Jyhan Artut muss zum WM-Auftakt direkt mal die unbestrittene Ikone des Kneipensports aus dem Weg räumen. Im Londoner Alexandra Palace starten außerdem zwei weitere deutsche Darts-Talente.
London. In ihrer Dart-Begeisterung haben die Londoner einen deutschen Hoffnungsträger längst abgeschrieben, dabei hat die WM noch gar nicht begonnen. Der Bremer Jyhan Artut muss bereits in seiner Auftaktpartie gegen den britischen Pfeile-Großmeister Phil Taylor ran – ein gefühlt aussichtsloses Unterfangen. 16 Mal hat sich der 54 Jahre alte Engländer schon zum Weltmeister gekrönt und zählt, trotz seines fortgeschrittenen Alters, auch diesmal wieder zu den absoluten Topfavoriten. „Mit seiner Erfahrung und seine Titelsammlung ist er eine Ausnahmeerscheinung, eine Weltikone“, bestätigt Artut, der am Freitag dennoch auf seine Außenseiterchance hofft: „Ich muss eine sehr vernünftige Leistung bringen, dann kann ich ihn schlagen.“
Am Donnerstag ging es bereits los mit den ersten Spielen im Londoner Alexandra Palace, in dem Tausende Dart-Anhänger jedes Jahr eine Mischung aus Ballermannfeeling, britischem Karneval und tatsächlichem Enthusiasmus kreieren. Immerhin ist es absolut bemerkenswert, mit welcher Genauigkeit die weltbesten Profis ihre Pfeile auf die in 20 Segmente unterteilte Dartscheibe abfeuern. Zwischen Mitte Dezember und Anfang Januar ist jährlich Dart-Ausnahmezeit in England, einem Land, in dem dieser Sport große Tradition hat und auch ein weitaus besseres Image als etwa in Artuts Heimat. „Leider Gottes werden wir in Deutschland immer noch mit einem Kneipensport in Zusammenhang gebracht. Das ist aber gar nicht der Fall: Wir haben eine Bundesliga, eine nationale Rangliste, das findet alles außerhalb von Kneipen statt“, sagt Claudia zum Felde, Präsidentin des Deutschen Dart-Verbandes.
Zwischen Weihnachten und Silvester aber, wenn die üppigen Festessen mit der Familie verdaut werden müssen, die Fußball-Bundesliga pausiert und überhaupt ziemlicher Sport-Notstand im Fernsehen herrscht, steigt auch hierzulande das Dart-Interesse. Zumindest an den TV-Geräten. Wegen der großen Nachfrage hat der Spartensender Sport1 sein Angebot von der WM inzwischen auf mehr als 70 Live-Stunden im Free-TV ausgeweitet – und erfreut sich ordentlicher Einschaltquoten. Die Finals in den Jahren 2013 (0,82 Millionen Zuschauer im Schnitt) und 2014 (0,73) bescherten Marktanteile von mehr als fünf Prozent in der werberelevanten Gruppe.
Deutschland hat zwei weitere Eisen im Feuer
Am Freitagabend, wenn der 38 Jahre alte Artut als einer von drei deutschen Teilnehmern in die Weltmeisterschaft startet und auf Altstar Taylor trifft, wollen die Fernsehmacher aus Ismaning für ihn sogar ihre Fußball-Übertragung von den Höhepunkten des letzten Zweitliga-Spieltags kurz unterbrechen. „Da hat dann der Dartsport sogar mal Vorrang vor dem Fußball“, sagt ein Sprecher. Am selben Tag spielt Sascha Stein in einer Vorqualifikation gegen den Finnen Kim Viljanen; Nachwuchshoffnung Max Hopp (18) trifft erst kommenden Dienstag – unmittelbar vor der dreitägigen Weihnachtsunterbrechung – auf den an Position zehn gesetzten Engländer Mervyn King.
Objektiv betrachtet hat Jyhan Artut bei seiner vierten WM-Teilnahme die geringsten Chancen, in die zweite Runde einzuziehen. Andererseits erlebte Rekordweltmeister Taylor erst vergangenes Jahr, wie sich frühes Scheitern anfühlt. Gegen Landsmann Michael Smith unterlag er schon in der zweiten Runde, auch Weltranglistenplatz eins verlor er an den Niederländer Michael van Gerwen. Den Zeitpunkt, in den Dart-Ruhestand zu treten, sieht Taylor aber noch nicht gekommen: „Ich will nicht zurücktreten. Ich werde niemals zurücktreten, wenn ich ehrlich bin“, meinte er zuletzt und formulierte sein nächstes Ziel: „Es wäre herausragend, noch mal den Weltmeistertitel zu gewinnen.“