Es bleibt dabei: Klitschko kann in den USA nicht überzeugen. Nach seinem glanzlosen Sieg in New York war der Ukrainer frustriert.
New York. Gabelstapler räumten längst mit viel Getöse die Reste des Kampfabends beiseite, als Wladimir Klitschko doch noch den Weg ins Materiallager des Madison Square Gardens fand, das als provisorischer Presseraum diente. Die Abgabe der Dopingkontrolle hatte den 39-Jährigen länger aufgehalten als geplant, und so war es 1.41 Uhr Ortszeit, als der Dreifachweltmeister im Schwergewicht in der Analyse die Treffsicherheit zeigte, die ihm in den vorangegangenen zwölf Runden seiner Titelverteidigung gegen den US-Amerikaner Bryant Jennings abgegangen war.
„Ich habe den Schlüssel zum Knock-out nicht gefunden, hatte nie die richtige Distanz. Ich habe es nicht geschafft, die Leute mit einem vorzeitigen Sieg zu überzeugen, und das muss ich mir selbst ankreiden“, sagte der Ukrainer. Nun ist es nicht so, dass man sich für Siege entschuldigen muss, und an der Deutlichkeit des Punkturteils, das ein Ringrichter mit 118:109 und seine beiden Kollegen mit jeweils 116:111 ausgerechnet hatten, gab es nichts zu kritisieren. 19 WM-Kämpfe in Folge hat Klitschko nun seit Oktober 2006 gewonnen, mit 27 WM-Kämpfen hat er den Weltrekord von US-Legende Joe Louis eingestellt, und auch dessen Bestmarke, elf Jahre und acht Monate am Stück Champion gewesen zu sein, scheint nicht mehr unerreichbar.
Doch auch wenn Klitschko sich zu betonen beeilte, dass „am Ende nur der Sieg zählt und ich mich vor niemandem rechtfertigen muss“, war ihm eine Spur Unzufriedenheit anzumerken, weil ihm nicht gelungen war, was er sich selbst gewünscht hatte: Die Herzen des US-Publikums zu erobern. Viel war diskutiert worden vor der Rückkehr des Mannes in die USA, der die Königsklasse des Berufsboxens seit neun Jahren mit dem Stahlhammer regiert. Mit Schimpf und Schande war er im Februar 2008 nach dem Punktsieg gegen den Russen Sultan Ibragimow vom Hofe des noch immer bedeutendsten Boxmarkts der Welt gejagt worden, weil er die US-Medien und -Fans mit seinem zögerlichen Kampfstil verärgert hatte. Das Duell mit Jennings sollte zur triumphalen Rückkehr werden. Doch das Opfer spielte nicht mit.
Dass der 30-Jährige, der erst seit fünf Jahren als Profi in den Ring steigt und in dieser Zeit respektable 19 Siege in Folge eingesammelt hat, nicht mit der boxerischen Klasse des in nun 67 Kämpfen gestählten Olympiasiegers würde mithalten können, war keine Überraschung. Aber die Art und Weise, wie Jennings dem sieben Zentimeter größeren und sieben Kilogramm schwereren Titelverteidiger (198 cm/109,5 kg) den Kampfplan durchkreuzte, die beeindruckte. Auf flinken Beinen und mit extrem behänden Meidbewegungen entschärfte er Klitschkos beste Waffe, die linke Führhand, weil er immer wieder clever die Distanz verkürzte. Der Champion wirkte zu fest, boxte zu eindimensional, versäumte es, den linken Haken zu Hilfe zu nehmen, und brachte auch die rechte Gerade zu selten ins Ziel.
„Wladimir hat heute der Killerinstinkt gefehlt. Alle haben einen K. o. erwartet, aber Jennings hat keine Treffer zugelassen“, sagte Vitali Klitschko. Der heutige Bürgermeister von Kiew war am Freitag in New York angekommen, um seinem fünf Jahre jüngeren Bruder wie gewohnt in der Ecke beizustehen. „Ich habe alles, was er geschlagen hat, eingesteckt, er konnte mir nicht weh tun“, sagte Jennings nach dem Kampf. Weil Ringrichter Mike Griffin (Kanada) das von Gegnern und Kritikern so oft monierte Klammern Klitschkos nicht unterband, sondern dem Champion in Runde zehn dafür sogar einen Punkt abzog und Jennings am Mann schlagen ließ, konnte der tapfere Herausforderer ein ums andere Mal mit unkoordinierten Schwingern Klitschkos Gesicht lädieren. Ein Pflaster unter dessen rechtem Auge war Beweis dafür.
Dass Jennings einen Rückkampf forderte, liegt in der Natur eines Boxers, der sein Überleben im Ring schon als großen Sieg einschätzt. Eine sportliche Rechtfertigung dafür gibt es nicht, dazu war der Kampf weder hochklassig noch eng genug. Im Herbst wird Klitschko gegen den Briten Tyson Fury antreten, der vom Weltverband WBA zum Pflichtherausforderer ernannt wurde. Der 30-Jährige ist in 24 Kämpfen unbesiegt, als ebenso großmäulig bekannt wie sein Landsmann David Haye, und dürfte im lukrativen englischen Pay-per-view-Markt für eine herausragende Quote sorgen. Ob das Duell in England oder Deutschland stattfindet, ist unklar; dass es in Deutschland bei RTL läuft, sollte trotz des ausgelaufenen Vertrags nur Formsache sein, die Verhandlungen laufen.
Eine Rückkehr in den „Garden“, das Mekka des Boxens, kann sich Klitschko trotz der ausgebliebenen Demonstration seiner Offensivstärke vorstellen. Immerhin 17.056 Zuschauer, eine für New York bemerkenswert gute Zahl, wollten den Kampf bei Preisen zwischen 100 und 1000 Dollar pro Ticket live sehen. Mehr als 10.000 Ukrainer feierten ihren Landsmann frenetisch. Dass die rund 6000 US-Amerikaner dagegen Jennings lautstark unterstützten, mag anders erhofft gewesen sein; immerhin jedoch unterstrich der Abend, dass das Interesse am Schwergewicht in den USA wieder aufflammt.
Und mit dem 29 Jahre alten Deontay Wilder, der in 33 Kämpfen unbesiegt ist und den WBC-Titel besitzt, hat Amerika ja auch einen Herausforderer, auf den es wesentlich größere Stücke hält als auf Jennings, der selbst in den USA nur als Appetizer für die Anfang 2016 geplante Titelvereinigung galt. Wilder, der wie viele andere Faustkampfgrößen am Ring saß, brachte sich höflich für ein Date mit dem Dominator ins Gespräch: „Ich fand den Kampf besser als erwartet, er hat zwei Sieger hervorgebracht. Ich hoffe sehr, dass ich bald gegen Klitschko um alle Titel kämpfen kann, denn das ist der Kampf, den alle sehen wollen!“ Und vielleicht ist das auch der Kampf, mit dem Wladimir Klitschko doch noch die Herzen der US-Amerikaner berührt.