Der mit insgesamt acht Meistertiteln erfolgreichste deutsche Vereinscoach verstarb im Alter von 80 Jahren. Lattek erlangte als Experte in der TV-Sendung „Doppelpass“ Kultstatus.

Es war, als hätte Udo Lattek etwas geahnt. „Das war meine letzte Fußball-Reise, mein letztes großes Spiel“, sagte er vor dem Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund, das er im Mai 2013 auf Einladung der Bayern auf der Ehrentribüne im Wembley-Stadion verfolgte. Am vergangenen Wochenende, mehr als eineinhalb Jahre nach dem „German Endspiel“, starb der legendäre Fußball-Trainer im Alter von 80 Jahren. Mit insgesamt acht Meistertiteln ist er der erfolgreichste deutsche Vereinscoach. Zuletzt lebte er in einem Pflegeheim in Köln.

Lattek hatte im August 2010 einen Schlaganfall erlitten, 2013 wurde bei ihm die Parkinson-Krankheit diagnostiziert. Zudem erlitt Lattek, der erst 16. Januar im kleinen Kreis seinen 80. Geburtstag gefeiert hatte, an schleichender Altersdemenz. „Der große Udo Lattek ist tot. Ich hatte gehofft, dass ihm die Krankheit noch gute Tage lässt“, twitterte Franz Beckenbauer.

Lattek prägte den Fußball als begnadeter Trainer und Kommunikator wie nur wenige vor ihm, und bis ins hohe Alter war er mit Feuereifer und Leidenschaft, aber auch wohltuender Demut ein Botschafter seines Sports. „Ich bin ein Bauernsohn, aus dem Nichts gekommen. Ich habe dem Fußball alles zu verdanken“, sagte er Anfang 2010 anlässlich seines 75. Geburtstags.

40 Jahre zuvor war der im ostpreußischen Städtchen Bosemb geborene Lattek auf Franz Beckenbauers Betreiben bei den Bayern Branko Zebec auf den Trainersessel gefolgt, und der Lehrer für Englisch und Sport füllte das Amt auf eine Art aus wie niemand vor ihm. Lattek revolutionierte die Kommunikation mit Spielern und Medien, eine vergleichbare Kombination aus Offenheit, Direktheit und Einfühlungsvermögen hat die Branche vorher nicht gekannt.

„Du musst Spaß daran haben, mit Menschen umzugehen“, sagte Lattek einst: „Die Mischung aus einem gesicherten Wissen und dem richtigen Gefühl hat es bei mir ausgemacht.“ Nicht selten ging er in Mannschaftssitzungen vor großen Spielen, ohne zu wissen, wen er in die Startelf beordern würde. Die Auswahl traf er spontan und intuitiv nach einem Blick in die Gesichter der Spieler.

Seine Zeit in Spanien prägte Lattek besonders


Kritiker wie sein großer Gegenspieler Otto Rehhagel, mit dem er eine innige Feindschaft pflegte, hielten ihm gerne hinter vorgehaltener Hand vor, stets vom Glück profitiert zu haben, zum richtigen Moment am richtigen Ort Trainer sein zu dürfen. Wie beispielsweise bei den Bayern, bei denen er in zwei Amtszeiten (1970 bis 1975 und 1983 bis 1987) Ansammlungen von Weltstars um Beckenbauer und Gerd Müller beziehungsweise Karl-Heinz Rummenigge und Lothar Matthäus vorfand. Oder in Mönchengladbach (1975 bis 1979), wo ihm sein einstiger Lehrmeister Hennes Weisweiler Spieler wie Jupp Heynckes, Berti Vogts oder Rainer Bonhof hinterließ.

Doch so einfach war das nicht, mit Glück allein sind Latteks Erfolge nicht zu erklären. Die Bayern führte er zu sechs Meistertiteln und drei Pokal-Triumphen, er wurde zweimal Meister mit Borussia Mönchengladbach und gewann mit den „Fohlen“ (UEFA-Cup 1979), den Bayern (Europapokal der Landesmeister 1974) und dem FC Barcelona (Pokalsieger-Cup 1982) den kompletten Satz Europapokale.

