Es war ein emotionaler Abschied von Bastian Schweinsteiger. Selbst ein Flitzer wurde warm auf dem Platz empfangen.
Mönchengladbach. Von Manuel Neuer und Thomas Müller wurde er auf den Schultern in die Fankurve getragen – die ganze Mannschaft warf ihren scheidenden Kapitän in die Luft. Dieser Abend gehörte nur Bastian Schweinsteiger. Bei seinem tränenreichen Abschied hat der scheidende DFB-Kapitän mit einer blutjungen Nationalmannschaft noch einmal einen Sieg bejubeln können. „Jeder ist traurig. Wir wissen, was für ein großartiger Kerl und Fußballer er ist“, sagte Mesut Özil nach dem 2:0-Testspielsieg gegen Finnland.
„Ich habe das Gefühl, er war mal leichter“, sagte Müller, der ihn auf der Schulter trug, mit einem Schmunzeln im Gesicht. Schweinsteiger konterte prompt: „Ich denke, er ist eher zu schwach.“ Unabhängig davon, wer recht hat, Müller betonte, Schweinsteiger in Zukunft beim DFB zu vermissen. „Ich bin schon ein bisschen traurig, Siege künftig nicht mehr mit ihm feiern zu können.“ Doch selbst darauf hatte der scheidende Kapitän einen Konter parat: „Er vermisst mich wohl eher auf dem Golfplatz“, sagte der 32-Jährige.
Sportlich nahm das Testspiel kaum jemand ernst. Das beste Beispiel dafür gab es in der 61. Minute: Ein Flitzer lief auf den Platz und umarmte Schweinsteiger. Der Kapitän machte in aller Ruhe ein Selfie mit dem Mann, ehe die Ordner sich in aller Ruhe auf den Weg machten, um ihn vom Feld zu geleiten.
Auch Löw wird Schweinsteiger vermissen
Bei Schweinsteigers letztem Länderspiel schenkte die DFB-Elf dem 32-Jährigen einen Sieg vor 30.121 Fans. Der gut elf Jahre jüngere Max Meyer (54. Minute) und Özil (78.) in seinem 80. Länderspiel erzielten am Mittwoch in Mönchengladbach die Tore.
„Dass es so schön sein würde, hätte ich mir nicht erträumt. Es hat mich sehr gerührt“, sagte Schweinsteiger. „Die Nationalmannschaft ist wie eine Familie. Mich verbindet vor allem mit Joachim Löw sehr viel, ich habe viele Freunde gewonnen in meinen zwölf Jahren beim DFB.“ Löw gab das Lob prompt zurück: „Basti hat die Nationalmannschaft geprägt. Ohne ihn wären unsere Erfolge in den letzten Jahren nicht möglich gewesen. Er wird mir fehlen.“
Tränen kullerten schon vor dem Anpfiff
Sportlich wieder ernst wird es für die Nationalelf am Sonntag in Oslo, wenn gegen Norwegen gleich der erste Sieg auf dem Weg zur WM-Titelverteidigung 2018 in Russland gelingen soll. Im Mittelpunkt stand im Borussia-Park noch einmal Schweinsteiger, der nach 66 Minuten für Julian Weigl ausgewechselt wurde und seine schwarz-rot-goldene Binde mit auf die Bank nahm. „Schweinsteiger, Fußball-Gott“, skandierten die Zuschauer.
Schon vor dem Anstoß war die Stimmung emotional. „Es war für mich eine große Ehre, für Deutschland und euch Fans zu spielen“, sagte der 32 Jahre alte Schweinsteiger über das Stadionmikrofon. Die Zuschauer im Borussen-Park applaudierten minutenlang. Schweinsteiger liefen die Tränen über das Gesicht, seine Familie jubelte auf der Tribüne. „Ich spüre einen tiefen Dank“, rief der Weltmeister.
