser Nathan Cleverly verlor.
Ein Problem ist, dass die Garde hinter der Generation an namhaften Stars wie Wladimir Klitschko (40), Arthur Abraham (36), Felix Sturm (37) und Brähmer (38) schwächelt. Wenn diese vier, die allesamt aktuell keine WM-Titel besitzen, in absehbarer Zeit abtreten, gibt es kaum deutsche Boxer, die sie ersetzen können. Cruisergewichtler Marco Huck (32), aktuell Weltmeister des unbedeutenden Weltverbands IBO, ist der Einzige, der auch Menschen ohne Boxaffinität ein Begriff ist. WBA-Superwelter-Champion Jack Culcay (30) hat sportliche Klasse, ihm fehlt es jedoch – wie auch Zeuge – an Charisma. In einer Sportart, die vom bewegten Bild abhängig ist, müssen die Aktiven mehr tun, als sich auf ihren Sport zu konzentrieren.
Diese Erkenntnis hat sich bei Sauerland, das nach der Insolvenz des Hamburger Universum-Stalls im Jahr 2012 der einzig verbliebene deutsche Global Player ist, durchgesetzt. Noch gibt es, dank garantierter TV-Summen, auch garantierte Börsen. Doch auch wenn die zum Jahresende auslaufende Zusammenarbeit mit Exklusivpartner Sat.1 am Freitag verlängert wurde und weiterhin bis zu acht Kampfabende im Jahr im frei empfangbaren Fernsehen gezeigt werden sollen, wird sich das sukzessive ändern. Die Entwicklung in Richtung des in Deutschland noch immer schwer vermittelbaren Per-per-View (Kämpfe nur gegen Gebühr) ist nicht aufzuhalten, will man in Zukunft angemessene Kampfbörsen für hochklassige Kämpfe aufbringen. Sat.1 hat mit dem Aufbau der Internetplattform ranfighting.de, auf der jedes Wochenende Topkämpfe aus aller Welt gegen Gebühr zu sehen sind, reagiert.
"Schwerer, bei den Amateuren Weltmeister zu werden als in einigen Profibereichen“
Für die Boxer heißt das, sich viel mehr als Marke präsentieren zu müssen als bisher, um die Fans zum Kauf ihrer Kämpfe zu bewegen. „Die Boxer rücken mehr in die Verantwortung. Wer gut verdienen will, muss sich gut präsentieren, im Ring und außerhalb. Das läuft in vielen Ländern der Welt schon immer so“, sagt Kalle Sauerland. „Noch ist das in Deutschland anders, aber wir dürfen diese Entwicklung nicht verschlafen.“
Sven Ottke, einziger deutscher Weltmeister, der als Profi nie verloren hat, bringt ein weiteres Problem ins Spiel, das dem Ansehen des Boxens schadet. „Ich glaube, es gibt aktuell mehr als 80 Weltmeister. Den Schwachsinn versteht doch keiner. Es ist heute definitiv schwerer, bei den Amateuren Weltmeister zu werden als in einigen Profibereichen“, sagt der 49-Jährige, der damit vor allem die vier bedeutenden Weltverbände WBA, WBO, WBC und IBF in die Verantwortung nimmt. Axel Schulz schlägt in eine ähnliche Kerbe: „Boxen ist immer noch beliebt, aber die Leute sind auch anspruchsvoller geworden.
Wir müssen Qualität bieten. Das ist in den letzten Jahren manchmal echt zu kurz gekommen“, so der 47-Jährige. Vor allem die Flut an durchschnittlichen Titelkämpfen, die in den 2000er-Jahren überhandnahm, als die ARD (Sauerland) und das ZDF (Universum) jeweils zwölfmal pro Jahr sonnabends Boxen zeigten, habe alles verwässert. Die Vielzahl unterschiedlicher Titel hat dazu geführt, dass viele Fans den Überblick und damit sukzessive das Interesse verloren.
Zeit des In-Watte-Packens beendet
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, will Sauerland den vor zwei Jahren mit Sat.1 eingeschlagenen Weg fortsetzen, Kämpfe auf Augenhöhe anzubieten, bei denen der Zuschauer nicht mehr das Gefühl hat, der Sieger stehe von vornherein fest. Nachdem dem Stall lange vorgeworfen worden war, seine Boxer durch die Gegnerauswahl und die Beeinflussung von Punktrichtern zu protegieren, soll es in Zukunft vermehrt mutige Ansetzungen geben.
Dass Abraham seinen Titel im April in Las Vegas verteidigen musste – und prompt an den Mexikaner Gilberto Ramirez verlor; dass Brähmer gegen Cleverly antrat oder dass Culcay 2017 gegen Englands Spitzenmann Kell Brook ransoll, all das sind Zeichen dafür, dass die Zeit des In-Watte-Packens beendet ist. „Wir müssen Topkämpfe liefern, wenn wir die Fans überzeugen wollen“, sagt Kalle Sauerland, der dabei vor allem auf Zeuge, den Karlsruher Supermittelgewichtler Vincent Feigenbutz (21) und den Hamburger Cruisergewichtler Noel Gevor (25) setzt.
Zudem will der Stall aufrüsten. Zum Jahresende soll die Zahl der Boxer von derzeit 13 auf 20 angewachsen sein. Der Hamburger Schwergewichtler Albon Pervizaj (siehe Text rechts) ist bereits verpflichtet, starke Amateure wie Arayk Marutjan (Schwerin), Dennis Radovan (Köln) und Leon Bunn (Frankfurt am Main) stehen im Fokus. Zweifellos Talente – die den Beweis, dass sie den Übergang vom Sink- in den Sturzflug abfangen können, werden liefern müssen.