Hamburg. Die Gläubiger der HSV Handball Betriebsgesellschaft fordern rund 10,5 Millionen Euro. Insolvenzverwalter Böhm erkennt nur 2,5 Millionen an
Achim Leoni
Das Dokument des Versagens umfasst 324 Positionen. Es sind die Forderungen der Gläubiger an die HSV Handball Betriebsgesellschaft mbh & Co. KG, des wirtschaftlichen Trägers der einstigen Bundesligamannschaft. Am 14. Dezember vergangenen Jahres waren alle Rettungsversuche gescheitert, Geschäftsführer Christian Fitzek musste Insolvenz beim Amtsgericht Hamburg anmelden.
Am 20. Januar entzog die Handball-Bundesliga (HBL) dem HSV Hamburg die Erstligalizenz, fünf Tage später nahm Insolvenzverwalter Gideon Böhm die Mannschaft aus dem Spiel. Um die Saison zu Ende zu führen, was dennoch möglich war, fehlte das Geld. Die Einlagen auf den Vereinskonten und einem Notaranderkonto summierten sich zu diesem Zeitpunkt auf rund 34.000 Euro.
Dagegen standen unbezahlte Rechnungen, nicht abgeführte Steuern und Sozialabgaben, offene Gehaltszahlungen an Spieler und Geschäftsstellenmitarbeiter – und die Betreiber der Barclaycard- und Volksbank-Arena reklamierten Mietrückstände in sechsstelliger Höhe. Alles in allem, das stellte sich jetzt heraus, türmten sich die Forderungen der Gläubiger auf 10.563.968,55 Euro.
Den größten Teil der Forderungen hat Insolvenzverwalter Böhm inzwischen als nicht rechtens bewertet, insgesamt 8.078.322,65 Euro. Gegen diese Entscheidung können die Betroffenen vor dem Amtsgericht klagen. Die Erfolgsaussichten dürften gering sein.
Unter dem Strich bleiben immer noch 2.485.645,90 Euro, die die HSV Betriebsgesellschaft Spielern, Trainern, Angestellten, Hallenbetreibern, Handwerksbetrieben, Sicherheitsfirmen, Dienstleistern, Deutschlehrern, Krankenkassen, öffentlichen Institutionen, dem Mannschaftsarzt, der Physiotherapeutin, anderen Vereinen und nicht zuletzt seinen Dauerkarteninhabern schuldig geblieben ist. Die letzte Gruppe macht die überwiegende Anzahl der Gläubiger aus, mit Summen zwischen 60 und 1000 Euro. Sieben HSV-Heimspiele waren in diesem Jahr in der Bundesliga-Rückrunde nach der Insolvenz ausgefallen.
Hauptgläubiger bleibt der Ahrensburger Medizintechnikunternehmer Andreas Rudolph, der ehemalige Vereinspräsident, Hauptsponsor und Mäzen, der in den elf Jahren seines Engagements wohl mehr als 50 Millionen Euro in den Club und die Mannschaft investiert haben dürfte. „Davon will ich keinen Cent wiederhaben“, hatte Rudolph auf einer Pressekonferenz am 19. Dezember im Hotel Radisson Blu am Hamburger Flughafen erklärt.
Dennoch fordern er und seine Andreas Rudolph Vermögensverwaltung GmbH knapp 3,4 Millionen Euro vom HSV. Dahinter stehen von der Betriebsgesellschaft nicht zurückgezahlte Darlehen, die Rudolph in wirtschaftlich kritischen Phasen zur Auszahlung von Gehältern und Hallenmieten gewährte.
Böhm erkannte die Forderungen unter anderem nicht an, weil Rudolph bis zum Januar 2013 Mehrheitsgesellschafter der damaligen GmbH war und seine Darlehen mit einer Rangrücktrittsvereinbarung versehen hatte. Rudolph hatte damit vorläufig auf die Erfüllung seiner Forderungen verzichtet, um eine bilanzielle Überschuldung der Gesellschaft zu verhindern.
Auch sein Bruder Matthias Rudolph, seit Januar 2013 Mehrheitsgesellschafter und zwischenzeitlich auch Vereinspräsident, darf sich kaum Hoffnungen machen, seine Kommanditeinlage in die GmbH & Co. KG von rund einer Million Euro wiederzubekommen. Das Gleiche gilt für alle übrigen Kommanditisten, darunter Andreas Rudolphs Sohn Thorsten, die Ansprüche beim Insolvenzverwalter angemeldet haben. Auch Bundesligaclub ThSV Eisenach wird wohl kein Geld aus Hamburg sehen. Die Thüringer hatten 46.223,10 Euro Einnahmeverluste für ihr ausgefallenes Heimspiel gegen den HSV reklamiert, die Füchse Berlin aus dem gleichen Grund sogar 376.667,80 Euro Schadenersatzansprüche angemeldet. Böhm lehnte beides ab.