Süle debütierte
In seinem letzten Einsatz nach über zwölf Jahren im Trikot des Deutschen Fußball-Bundes musste Routinier Schweinsteiger ein junges und völlig neu zusammengestelltes Team anführen. Bundestrainer Joachim Löw machte aus der Generalprobe für die am Sonntag in Norwegen startende WM-Qualifikation einen Talente-Test. Der Kapitän konnte allein auf mehr Länderspiel-Einsätze verweisen (121) als seine zehn Mitspieler zusammen (117).
Schweinsteiger leitete mit einem schönen Pass auf Karim Bellarabi auch die erste gefährliche Aktion der Gastgeber ein – doch Torhüter Lukas Hradecky war zur Stelle. Der zum FC Arsenal gewechselte Shkodran Mustafi, neben Schweinsteiger und Mario Götze der einzige Weltmeister in der Startelf, köpfte nach einer Ecke wenig später aus sechs Metern unbedrängt über das Suomi-Tor. Den größten Beifall aber gab es immer, wenn Schweinsteiger – meist unbedrängt – am Ball war. Einen Freistoß schoss der England-Legionär in die Mauer (17.).
Die drei olympischen Silbermedaillen-Gewinner von Rio, die Löw ins A-Team und gleich in die Startelf befördert hatte, brachten sich gut ins deutsche Spiel ein. Der Hoffenheimer Debütant Niklas Süle als 83. Neuling in der Ära Löw verteidigte in der Dreierkette ohne Probleme und schoss mutig aus der Distanz (42.). Der agile Schalker Meyer und der Leverkusener Julian Brandt waren an gefälligen Offensiv-Kombinationen beteiligt. Die Anfangself wies einen Alterschnitt von gerade einmal 22,6 Jahren auf – Schweinsteiger nicht mitgerechnet.
Meyer und Özil treffen
Glück hatten die Finnen, die vor dem Duell in Mönchengladbach immerhin 17 Jahre nicht gegen Deutschland verloren hatten, als ein Rettungsversuch von Paulus Arajuuri am eigenen Pfosten landete (27.). Und als Meyer den Ball geschickt zu Dortmunds zurückgekehrtem Sohn Mario Götze durchsteckte, zeigte sich wieder eine Hauptschwäche aus den EM-Tagen von Frankreich: Die mangelnde Chancenverwertung. Götze hatte schon zwei Gegenspieler ausgespielt, das leere Tore quasi vor Augen - doch ein dritten Finne konnte doch noch klären (32.). Auch nach der Pause vergab Götze freistehend (65.).
Für Löw ist aber ohnehin wichtiger, dass der Ex-Münchner wieder in den Rhythmus kommt. In Oslo braucht er den WM-Finaltorschützen Götze, der in Dortmund wegen Fitnessproblemen noch nicht gespielt hat, wie viele der anderen Stammspieler dringender. Allerdings scheinen die Norweger von Topform weit entfernt: Sie verloren den letzten Test zu Hause gegen Weißrussland 0:1. Meyer brach gegen die Finnen den Bann: Götzes Eingabe von rechts ließ der Neu-Leverkusener Kevin Volland passieren – der Schalker erzielte sein erstes Länderspieltor im zweiten Einsatz. Dann traf noch Özil.
Nachdem sich ein Flitzer mit einem Trikot mit der Nummer 7 direkt auf dem Rasen ein Selfie mit Schweinsteiger abgeholt hatte, gab es nach 67 Minuten den großen Abschiedsmoment. „Das bedeutet mir sehr viel, dass jeder Einzelne hier steht“, sagte Schweinsteiger, für den der junge Dortmunder Julian Weigl kam. Die Kapitänsbinde nahm Schweinsteiger einfach mit auf die Bank – ein in der Geschichte der Nationalelf wohl einmaliger Vorgang. Er umarmte Löw und alle seine Kollegen. Die Nachfolge blieb zunächst offen, ehe Müller die Binde später wieder aufs Feld führte.