Hamburg. Als der Sport gleichgeschaltet wurde: Ausstellung im Rathaus dokumentiert den Hamburger Fußball in der Zeit des Nationalsozialismus.
Als Walter Wächter 1925 im Alter von zwölf Jahren in den HSV eintrat, fiel sein Talent nicht auf Anhieb auf. Die Trainer ordneten den schmächtigen Schüler aus Eimsbüttel als rechten Verteidiger in der sechsten Jugendmannschaft ein. Später wurde er sogar in die siebte Mannschaft herabgestuft. Dann aber, dank viel Fleiß und ein bisschen Glück, kämpfte sich der junge Mann hoch. Bis er schließlich in der ersten Nachwuchsmannschaft spielen durfte, als Mittelstürmer.
Aber Wächter hatte ein Problem: Er war jüdischen Glaubens. Als er sich 1929 auf einer Feier eine antisemitische Hetzrede des Vereinsvorsitzenden anhören musste, sah sich der leidenschaftliche Fußballer und Leichtathlet gezwungen, „meinen geliebten HSV“ zu verlassen. Wächter schloss sich dem Arbeitersportverein Fichte Eimsbüttel an, nach dessen Verbot durch die Nationalsozialisten 1933 dem jüdischen Verein Bar Kochba. 1935, inzwischen kaufmännischer Lehrling, wurde er wegen Beteiligung am kommunistischen Widerstand durch die Gestapo verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach seiner Entlassung gelang ihm die Flucht aus Deutschland. Sie führte ihn schließlich nach Schweden, wo er eine Hochschulkarriere machte. Seine Eltern sah Walter Wächter nie wieder, sie wurden 1941 von Hamburg nach Riga deportiert und ermordet.
Die Ausstellung „Hamburger Fußball im Nationalsozialismus“, die seit Donnerstag im Hamburger Rathaus zu sehen ist, erzählt diese Geschichte. Aus mehr als 170 Quellen haben Kurator Herbert Diercks und seine Mitarbeiter von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Dokumente zusammengetragen und so „einen wichtigen Beitrag geleistet, um eine weitere Lücke in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zu schließen“, wie Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit zur Eröffnung sagte.
Ausstellung greift wenig bekannte Themen auf
Die ausgestellten Texte und Bilder bezeugen, wie der Nationalsozialismus den Sport für seine Zwecke missbraucht und mit seiner Ideologie in das hiesige Vereins- und Verbandswesen hineingewirkt hat. Dieses, so Diercks’ These, habe mit seiner demokratischen Prägung zunächst nicht zum Wesen einer Diktatur gepasst. Zugleich sei es zu bedeutsam gewesen, um es zu zerschlagen. So blieben auch die jüdischen Vereine zunächst verschont. In der Sportgruppe „Schild“ etwa fanden Hunderte jüdische Sportlerinnen und Sportler zusammen, die 1933 aus bürgerlichen Vereinen ausgeschlossen wurden. 1938 wurde sie, wie alle jüdischen Organisationen, aufgelöst. Die bürgerlichen Vereine wiederum wurden gleichgeschaltet. Oft konnten die neuen Machthaber dabei auf linientreue Funktionäre zählen, die das sogenannte Führerprinzip durchsetzten.
Die Ausstellung greift auch wenig bekannte Themen wie Fußballspiele polnischer Zwangsarbeiter oder von Häftlingen in Neuengamme auf. Sie macht 1945 aber nicht halt, sondern dokumentiert auch, wie zaghaft der organisierte Sport seine braune Vergangenheit aufgearbeitet hat. Und sie würdigt den Einsatz von Fußballfans, wenn es darum geht, den Faschismus neuerer Prägung von Vereinen und Stadien fernzuhalten. „Angesichts des Rechtsrucks und des Rückbaus demokratischer Strukturen in Europa ist dieses zivilgesellschaftliche Engagement wichtiger denn je“, sagte Daniela Wurbs, Geschäftsführerin von Football Supporters Europe, einer Dachorganisation, die 3,5 Millionen Fans vertritt.
Torkel Wächter, 54, hält diesen Brückenschlag für wichtig. „Es ist gut, dass auch aktuelle Entwicklungen im Fußball thematisiert werden“, sagt der schwedische Künstler, der die Familiengeschichte seines 1983 verstorbenen Vaters intensiv erforscht hat, „denn leider gibt es Angst einflößende Parallelen zur heutigen Zeit.“