Seine Zeit in Spanien prägte ihn besonders, besser gesagt die Monate davor, die ihm die Hölle auf Erden gezeigt hatten. Sein Sohn Dirk erkrankte an Leukämie und starb 1981 im Alter von 15 Jahren. Zusammen mit seiner Frau Hildegard floh Lattek, zu dieser Zeit Trainer bei Borussia Dortmund, nach Katalonien, vor allem, um den Schmerz zu lindern. Danach war er besser als jemals zuvor in der Lage, den Fußball und seine Nebengeräusche nicht allzu ernst zu nehmen.

Lattek führte BVB mit Kurzcomeback zum Klassenerhalt


„Ich brauchte eine neue Aufgabe, Barcelona war schon damals der schwierigste Klub, der mich 24 Stunden am Tag gefordert und dadurch auch abgelenkt hat“, sagte Lattek. Immerhin 19 Monate trainierte er Barca, doch sein Kommunikationstalent stieß bei Diego Maradona an Grenzen. Wenn er später über den Zwischenfall mit dem Weltstar berichtete, klang das wie fast alles bei ihm wie eine Anekdote, die sich im Laufe der Zeit als Geschenk entpuppte, das ihm der Fußball gemacht hat und das er dankbar weiterreichte. „Hintergrund war die Abfahrt zu einem Abschlusstraining. Alle waren da, nur Diego nicht. Ich bin abgefahren, habe ihn stehen lassen. Daraufhin erklärte er dem Präsidenten, dass er lieber Cesar Luis Menotti haben wollte.“

Lattek kehrte zum FC Bayern zurück, feierte wieder große Erfolge. Sein viel zu hoher Alkoholgenuss – er verglich sich mal mit Schauspieler-Legende Hans Albers, „weil der, wie ich, saufen konnte und hart arbeiten“ – tat dem Ganzen keinen Abbruch. Ein Fehler war später sein Einstieg als Sportdirektor beim 1. FC Köln (1987 bis 1991), bei dem er vor allem durch seinen legendären blauen Pullover für Furore sorgte. Einen würdigen Abschied aus dem innersten Zirkel der Branche erhielt er dennoch. Im Jahr 2000 führte er Borussia Dortmund mit einem Kurz-Comeback zum Klassenerhalt, die Fans im ausverkauften Westfalenstadion lagen ihm zu Füßen. Im Mai zelebrierte er seinen letzten „Doppelpass“, nach einem 2012 erlittenen Schlaganfall trat er kaum noch in der Öffentlichkeit auf.

„Die Nachricht vom Tod Udo Latteks hat uns tief getroffen und bewegt. Sein Name ist so eng mit dem Aufstieg des FC Bayern München in den erfolgreichen 70er Jahren verbunden. Dazu war er über Jahrzehnte lang eine der großen Persönlichkeiten des Sports, national und international. Mit ihm verlieren wir einen der großen Männer des FC Bayern, einen persönlichen Förderer und Freund“, sagte Bayern Münchens Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge.

Lattek erlangte im „Doppelpass“ Kultstatus


Lattek führte Bayern, Gladbach und Barcelona zu insgesamt 14 Titeln, unter anderem gewann er alle drei Europapokale. Weitere Stationen seiner Laufbahn waren Borussia Dortmund, der 1. FC Köln (Sportdirektor) und Schalke 04.

"Im Namen des gesamten 1. FC Köln drücke ich Udo Latteks Angehörigen unser tiefes Mitgefühl aus. Mit Udo Lattek verliert der deutsche Fußball nicht nur einen der erfolgreichsten Trainer seiner Geschichte, sondern auch eine seiner prägendsten Persönlichkeiten. Er wird hier in Köln nicht vergessen werden“, sagte Kölns Präsident Werner Spinner.

Als Zeitungskolumnist und Experte in der TV-Sendung „Doppelpass“ bei Sport1 erlangte Lattek unter Deutschlands Fußballfans Kultstatus. "Udo Lattek war ein großer Trainer, aber ein noch größerer Mensch", sagt Sport1-Nachrichtenchef Ivo Hrstic: "Ich hatte die große Ehre, mit ihm und Jörg Wontorra sieben Jahre lang den Doppelpass redaktionell zu begleiten. Udo war stolz auf seine zahlreichen Erfolge im Fußball, aber Überheblichkeit und Arroganz waren ihm immer fremd. Seine Bescheidenheit hat uns alle beeindruckt und geprägt. In Udo Lattek verlieren wir eine Fußball-Legende, einen wertvollen Menschen und ein Stück Sport1-Geschichte. Unsere Gedanken sind in diesen schweren Stunden bei seiner Familie."