Hamburg. Vor dem vierten Duell am Sonnabend kennen sich die beiden Supermittelgewichtler in- und auswendig. Die Karrierewege sind wundersam.
Es läge ein sehr weiter Weg vor Arthur Abraham und Robert Stieglitz, wollten sie den Rekord brechen, den Mike Sweeney und Danny Cripps halten. Zwischen 1906 und 1921 stiegen die beiden Londoner 63-mal miteinander in den Ring. Eine höhere Anzahl an Duellen zweier Profiboxer untereinander ist weltweit nicht gelistet, und auch Abraham und Stieglitz werden daran nichts ändern. Ihr viertes Aufeinandertreffen an diesem Sonnabend (22.20 Uhr/Sat.1) im Gerry-Weber-Stadion im westfälischen Halle soll definitiv das letzte sein, das beteuerten beide Protagonisten und ihre Trainer mehrfach.
„Keiner von beiden hat Bock, erneut gegen den anderen zu boxen. Beide wissen, wie schwer es ist, den jeweils anderen zu schlagen“, bringt es Dirk Dzemski, Coach von Pflichtherausforderer Stieglitz, auf den Punkt. Trotzdem scheint fraglich, ob das vierte Duell von der Spannung leben kann, dass sich die beiden Kontrahenten mittlerweile in- und auswendig kennen und deshalb ein „Kampf auf Messers Schneide“ zu erwarten ist, wie Dzemski es formuliert. Oder ob vielmehr das Überraschungsmoment fehlt, das Stieglitz im zweiten Kampf seinen bislang einzigen Sieg über den WBO-Champion im Supermittelgewicht gebracht hatte.
Abraham mit größeren Motivationsproblemen
Fakt ist, dass der 35 Jahre alte Weltmeister vom Berliner Sauerland-Team die größeren Motivationsprobleme haben dürfte. Abraham, im armenischen Eriwan als Avetik Abrahamyan geboren und 1995 mit seinen Eltern und dem jüngeren Bruder Alexander als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen, gilt als Lebemann, der dem süßen Müßiggang, den ihm sein – zugegeben hart erarbeitetes – Einkommen als Profiboxweltmeister ermöglicht hat, durchaus zugetan ist. Im Ring ist der Geschäftsmann, der seit fast zwölf Jahren Profi ist und in dieser Zeit 42 seiner 46 Kämpfe gewann, bekannt dafür, die ersten Runden abzuwarten, was der Gegner so kann, um dann mit cleveren Zwischenspurts die Punktrichter so zu beeindrucken, dass sie für ihn werten.
Er ist wie ein gutes Pferd, das nur so hoch springt, wie es muss, um keine Hürde zu reißen. Und weil er bei seinen Punktsiegen am 25. August 2012 in Berlin und am 1. März 2014 in Magdeburg gespürt hat, dass Stieglitz keine zu hohe Hürde darstellt, wenn er seine eigene Leistung punktgenau abruft, ist Abraham eher genervt davon, dass man ihn in ein viertes Duell mit dem ungeliebten Kontrahenten gezwungen hat. Zu gewinnen gibt es da für ihn eigentlich nicht viel. Dass er, wie bei der technischen K.-o.-Niederlage in Runde vier am 23. März 2013 in Magdeburg, als ein zugeschwollenes Auge infolge der überfallartigen Schlaghagel von Stieglitz zum Abbruch führte, erneut überrumpelt werden könnte, ist kaum vorstellbar, dafür ist der Wahl-Berliner zu schlau.
Stieglitz gilt als Schwiegermutter-Typ
Wer die beiden Boxer außerhalb des Rings kennt, der mag sich bisweilen wundern, warum sie im Ring die Rollen spielen, die sie so weit gebracht haben im Konzert der besten Supermittelgewichtler. Stieglitz, geboren im russischen Jejsk als Sergey Shtikhlits, gilt abseits des Seilgevierts als „absoluter Schwiegermutter-Typ“, wie sein langjähriger Magdeburger Promoter Ulf Steinforth sagt. Steinforth hat seit April 2001 alle 52 Profikämpfe (47 Siege) des 33-Jährigen miterlebt. „Robert ist ein absolut zuverlässiger, ehrlicher und loyaler Mensch. Manche beschreiben ihn als ruhig, aber er kann auch sehr lustig sein. Definitiv ist er aber kein Angeber wie Abraham“, sagt Steinforth.
Umso erschütterter war das Umfeld des Boxers natürlich, als im Herbst 2012 Vorwürfe erhoben wurden, Stieglitz habe seinem Schwiegervater mit einem Kantholz den Schädel gebrochen. Wegen unsicherer Beweislage wurde dieses Verfahren eingestellt, mehrere Zeugen hatten sich widersprochen. Stieglitz war stets bei seiner Version geblieben, nach der er acht Eisenstangen-Schläge seines betrunkenen Widersachers abgewehrt habe, ehe er sich mit einem gezielten Kantholzschlag gewehrt habe. In Notwehr gehandelt zu haben, das passt sicherlich besser zu dem als besonnen bekannten Sportler, der von seiner damaligen Ehefrau geschieden ist und in einer neuen Beziehung lebt.
Ringschlachten haben Spuren hinterlassen
Dagegen steht sein unbändiger Aktionsdrang im Ring, wo er nur den Vorwärtsgang kennt. Sein Siegeswille hat ihn gegen Karoly Balzsay und Abraham zum Weltmeister gemacht, seine Eindimensionalität allerdings auch schon mehrmals, gegen Abraham, Alejandro Berrio oder Librado Andrade, die Grenzen aufgezeigt. Die vielen Ringschlachten, die Stieglitz in den Knochen stecken, lassen sich nicht wegdiskutieren. Aber er hat ja schon mehr erreicht, als viele ihm zugetraut hatten. In Magdeburg ist er ein geschätzter Prominenter, der als Ehrenbotschafter der Stadt auf vielen gesellschaftlichen Events gern gesehen ist. Ein zweiter Sieg über Abraham wäre dennoch die Krönung seiner Laufbahn. Das macht ihn weiterhin gefährlich.
Abraham dagegen ist längst mehr als eine lokale Größe, er ist in seiner Heimat und in Deutschland bekannt und hat durch seine charmante und lustige Art eine Menge Fans gewonnen, die ihm gönnen, dass er seinen Erfolg zeigen und genießen möchte. Die bitteren Pleiten im Super-Six-Turnier, als er erkennen musste, dass es für die Weltspitze eben doch nicht ganz reichte, haben lange nachgewirkt. Doch nun ist er auf seine alten Tage bereit, noch zwei oder drei große Kämpfe zu machen. Stieglitz zählt er nicht in diese Kategorie, und deshalb soll ein klarer Sieg weitere Duelle mit dem ungleichen Konterpart ebenso verhindern wie die Aussicht, dass die Nachfahren von Sweeney und Cripps doch noch um den Rekord zittern müssen.