Leipzig. Die deutschen Sprinter lassen bei den Hallenmeisterschaften der Leichtathleten für die Olympischen Spiele hoffen. Sussmann Dritte über 3000 Meter
Seit Jahrzehnten waren keine deutschen Sprinter so schnell wie Tatjana Pinto vom SC Paderborn und Julian Reus vom TV Wattenscheid. Erst knackte Reus bei den deutschen Hallenmeisterschaften der Leichtathleten in Leipzig mit 6,52 Sekunden über 60 Meter den Uralt-Rekord von Sven Matthes aus dem Jahr 1988. Dann schob sich Pinto mit 7,07 Sekunden über 60 Meter auf Platz vier der ewigen deutschen Bestenliste vor. In ihren ausgelassenen Jubelgesten und ihrer spontanen Verarbeitung der außergewöhnlichen Vorstellungen auf der blauen Tartanbahn in Worte ähnelten sich die schnellsten Deutschen sehr.
Doch von diesem Montag an ist es vorbei mit den Gemeinsamkeiten. Zwei Wege führen nach Rio: In der Vorbereitung auf den Saisonhöhepunkt bei den Olympischen Spielen in Brasilien haben Reus und Pinto gegensätzliche Strategien gewählt. Obwohl Reus an erster Stelle der europäischen Jahresbestenliste steht, verzichtet der 27-Jährige auf einen Start bei der Hallen-WM im März. Für ihn ist alles auf das große Ziel Olympia ausgerichtet, wo er mit der deutschen Staffel eine Medaille gewinnen will.
Dagegen sieht Pinto, die nach einer mehrmonatigen Pause aufgrund eines familiären Schicksalsschlags so stark wie nie zurückkehrte, die Hallen-WM als Generalprobe für Rio. „So eine Gelegenheit darf sich ein Läufer nicht entgehen lassen“, sagte die 23-Jährige.
Als Reus im 60-Meter-Finale über die Ziellinie stürmte, schaute er sofort über seine linke Schulter, um die elektronische Anzeigetafel im Blick zu haben. Und nur einen Moment später leuchtete es in orangenfarbenen Ziffern auf schwarzem Grund auf: 6,52 Sekunden. Der Sprinter riss spontan beide Arme in die Höhe und fasste sich an den Kopf. Schon zweimal hatte Reus in dieser Hallensaison den 28 Jahre alten Rekord des Berliners Sven Matthes mit 6,53 Sekunden eingestellt. „Ich freue mich riesig, dass ich den Rekord für mich allein habe“, strahlte der Wattenscheider, der am Sonntag auch noch den Titel über 200 Meter in sehr guten 20,55 Sekunden gewann.
Nach seiner Galavorstellung wurde Reus gefragt, ob er schon realisieren könne, dass er sowohl über 100 Meter im Freien als auch über 60 Meter der schnellste Deutsche aller Zeiten ist. „Nein, so etwas kann man erst nach der Karriere richtig fassen“, antwortete Reus. „Außerdem will ich in meiner Laufbahn noch etwas schneller rennen.“ Im März wird er allerdings bei der Hallen-WM in Portland (USA) keinen erneuten Anlauf auf eine Rekordsteigerung unternehmen. „Es bleibt dabei: Ich starte bei der WM nicht“, stellte Reus klar. „Am Montag werde ich einen freien Tag einlegen, und dann beginnt für mich die Vorbereitung auf Olympia.“
Und obwohl er in der Hallen-Weltjahresbestenliste über 60 und 200 Meter auf Platz drei liegt, ist Reus realistisch genug, um seine Chancen bei Olympia richtig einzuschätzen. Über 100 Meter hält er mit 10,05 Sekunden auch den deutschen Rekord und traut sich sogar eine Zeit von 9,99 zu, aber als Zehnter der Weltrangliste 2015 wurde der Franzose Jimmy Vicaut in 9,92 Sekunden notiert. Das Hinterherlaufen gegen die Großen des Sprints, die in der Mehrzahl schon mal des Dopings überführt wurden, nervt Reus nicht mehr: „Ich bin damit groß geworden und lebe seit Jahren damit. Der Sport gibt mir so viel. Da muss ich nicht jeden Tag frustriert sein.“ Der Traum von einer olympischen Medaille lebt trotzdem. „Mit der Staffel wollen wir bei Olympia nach den vierten Plätzen bei den Weltmeisterschaften 2013 und 2015 um eine Medaille kämpfen“, sagt Reus. Dann wäre sein Weg genau richtig gewesen.
Als Jana Sussmann die blaue Tartanbahn der Leipziger Arena verließ, da musste sie gleich Blut lassen. Ein Piekser ins Ohr war nötig, um die Milchsäure-Konzentration nach ihrem 3000-Meter-Lauf zu bestimmen. Die Blutanalyse kann wichtig sein für die weitere Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro.
Eine Erkenntnis hat die Hindernisspezialistin vom Lauf-Team Haspa-Marathon Hamburg jedoch schon: Ihre Form stimmt. In 9:11:07 Minuten landete sie über 3000 Meter in persönlicher Bestzeit auf Platz drei. „Ich bin sehr zufrieden. Ich bin ein kluges Rennen gelaufen, nicht zu schnell angelaufen und habe am Ende noch mal richtig Gas gegeben“, erzählte die 25-Jährige.
Mit dieser Zeit kann sie optimistisch in die Freiluftsaison gehen. Über 3000 Meter Hindernis darf sie sich Chancen auf das Olympia-Ticket ausrechnen. „Man kann 30 Sekunden von der 3000-Meter-Zeit auf die Distanz mit Hindernissen draufrechnen. Das wären 9:41 Minuten. Die Olympianorm liegt bei 9:45 Minuten.“
Das Tempo der beiden deutschen Hoffnungsträgerinnen auf der Mittel- und Langstrecke konnte Sussmann allerdings nicht mitgehen. Die Leverkusenerin Konstanze Klosterhalfen, gerade 19 geworden, verbesserte den U-20-Europarekord auf 8:56,26 Minuten, Alina Reh, 18, vom SSV Ulm stand ihr in 9:00,58 kaum nach. Weitere Glanzpunkte setzten Weitspringerin Alexandra Wester (Mainz/6,75 Meter), Cindy Roleder (Leipzig) über 60 Meter Hürden in 7,88 Sekunden und Dreispringer Max Heß (Chemnitz), der mit 17,00 Metern punktgenau die WM-Norm erfüllte.
Mit enttäuschtem Gesicht verließ dagegen Sussmanns Teamkollegin die Halle. Agata Strausa landete im 3000-Meter-Finale in 9:30,91 Minuten auf Rang fünf. Bis 750 Meter vor dem Ziel hatte sie noch vor Sussmann gelegen. „Ich habe es probiert, aber es war zu schnell“, sagte die 26-Jährige. „Am Ende hatte ich müde Beine.“