Hamburg. HSV-Profi Lewis Holtby spricht über Interviews nach dem Spiel, sein „bewachtes“ Leben in der Öffentlichkeit und die Zeit nach dem Fußball

MarcuS Scholz

Er wollte raus. Einfach mal raus aus der Stadt, den Kopf frei bekommen. Drei Tage mal nicht an Fußball denken. Nicht einmal das Länderspiel zwischen seinem Mutterland Deutschland und seinem Vaterland England wollte Lewis Holtby sehen. Die Ostertage verbrachte der HSV-Profi daher mit den „Mädels“, seiner Verlobten Ann-Charlott und der französischen Bulldogge Emma, auf Sylt. Das Spiel zwischen Deutschland und Italien schaut sich Holtby in Hamburg mit Freunden im Fernsehen an. Zuvor nahm sich der 25-Jährige Zeit für ein Gespräch mit dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Herr Holtby, schauen Sie deutsche Spiele mit Wehmut an?

Lewis Holtby: Nein, warum?

Ihr letztes Länderspiel für den DFB liegt bald vier Jahre zurück.

Holtby: Wehmütig bin ich nicht. Ich gucke die Spiele als Fan, aber auch als jemand, der da wieder hinmöchte. Als Leistungssportler ist es wichtig, hohe Ziele zu haben.

Sie glauben an eine Rückkehr?

Holtby: Ich weiß, dass ich noch Luft nach oben habe. Ich muss mich immer wieder zu meiner Topleistung pushen, um hoffentlich irgendwann zurückzukommen. Solange ich noch Fußball spiele, werde ich immer daran arbeiten.

Kann Ihr Trainer dabei helfen?

Holtby: Bruno Labbadia führt viele gute Gespräche mit mir. Er brennt, er lebt für den Fußball in jedem Moment. Er ist ein brutaler Motivator und Fußballkenner. Er strahlt eine große Klarheit aus, ist ehrlich und objektiv. Er ist ein sehr guter Trainer, der immer ein gutes Gespür für seine Spieler hat.

Ihren Hang zum Überdrehen konnte Labbadia Ihnen noch nicht nehmen ...

Holtby: Das sagt der Trainer mir auch. Ich bin jemand, der immer etwas bewegen will. Aber ich muss in manchen Aktionen ruhiger sein. Daran arbeite ich, das ist ein Entwicklungsprozess.

Gilt das auch für Ihr Verhalten nach Spielen? Ihre offene Ausdrucksart bringt Ihnen immer mal Probleme ein.

Holtby: Wenn ich vom Spielfeld komme, bin ich noch auf 180. Wenn ich dann bei Interviews gefragt werde, spreche ich frei von der Seele, da kann ich mich nicht verstellen. Wenn man dann sagt, was man fühlt, wird einem das schon mal schlecht ausgelegt.

Sie meinen das Spiel gegen Ingolstadt, als Sie den Gegner als „eklig“ bezeichneten?

Holtby: Ich habe ihre Spielweise als eklig bezeichnet. Die Aussage wurde komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Zuvor habe ich fünf Minuten lang Selbstkritik geübt. Was bleibt, war die Aussage über den Gegner.

Sind Sie vorsichtiger geworden, was Sie öffentlich sagen?

Holtby: Ich kann mit den Reaktionen umgehen. Was andere über mich denken, nehme ich nicht zu wichtig. Dafür habe ich mein privates Umfeld, das mich kennt. Alles andere blende ich aus. Ich werde immer versuchen, authentisch das zu sagen, was ich fühle.

Ist das öffentliche Leben in Zeiten von Smartphone und Facebook schwieriger geworden? Private Vorfälle wie bei Max Kruse bleiben selten geheim.

Holtby: Das ist ein heikles Thema. Ich hatte da auch schon Schwierigkeiten. Man ist jung und steht in der Öffentlichkeit. Aber jeder Fußballer ist nur ein Mensch. Ich will Max Kruse nicht verteidigen, aber er hat niemandem etwas getan. Es passieren viel schlimmere Dinge auf dieser Welt. Aber wenn ein Fußballer einen Fehler macht, wird das medial hochgeschaukelt. Wir Spieler müssen lernen, damit umzugehen.

