Um einzuordnen, wie die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zu bewerten ist, eine russische (Rumpf-)Mannschaft trotz erwiesenen systematischen Staatsdopings zu den Sommerspielen in Rio zuzulassen, reicht ein Blick auf die Reaktionen. Während Russlands Sportminister Mutko den Beschluss der IOC-Exekutive begrüßte, waren sich die meisten deutschen Sportler und Funktionäre in ihrer Enttäuschung einig: Das ist nicht das erhoffte Signal im Kampf gegen Doping.
Dass das IOC die Empfehlung der Welt-Antidoping-Agentur unterlaufen hat, die sich aufgrund eindeutiger Beweise für einen kompletten Ausschluss Russlands ausgesprochen hatte, mag nicht nur rechtsstaatlichem Empfinden – mit dem Verweis auf die Unschuldsvermutung jedes Einzelnen – geschuldet sein. Das IOC scheute die Machtprobe mit Russland, und es fürchtete Schadenersatzforderungen im höheren Millionenbereich. Darüber hinaus delegiert das IOC die finale Entscheidung über das Startrecht an die internationalen Fachverbände und das Schiedsgericht CAS in Lausanne. Das nennt man wohl Wegducken vor der Verantwortung.
Fakt ist auch: Keine der getroffenen Maßnahmen trifft den russischen Sport nachhaltig. Der in Moskau verhassten Doping-Kronzeugin Julija Stepanowa wurde zudem in Beugung des Sportrechts die Olympiateilnahme verwehrt. Nicht einmal zu einer massiven Geldstrafe konnte sich das IOC durchringen.
Dass IOC-Präsident Bach Stepanowa und ihren Ehemann als Entschädigung zum Zuschauen nach Rio einlud, ist an Zynismus kaum zu überbieten. Politische Rücksichtnahmen wurden stärker gewichtet als die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Sports. Ebenso schändlich: Kein Wort des Bedauerns an die von gedopten russischen Athleten jahrelang betrogenen, mutmaßlich sauberen Konkurrenten. Die vom IOC gepredigte „null Toleranz gegenüber Doping“ hat sich im Ernstfall als Luftnummer erwiesen.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Nicht nur in Russland wird gedopt, sondern weltweit. Es gäbe aber genug Instrumentarien, Doping zu bekämpfen und Chancengleichheit herzustellen. Das IOC und die internationalen Fachverbände waren dazu bislang nie bereit. Nun scheint ein überführtes Dopingsystem glimpflich davonzukommen. Der Schaden ist noch nicht abzusehen. Wer braucht jetzt noch Olympische Spiele?