Ein kleinwüchsiger Kugelstoßer, der zum ersten Mal bei Paralympics dabei ist, wächst über sicht hinaus und deklassiert die Konkurrenz.
Rio de Janeiro. Sein Spitzname ist Bonsai, wie der Baum. „Weil ich ein kleiner Mann bin und für einen kleinen Mann so viel Kraft habe“, sagte Niko Kappel und lachte dabei. Wie viel Kraft genau in einem nur 1,40 Meter kleinen Körper steckt, zeigte der Leichtathlet, als er am Donnerstagabend im Kugelstoßen die erste Goldmedaille für das deutsche Team bei den Paralympics in Rio de Janeiro gewann.
Seine Lieblingsdisziplin ist so ziemlich das Letzte, was man mit kleinwüchsigen Menschen in Verbindung bringt. Beim Kugelstoßen denkt jeder an große, massige Athleten, hinter denen sich jemand wie Kappel bequem umziehen könnte. Doch im Olympiastadion von Rio trat der 21-Jährige in den Ring und entwickelte aus seiner schnellen Drehung eine derart explosive Kraft, dass die Kugel 13,57 Meter weit flog. Das war erheblich weiter als seine bisherige persönliche Bestleistung (13,26). Und vor allem die entscheidende Winzigkeit von nur einem Zentimeter weiter als beste Versuch des Welt- und Europameisters Bartosz Tyszkowski aus Polen (13,56).
Bonsai hätte nie mit Gold gerechnet
„Das ist wahnsinnig geil. Ich kann das immer noch nicht glauben“, sagte Kappel nach seinem ersten Wettkampf überhaupt bei paralympischen Spielen. „Ich wollte natürlich eine Medaille holen, klar.“ Aber Gold? Das schien selbst bis zur Hälfte dieses Wettbewerbs außerhalb seiner Möglichkeiten zu liegen, weil der Pole Tyszkowski in den vergangenen vier Jahren jeden EM- und WM-Titel gewann und auch diesmal zunächst klar in Führung lag.
Doch dann steigerte sich Kappel, 13,38 Meter im vierten und 13,57 Meter im fünften Durchgang. „Ich wusste, wenn ich ihn unter Druck setzen kann, dann habe ich eine Chance. Denn das ist er nicht gewohnt“, erklärte der Athlet des VfL Sindelfingen. „Er hat das Kugelstoßen bei uns über Jahre dominiert. Aber als ich an ihm vorbeigezogen war, konnte er nicht mehr kontern.“
Kappel will jetzt den Weltrekord
Niko Kappel und der Speerwerfer Mathias Mester sind so etwas wie die Stimmungskanonen im deutschen Team. Beide sind klein, beide haben Humor. Dazu gibt die erste Goldmedaille bei einem großen Sportereignis allen anderen auch immer noch einen zusätzlichen Schub. „Es waren heute so viele Kollegen hier und haben mich angefeuert“, erzählte Kappel. „Jetzt will ich das umgekehrt genauso machen: Ins Stadion gehen, Stimmung machen, rumbrüllen.“
Der kleine Kugelstoßer ist erst 21 Jahre alt, aber er ist schon ausgebildeter Bankkaufmann, sitzt für die CDU im Gemeinderat seiner Heimatstadt Welzheim bei Stuttgart – und hat jetzt eine paralympische Goldmedaille. Bislang waren seine größten Erfolge jeweils Silber bei der WM 2016 und der EM 2015 gewesen.
Und was kann jetzt noch kommen? „Es haben mir nur sieben Zentimeter bis zum Weltrekord gefehlt“, meinte Kappel – der liegt bei 13,64 Metern. „Ich bin noch jung, habe seit 2015 eine super Entwicklung genommen - mal sehen, was meine Karriere noch alles bringt.“