Wo liegt Ihre Grenze?

Holtby: Wenn mich Leute in der Öffentlichkeit nach einem Foto fragen, ist das kein Problem. Ich habe keine Starallüren. Aber wenn mich jemand ungefragt von der Seite fotografiert, dann kann ich auch mal stinkig werden.

Werden die Menschen distanzloser?

Holtba: Es wird immer schwieriger, sich in der Öffentlichkeit frei zu bewegen. Egal wo du hingehst, ob in die Kneipe oder in einen Club, wenn du im Supermarkt Zwiebeln kaufst oder im Zeitschriftenladen vor Magazinen stehst, du wirst beobachtet. Im Vergleich zu David Beckham haben wir es aber noch gut.

Aber das Leben in der Öffentlichkeit genießen Sie schon, oder?

Holtby: Es ist eine schöne Anerkennung. Wichtig ist, sein Privatleben zu bewahren. Im Beruf bin ich der Holtby, aber privat bin ich der Lewis. Und ich bin gerne auch mal einfach nur Lewis.

Sie sind mit 17 Profi geworden. Vermissen Sie ein Stück Ihrer Jugend?

Holtby: Die Jugendzeit verfliegt, weil du immer auf Tour bist. Aber ich bereue den Weg nicht. Ich vermisse nichts. Ich bin immer noch jung und lebe meinen Traum jeden Tag. Viele meiner Freunde, die auf dem gleichen Niveau waren, haben andere Sachen vorgezogen. Ich habe mich immer auf den Fußball fokussiert, weil ich meinen Traum erfüllen wollte. Dafür habe ich alles in die Waagschale geschmissen. Ich musste früh erwachsen werden.

Wenn man Sie beobachtet, wirken Sie noch sehr jugendlich.

Holtby: Es ist wichtig, sich den Spaß zu erhalten. Wir Menschen versuchen zu sehr erwachsen zu sein, zu streng und zu ernst. Ich habe mir immer gesagt, dass ich mir meine jugendliche, positiv bekloppte Art erhalten möchte. Auch später, wenn ich Kinder habe.

Für einen Fußballprofi sind Sie mit 25 vergleichsweise spät dran ...

Holtby: Das erste Ziel ist, meine Verlobte zu heiraten. In zwei bis drei Jahren kann ich mir dann gut vorstellen, Vater zu werden. Ich bin bereit dafür. Es gibt doch nichts Schöneres, als ein eigenes Kind großzuziehen.

Haben Sie Bedenken, in diesen Zeiten Kinder in die Welt zu setzen?

Holtby: Es macht mich traurig, was passiert. Es ist sehr bedenklich. Die Lage ist ernst. Aber davon darf man sich nicht beeinflussen und einschränken lassen. Ich versuche mein Leben so gut wie möglich weiterzuleben.

Denken Sie auch schon an das Leben nach der Karriere?

Holtby: Ich will am liebsten wie Zé Roberto noch bis 40 Fußball spielen. Danach gibt es viele Ideen. Eine davon ist, Jugendtrainer zu werden.

Aber einen Anschlussvertrag als HSV-Jugendtrainer haben Sie noch nicht?

Holtby: Nein, mein Vertrag läuft noch zwei Jahre. Da bin ich ja erst 27. Im Moment denke ich nur an die nächsten Spiele. Wir haben zwei Schlüsselspiele vor uns. Was die nahe Zukunft bringt, wird sich zeigen. Et kütt, wie et kütt, wie man bei uns sagt.

Wollen Sie zurück an den Rhein?

Holtby: Ich fühle mich sehr wohl in Hamburg, ich liebe die Stadt, aber ich vermisse das Rheinische, die offene Art. Wenn ich nach Gerderath fahre in mein kleines Dorf und ich sehe die alten Straßen, den Sportplatz und die Menschen mit ihrem Dialekt, da geht für mich nichts drüber. Wenn Sie mich fragen, ob Malediven oder Karibik, sage ich Gerderath. Dort habe ich meine Liebe zum Fußball entdeckt. Aber wieder auf dem Dorf leben? Das macht meine Verlobte wohl nicht mit (lacht).