Unbestritten sind die Steuerforderungen des Finanzamtes Hamburg-Altona über 606.813,13 Euro und die Mietforderungen der Anschutz Entertainment Group für die heutige Barclaycard-Arena über 624.032,62 Euro. Für etwa 20 HSV-Heimspiele dürfte damit keine Hallenmiete gezahlt worden sein. Der Mietpreis war gestaffelt nach Besucherzahlen. Auch zehn Krankenkassen gehören zu den großen Gläubigern. Ihre Gesamtforderungen: rund 295.000 Euro. Davon werden 227.000 Euro von Böhm nicht akzeptiert.
Anerkannt sind aber jene 179.145,31 Euro, die der Handball-Sport-Verein Hamburg e. V. der Betriebsgesellschaft für entgangene Lizenzgebühren in Rechnung stellte. Weil die Zahlung ausfiel, drohte auch dem eingetragenen Verein die Insolvenz. Die ist abgewendet. Der Club plant nach dem Aufstieg in die Dritte Liga mithilfe zahlreicher Unterstützer unter neuer Führung jetzt die kommende Spielzeit.
Die HSV-Profis und -Trainer haben ebenfalls berechtigte Gehaltsansprüche an die GmbH & Co. KG, insgesamt 428.830,07 Euro. Einige Spieler, darunter ein Besserverdiener, haben ihre Forderungen beim Insolvenzverwalter nicht aufgelistet. Die Mannschaft hatte für drei Monate Insolvenzgeld erhalten, die Angestellten der Geschäftsstelle für zweieinhalb. Das reguläre Gehalt war ihnen zuvor einen Monat länger als Spielern und Trainern gezahlt worden. Bis auf den rekonvaleszenten serbischen Rückraumschützen Drasko Nenadic hatten alle Spieler im Januar neue Verträge bei anderen Clubs erhalten, die Geschäftsstellenmitarbeiter dagegen waren vom 15. Januar an arbeitslos.
Auch sieben Handballprofis desZweitligaclubs Minden fordern Geld
Sieben Spieler des Bundesliga-Absteigers GWD Minden glauben auch zu den Gläubigern zu gehören. Offenbar hatte sie ein Anwalt ermutigt, Forderungen gegen den HSV zu erheben, weil die Hamburger vergangenen Sommer zu Unrecht die Erstligalizenz erhalten hätten. Minden hätte als Viertletzter von einem Lizenzentzug profitiert. Die Profis wollten daher die Differenz zwischen ihrem ehemaligen Erst- und jetzigen Zweitligagehalt einklagen, Summen zwischen 6000 und 48.000 Euro. Insolvenzverwalter Böhm lehnte auch diese Forderungen ab. Der Verein GWD Minden selbst, als Tabellenzweiter der Zweiten Bundesliga vor der Rückkehr in die Erstklassigkeit, hatte keine Ansprüche geltend gemacht.
Ob überhaupt ein Gläubiger mit der Begleichung zumindest eines Teils seiner Ansprüche rechnen darf, ist zweifelhaft. Im Augenblick ist kein Geld da, selbst die Kosten des Insolvenzverfahrens von rund 138.000 Euro sind offen. Böhm will deshalb Andreas Rudolph verklagen, weil gegen ihn „berechtigte Forderungen“ aus Verpflichtungserklärungen gegenüber der Handball-Bundesliga aus den Spielzeiten 2014/15 und 2015/16 bestünden. Es könnte dabei um rund drei Millionen Euro gehen. Rudolph hatte – wie immer – garantiert, beim HSV für das mutmaßliche Delta zwischen Einnahmen und Ausgaben aufzukommen. Rudolphs Anwälte quittierten Böhms Ankündigung auf der Gläubigerversammlung am 13. April mit einem Lächeln. Nach ihrem Verständnis hat ihr Klient alle seine Verpflichtungen erfüllt.
Böhm wird einen Prozess gegen Rudolph, der sich über Jahre hinziehen dürfte, jedoch nur dann führen, wenn die Gläubiger für Anwalts- und Gerichtskosten in Vorleistung treten. Ob diese dazu bereit sind, soll auf der nächsten Gläubigerversammlung im Mai beschlossen werden.
Lesen Sie am Sonnabend im Abendblatt-Magazin „mehr Hamburg“: Wie konnte es dazu kommen? Der Niedergang des Handball-Sport-Vereins Hamburg.