Rostock. Kommt jetzt das lang ersehnte Vierer-Turnier mit Artur Abraham und Felix Sturm? Der ausgebuffte Jürgen Brähmer machte Andeutungen.
Die zerrissene Oberlippe bedurfte einer dringenden Behandlung im Krankenhaus, wollte Robin Krasniqi doch kein hässliches Einsteckloch für einen Trinkhalm als Souvenir an den härtesten Abend seiner Profiboxkarriere zurückbehalten. Den Weg zur Pressekonferenz sparte sich der Halbschwergewichtler aus dem Magdeburger SES-Team also, er ließ sich nach verrichteter Dopingkontrolle direkt in ein Rostocker Krankenhaus bringen. Aber was hätte er auch sagen sollen, der tapfere Herausforderer? Die Tränen im Ring, die er notdürftig unter einem weißen Handtuch zu ersticken suchte, während sich sein Bezwinger von den 4500 Fans in der Stadthalle zu „Oh, wie ist das schön“-Gesängen feiern ließ, waren ja Antwort genug gewesen.
Elf lange Wochen hatte der gebürtige Kosovare auf seine zweite WM-Chance hingearbeitet, bis zu sieben Stunden täglich geschuftet. Und dann traf er auf einen Mann, der in der Form seines Lebens ist und das erneut unter Beweis stellte. Es ist keine Schande, gegen diesen Jürgen Brähmer zu verlieren, und schon gar nicht, wenn man sich neun Runden lang so tapfer und auf hohem boxerischen Niveau zu wehren weiß wie Krasniqi. Und dennoch war der 27-Jährige am Boden zerstört, nachdem er in Absprache mit seiner Ecke den Kampf um Brähmers WBA-WM-Titel nach der neunten Runde aufgegeben hatte. „Robin ist todtraurig“, ließ Promoter Ulf Steinforth zu vorgerückter Stunde die Medienvertreter wissen, „er wird drei, vier Wochen an dieser Erfahrung zu knabbern haben, bis er anruft und nach dem nächsten Kampf fragt.“
Man kann sich bei Jürgen Brähmer ja nie ganz sicher sein ob der Emotionen, die in ihm vorherrschen. Der Mecklenburger ist ein ausgebuffter Hund nicht nur im Ring, er hat den Schalk im Nacken und liebt die eindeutig zweideutige Antwort ebenso wie das Pokerface. Die Freude jedoch, die er im Ring nach seinem vorzeitigen Sieg ausstrahlte, der angesichts der Aufgabe in der Pause als technischer K.o. in Runde zehn in den nun 46 Siege aus 48 Kämpfen aufweisenden Rekord eingeht, war ehrlich gemeint. „Robin war ein sehr starker Gegner, deshalb bin ich froh, dass ich ihn deutlich besiegen konnte“, sagte der 36-Jährige.
Auch wenn, wie Trainer Karsten Röwer unterstrich, „nicht alles nach Plan gelaufen“ war, weil sich das langjährige Zugpferd des mittlerweile insolventen Hamburger Universum-Stalls bisweilen zu oft in der Halbdistanz in einen Schlagabtausch verwickeln ließ und dabei „mehr Treffer nehmen musste, als ich es gewollt hätte“ (Brähmer), geriet die Nacht von Rostock zu einer Demonstration der Faustkampfkunst. Krasniqi überließ dem Champion im ersten deutschen WM-Duell im Halbschwergewicht seit der zweiten Schlacht zwischen Graciano Rocchigiani und Dariusz Michalczewski vor 15 Jahren in Hannover die Initiative und versuchte, mit seinem Paradeschlag, dem rechten Aufwärtshaken, zu Wirkungstreffern zu kommen. Das gelang ein ums andere Mal, allerdings glichen Krasniqis Versuche, Brähmer auszuknocken, dem unrealistischen Unterfangen, mit einem Presslufthammer eine Sahnetorte sauber in acht gleich große Stücke zu zerteilen.
Als Brähmer spürte, dass Krasniqi aus einer sehr stabilen Deckung heraus agierte, stellte er seine auf Einzelschläge ausgerichtete Taktik um. Er ließ seinen Widersacher mehr schlagen, um ihn dann im Vorwärtsgang mit seiner linken Schlaghand abzukontern. So setzte er die entscheidenden Treffer, die Krasniqi in Runde neun so sehr durchschüttelten, dass er vom guten Ringrichter Tony Weeks (USA) angezählt werden musste. „Ich musste etwas umstellen, weil Robin sehr gut auf mich vorbereitet war. Er hat mir alles abverlangt, deshalb war es ein richtig guter Kampf“, sagte der für den Berliner Sauerland-Stall kämpfende Schweriner. Promoter Kalle Sauerland zollte beiden Kämpfern ein großes Kompliment: „Das war absolute Werbung fürs Boxen. Wenn jemand heute seinen ersten Boxkampf gesehen hat, dann wird er diesen Sport in Zukunft sicher weiter verfolgen“, sagte der Hamburger.
Offen blieb nur die Frage, wen der geneigte Fan in den kommenden Monaten bei Sat.1 als Gegner Brähmers wird begutachten dürfen. Eine Titelvereinigung mit WBC-Weltmeister Adonis Stevenson (Kanada) steht auf Sauerlands Wunschliste ebenso weit oben wie die Ausrichtung eines nationalen Viererturniers mit Brähmer, Arthur Abraham, Felix Sturm und Robert Stieglitz. Dieses würde zwar im Supermittelgewicht stattfinden, was Brähmer jedoch nicht als Ausschlusskriterium empfindet. Bis 2008 boxte er in der niedrigeren Gewichtsklasse, „die drei Kilo könnte ich locker abnehmen“, sagte er. Und dann lockt da ja auch noch die Herausforderung Carl Froch. Der britische Doppelweltmeister im Supermittelgewicht hat über die Fortsetzung seiner Laufbahn noch nicht entschieden, wäre aber wohl gewillt, auch im Halbschwergewicht eine Titelchance zu ergreifen. „Ich lasse das auf mich zukommen, habe keine Präferenzen. Es gibt ja viele interessante Kämpfe“, sagte Brähmer.
Das dürfte, trotz der bitteren Schmach von Rostock, auch für Robin Krasniqi gelten. Auch wenn der Wahl-Münchener nun bereits zwei vergebliche Anläufe auf den WM-Thron hinter sich hat, ist er mit 27 Jahren ein Mann für die Zukunft, wenn die Narben an Lippe und Seele verheilt sind. „Ich bin mir sicher, dass Robin zurückkommen und sein Ziel irgendwann erreichen wird“, sagte Trainer Dirk Dzemski, „Jürgen wird ja auch nicht mehr ewig boxen.“ Das stimmt, auch wenn Brähmers Abgang derzeit in so weiter Ferne erscheint wie Olympische Spiele in Berlin.