Hamburg. Hamburger Halbweltergewichtler Artem Harutyunya feiert mit dem Ticket für Rio den größten Erfolg seiner Karriere. Auch Neumann froh.
Die Landesfahne Brasiliens trug er um seine Schultern gewickelt, doch die Arbeit, die ihm die Reise zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro eingebracht hatte, war auch nach acht Runden im Boxring nicht beendet. Bevor Artem Harutyunyan den größten Erfolg seiner Karriere genießen durfte, musste er einen Glückwunschmarathon hinter sich bringen. Gefühlt jeder der rund 2000 Besucher, die in der Wilhelmsburger Inselparkhalle den einstimmigen Punktsieg des Hamburger Halbweltergewichtlers im Finale der Profiserie APB des olympischen Weltverbands Aiba gegen den Algerier Abdelkader Chadi miterlebt hatten, wollte sich mit dem 25-Jährigen fotografieren lassen.
„Das war wie eine Extrarunde“, sagte Harutyunyan, der zusätzlich zum im Kampf erlittenen Trommelfellriss und einer Rippenprellung auch über Schmerzen in den hundertfach beklopften Schultern klagte. Seine Laune trüben konnte aber keine dieser Blessuren. „Ich bin unheimlich stolz, dass ich Hamburg in Brasilien vertreten darf. Gemeinsam mit meinem Team habe ich mir meinen Traum erfüllt“, sagte der Sportsoldat, der am Olympiastützpunkt Schwerin beim früheren Profiweltmeistercoach Michael Timm trainiert, aber weiterhin für den TH Eilbeck startet.
Glücksgefühl nach jahrelanger Plackerei
Als der Ringrichter nach einem Kampf, der enger war, als es die Wertung der drei Punktrichter (dreimal 79:73) ausdrückte, seinen Arm zum Zeichen des Sieges in die Luft riss, da habe er sich „gefühlt wie ein Berg, den man nicht umstürzen kann“. Dieses Glücksgefühl, nach Jahren der Plackerei das große Ziel erreicht zu haben, gönnte Trainer Timm seinem Schützling, der im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern und Bruder Robert, 24, aus Armenien nach Hamburg gekommen war, von Herzen. „Der Junge kam 2010 als Hartz-IV-Empfänger nach Schwerin, und jetzt hat er das Olympiaticket in der Tasche. Das ist wie im Märchen“, jubelte Timm, „er hat sich diesen Sieg verdient, weil er sich genau an unsere Linie gehalten hat: den Algerier locken und dann abkontern.“
Dass Artem Harutyunyan im Moment des Triumphs vor allem an seine Familie dachte, war kein Zufall. Der Zusammenhalt ist seine Antriebsfeder. Vater Aram weinte am Ring vor Freude. Die Verlobte Carina, Tochter von Ex-Leichtgewichtschampion Artur Grigorian, feierte auf der Tribüne. Mutter Hamaspyur, die die nervliche Belastung nicht aushält, drückte zu Hause in der Sternschanze die Daumen. Und der im Leichtgewicht startende Robert, der ebenfalls von der Teilnahme an Olympia träumt und sich in der kommenden Woche bei der EM in Bulgarien für die WM im Oktober in Doha qualifizieren will, litt in der Ecke seines Bruders mit.
Chance auf die APD-Weltmeisterschaft
Durch den Sieg über den unsauber boxenden Chadi hat sich Artem Harutyunyan nicht nur für Rio qualifiziert, sondern auch die Chance erkämpft, APB-Weltmeister zu werden. Im September soll er Titelverteidiger Armen Zakarjan herausfordern. Ob der Kampf in der Heimat des Russen ausgetragen wird oder vielleicht wieder in Hamburg, steht noch nicht fest. Am 22. oder 26. September gastiert die APB erneut in Wilhelmsburg, Hauptkämpfer ist Superschwergewichtler Erik Pfeifer (Lohne), der als zweiter Deutscher das Olympiaticket bereits sicher hat.
Jürgen Kyas, Präsident des Deutschen Boxsportverbands (DBV), versprach, alles dafür zu tun, Artem Harutyunyan auf derselben Veranstaltung erneut Heimrecht zu ermöglichen. „Hamburg soll unsere Hochburg werden. Die Unterstützung der Stadt ist großartig, und wir wollen die Olympiabewerbung mit der Austragung hochkarätiger Events befeuern“, sagte er. Die Bewerbung um die WM 2017, die in den Messehallen und der Barclaycard-Arena (Finals) ausgetragen werden soll, ist der Höhepunkt dieser Bemühungen. In Wilhelmsburg saßen Sportsenator Michael Neumann, Jürgen Mantell als Präsident des Hamburger Sportbundes (HSB) und diverse Vertreter des Teams Hamburg, in dem die Harutyunyan-Brüder gefördert werden, zufrieden im Publikum.
Als Fremdenführer auf der Reeperbahn
Artem Harutyunyan wollte in der Nacht zu Freitag an den nächsten Kampf noch nicht denken. Zunächst müsse er seine Blessuren auskurieren, sagte er, dann wolle er sich als Fremdenführer verdingen und die Boxer, die in Wilhelmsburg zu Gast waren, durch Hamburg führen. „So etwas wie die Reeperbahn sehen die auch nicht alle Tage.“ Allzu lange werde die Auszeit aber nicht dauern. „Ich kann ja jetzt nicht die Beine hochlegen, nur weil ich ein Ziel erreicht habe“, sagte er, „ich habe noch viel mehr vor.“