Hamburg. Die 26-jährige Sportlerin managt Handballkarriere und Erzieherberuf. Heute spielt sie vermutlich beim Länderspiel in Hamburg vor.

Wo genau an diesem Freitagabend ihr Platz in der Wilhelmsburger Inselparkhalle sein wird, wusste Maike Schirmer auch am Donnerstag noch nicht ganz genau. Entweder würde sie im Kreis ihrer Mitspielerinnen aus der Bundesligamannschaft des Buxtehuder SV auf der Tribüne sitzen, um sich das Handballländerspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Spanien (19 Uhr/Internet-Livestream auf Sportdeutschland.tv) anzuschauen. Das wäre schon nicht schlecht. Oder aber Schirmer wäre selbst mit von der Partie, als eine von zwei Rechtsaußen im Kader von Bundestrainer Michael Biegler. Das wäre natürlich noch viel besser.

Und es wäre vor einigen Wochen noch fast unvorstellbar gewesen, für sie jedenfalls. „Ich war schon sehr überrascht, dass ich für den Lehrgang in dieser Woche nominiert wurde“, sagt Schirmer (26). Sie hatte sich für diese Saison eigentlich nur vorgenommen, in Buxtehude Fuß zu fassen, wo sie erst seit diesem Sommer ist, weil sie beim VfL Oldenburg nach acht Jahren keinen neuen Vertrag mehr bekommen hätte und sie ohnehin der Meinung war, „dass mir ein bisschen frischer Wind guttut“. Die Nationalmannschaft war weit weg. Auf den Tag genau vier Jahre.

Im Oktober vor vier Jahren war ihr letztes Länderspiel

Am 7. Oktober 2012 stand Maike Schirmer letztmals bei einem Länderspiel auf dem Feld, ein Test in Leipzig gegen Tschechien. Alles lief bestens: Es war die Abschiedsvorstellung der Rekord-Internationalen Grit Jurack, und die legte Schirmer gleich für einen Kempa-Trick zur 4:1-Führung auf. Am Ende hieß es 29:20 für Deutschland. Danach aber wurde Schirmer nur noch für ein EM-Qualifikationsspiel gegen Russland im Oktober 2013 nominiert, ohne allerdings zum Einsatz zu kommen.

Jetzt, zwei Bundestrainer später, dürfte also endlich das sechste Länderspiel hinzukommen und am Sonntag (16 Uhr) in Lingen (Ems) auch gleich das siebte, wiederum gegen Spanien. Es sei denn, Bundestrainer Biegler streicht sie noch kurzfristig aus seinem Aufgebot, was wenig wahrscheinlich ist.

Für die Nationalmannschaft opfert sie ihren Jahresurlaub

„Die Nationalmannschaft“, sagt Schirmer, „ist für mich ein Superbonus.“ Für den muss sie allerdings erst einmal Opfer bringen. Ihren restlichen Jahresurlaub hat Schirmer aufgebraucht, um in dieser Woche beim Lehrgang in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) dabei sein zu können. Sollte Biegler (55) sie auch bei der Europameisterschaft im Dezember in Schweden dabeihaben wollen, dann wird die Linkshänderin noch einmal das Gespräch mit ihrem Arbeitgeber suchen müssen.

31,5 Stunden pro Woche ist Schirmer als Erzieherin in einem Kindergarten in Buchholz tätig. Hinzu kommt die Fahrerei, gut 25 Kilometer pro Strecke. „Eine hohe Belastung“ sei das zwar. „Aber wenn man so eine Chance wie die Nationalmannschaft bekommt, dann nimmt man das gern in Kauf.“

Es sind Sätze, die Biegler bislang nicht kannte. 32 Jahre lang hat er Männer trainiert, zuletzt die polnische Nationalmannschaft und den HSV Hamburg bis zur Insolvenz und dem Lizenzverlust zum Jahreswechsel. Da gab es niemanden, der wie Maike Schirmer 2014 mal eben seine Karriere für einige Monate unterbrochen hätte, um Auslandserfahrung in einem Kindergarten in Bogotá (Kolumbien) zu sammeln.

Sie unterbrach die Karriere für einen Job in Kolumbien

Seit April ist Biegler als Nachfolger des glücklosen Dänen Jakob Vestergaard für die deutschen Frauen verantwortlich. Er ist „beeindruckt, was die Teilzeitprofis alles noch nebenbei leisten. Das ist fantastisch.“

Bieglers Engagement ist bis Dezember 2017 befristet. Dann findet die WM in Deutschland statt, die Finalrunde sogar in der Hamburger Barclaycard Arena, nur wenige Kilometer von Maike Schirmers Heimatort Hartenholm entfernt. Dort dabei zu sein, „das wäre natürlich ein Traum, etwas ganz Besonderes“ für sie. Aber für die Spielerinnen sei das noch ziemlich weit weg.

Für Rolf Reincke ist das Turnier schon sehr nahe. Dass das heutige Spiel schon fast ausverkauft ist, wertet der Präsident des Hamburger Handballverbandes und Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes als „schönes Signal“ im Hinblick auf die WM. Es ist der erste Auftritt der deutschen Handballerinnen in Hamburg seit 2009. Damals gab es einen 22:19-Sieg gegen Serbien, womit die WM-Teilnahme geschafft war. 8500 Zuschauer wurden in der heutigen Barclaycard Arena gezählt. Die meisten dürften vornehmlich gekommen sein, um anschließend den Männern in ihrem Qualifikationsspiel gegen Slowenien zur EM zu verhelfen. Diesmal müssen es die deutschen Handballerinnen allein regeln. Aber das sind sie ja gewohnt.