Hamburg. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, über die Krise der Spiele und die Lehren aus der gescheiterten Bewerbung
Achim Leoni
Am Abend des 29. November 2015 musste Alfons Hörmann (56), der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, zusammen mit Bürgermeister Olaf Scholz im Rathaus das Aus für die Hamburger Bewerbung um die Sommerspiele verkünden. Die Enttäuschung über das verlorene Referendum scheint auch gut neun Monate später noch nicht ganz verflogen zu sein, als das Abendblatt den Allgäuer Unternehmer im Innenhof des Rathauses zum Interview trifft.
Herr Hörmann, zwischen den Olympischen und den Paralympischen Spielen in Rio, die am Mittwoch beginnen, waren Sie zweimal zu Veranstaltungen und Gesprächen in Hamburg. Wie schmerzlich sind diese Besuche für Sie?
Alfons Hörmann: Ein bisschen Wehmut kommt schon auf. Gerade nach den Spielen in Rio weiß man das kompakte, umweltfreundliche Hamburger Olympiakonzept umso mehr zu schätzen. Es wären Spiele für die Athleten geworden, und unsere Chancen, im September 2017 den Zuschlag für 2024 zu erhalten, wären nach den Erfahrungen des IOC mit Rio sicher gestiegen. Nimmt man die Wegezeiten in Rio zum Maßstab, hätten wir uns sogar mit Hamburg und Berlin gemeinsam bewerben können.
Nordrhein-Westfalen scheint gewillt, eine Kampagne für die Spiele 2028 zu starten.
Grundsätzlich freuen wir uns darüber, dass es immer noch viele Menschen und Institutionen gibt, die in Olympia einen Gewinn für das Land und unseren Sport sehen. Wir müssen aber realistisch bleiben. Zweimal, in München für die Winterspiele 2022 und in Hamburg für die Sommerspiele 2024, hat die Bevölkerung ein solches Ansinnen abgelehnt. Da stürzen wir uns nicht in den nächsten Versuch nach dem Motto, irgendwo und irgendwann wird’s schon klappen. Aus meiner Sicht müsste die Abfolge künftig anders aussehen: erst der Nachweis, dass eine Stadt oder ein Land die Spiele wirklich will und finanzieren kann. Sollte das positiv ausfallen, kann man im Sport über eine neue Kampagne nachdenken. Auch müsste von der Bundesregierung im Vorwege ein klares Signal kommen, dass Olympia eine nationale Angelegenheit ist und der Bund sich entsprechend finanziell engagiert. Ohne solche Rahmenbedingungen wäre es sinnlos, ein solches Projekt weiterzubearbeiten.
Nach den jüngsten Doping- und Korruptionsskandalen und der kläglichen Rolle, die das IOC bei der Aufarbeitung gespielt hat, dürfte sich die Zustimmung für Olympia in Deutschland ohnehin erledigt haben. Sie haben aber die Beschlüsse des IOC in der Causa Russland verteidigt.
Weil ich sie – im offensichtlichen Gegensatz zu vielen Kritikern – genau gelesen habe. Das IOC hat ja erst einmal alle russischen Sportler von den Spielen in Rio ausgeschlossen, nicht aber in letzter Konsequenz auch das Nationale Olympische Komitee (NOK) des Landes. Der Report des kanadischen Jura-Professors Richard McLaren hatte bis dato keine eindeutigen Beweise vorgelegt, dass das NOK in das systematische Staatsdoping involviert war.
Und dann ...
... sollten die internationalen Spitzenverbände in einem zweiten Schritt entscheiden, welche russischen Athleten doch noch in Rio teilnehmen dürfen, weil sie nachweisbar in ein Kontrollprogramm außerhalb Russlands eingebunden und damit nach den Maßstäben der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) als „sauber“ zu bewerten waren. Als letzte Instanzen waren schließlich das internationale Sportschiedsgericht CAS und ein vom IOC installiertes Dreiergremium vorgesehen. Das war alles gut gedacht, letztlich aber in der Praxis ganz schlecht umgesetzt worden.
Am Ende durften von 380 nominierten russischen Sportlern 280 in Rio starten.
Ja, das war eine große Enttäuschung, ich hatte mit viel weniger gerechnet. Fachverbände, CAS und das Dreiergremium sind in diesem Prozess ihrer großen Verantwortung in weiten Teilen nicht gerecht geworden. Sie haben eine Vielzahl fauler Kompromisse geschlossen. Dadurch ist leider großer Schaden für den olympischen Sport entstanden. Die Chancengleichheit ist damit in einigen Sportarten erst mal auch auf der Strecke geblieben.
Dass es auch anders geht, hat danach das Internationale Paralympische Komitee (IPC) gezeigt. Der Beschluss, Russland von den Paralympics auszuschließen, hat auch vor dem CAS standgehalten.
Dabei müssen Sie zweierlei bedenken: Erstens lagen dem IPC neue Erkenntnisse des McLaren-Reports vor, die offensichtlich dem IOC nicht zugänglich waren. IPC-Präsident Philip Craven hatte als Mitglied der IOC-Exekutive zuvor ja alle Entscheidungen des IOC mitgetragen. Zweitens sind im paralympischen Sport keine Fachverbände zwischengeschaltet, die den Ausschluss hätten beschließen oder revidieren können.
Thomas Bach klagt die Wada an, dass sie den seit Jahren vorliegenden Erkenntnissen nicht konsequent nachgegangen sei, spricht das IOC von Schuld frei. Nachvollziehbar für Sie?
Die inakzeptablen Vorgänge in Russland mit jahrelangem Staatsdoping sind eindeutig auf massive Fehler der Wada zurückzuführen. Ihr lagen über Jahre klare Hinweise vor, denen nicht oder nur oberflächlich nachgegangen wurde. Bedenklich stimmt jedoch die Tatsache, dass über die Vorsitzenden dieser Institution durchaus die Verbindung zum IOC gegeben war und dennoch zu wenig passiert ist. Darin liegt nun sicher die klare Verantwortung für die Zukunft – Thomas Bach wird die Weichen sicher zügig und schnell neu stellen und hat dazu ja bereits zu einem grundsätzlichen Wada-Gipfel eingeladen.
Bach fordert eine grundlegende Reform der Wada. Wie könnte die aussehen?
In der Wirtschaft würde man wohl nach dem Prinzip des „Best practice“ vorgehen. Wo gibt es weltweit Vorbilder bei der Dopingbekämpfung? Und da höre ich erfreulicherweise immer wieder, dass unser deutsches Kontrollsystem zu den besten und effizientesten gehört. Ich sehe allerdings auch bei unserer Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) noch Reformbedarf. Insbesondere die Frage der Neutralität ist neu zu diskutieren. Soll der Sport in dem Aufsichtsgremium einer Institution vertreten sein, die ihn kontrolliert? Wie und durch wen muss die Politik vertreten sein? Wir sollten selbstkritisch prüfen, ob künftig nicht wirklich neutrale Personen die Kontrollaufgaben bei der Nada übernehmen.
Ein weltweites Kontrollsystem, das diesen Namen auch verdient, kostet sehr viel Geld. Wo soll das herkommen?
Wenn die Dopingbekämpfung so wichtig ist, wie Regierungen und Sportorganisationen immer sagen, und das ist sie, dann müssen die entsprechenden Mittel auch bereitgestellt werden. Das Geld scheint mir in diesem Zusammenhang auch derzeit bei Weitem nicht das größte Problem zu sein. Der Leistungssport durchlebt gerade eine große Glaubwürdigkeitskrise. Wir müssen handeln. Sofort.
Ist die fehlende Chancengleichheit einer der Gründe, warum deutsche Sportler international immer öfter abgehängt werden?
So weit würde ich nicht gehen, obwohl Doping kein russisches, sondern erkennbar ein weltweites Problem ist. Die Gründe sind vielfältig. Unser deutsches Leistungssportsystem ist in manchen Bereichen nicht mehr effektiv genug. Das versuchen wir in Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium (BMI) gerade zu ändern.
Letztlich fehlt es doch vor allem am Geld, wie für gute Trainer. Das BMI will die Spitzensportförderung aber kappen.
Nicht zwangsläufig. Wir werden die Diskussion mit dem BMI jetzt sachgerecht und offensiv weiterführen. Wir haben gute Argumente und Konzepte, und ich bin überzeugt, dass wir zu einem akzeptablen Ergebnis kommen werden.
Eine letzte Frage zu Hamburg. Wie nehmen Sie die sportlichen Aktivitäten nach dem Olympia-Aus wahr?
Ein halbes Jahr lang schien der Sport in Hamburg in Agonie gefallen zu sein, doch was wir jetzt mitbekommen, macht einen guten Eindruck. Es ist bei allen Verbänden positiv registriert worden, dass Hamburg mit einer Delegation bei den Spielen in Rio vertreten war, dass der Sport in der Stadt weiter an Bedeutung gewinnen soll. Dass mit dem Masterplan „Active City“ gewissermaßen ein olympisches Erbe bewahrt wird, also für die Bewerbung angedachte Projekte fortgeführt werden sollen, lässt mich hoffen, dass die Olympiakampagne der Stadt und dem Sport hier doch etwas genutzt hat. Wenn dann noch andere Infrastrukturprojekte, die für Olympia vorgesehen waren, umgesetzt werden, würde mich das sehr freuen. Das hieße, dass die Olympiakandidatur der Stadtentwicklung doch erkennbar und nachhaltig wertvolle Impulse verliehen hat.