Mit einem Leberhaken verteidigte der Halbschwergewichtler seinen WM-Titel. Ein Hamburger Profiboxer hatte es schwer mit einem Mann, der nicht einmal eine Falte in ein Kopfkissen schlagen konnte.
Oldenburg. „Niemals geht man so ganz“ wurde gespielt in der Nacht zu Sonntag in der EWE-Arena, dieses wunderbar melancholische Lied von Trude Herr. Und als man sich fragte, ob die ARD damit eine versteckte Botschaft senden wollte, dass der letzte Kampfabend nach 14 Jahren Kooperation mit dem Berliner Sauerland-Team doch nicht das Ende des Profiboxens im Ersten gewesen sein muss, marschierte ein Sportler aus dem Ring, von dem in den kommenden Jahren mehr bleiben wird als nur irgendwas. Jürgen Brähmer hatte eindrucksvoll bewiesen, dass mit ihm zu rechnen ist, wenn sein Promoter von 2015 an mit dem Privatsender Sat.1 kooperiert.
Ein Leberhaken aus dem Lehrbuch, perfekt vorbereitet mit zwei präzisen Kopftreffern, beendete nach 43 Sekunden die Träume des Polen Pawel Glazewski, Brähmer dessen WBA-WM-Titel im Halbschwergewicht entreißen zu können. Ringrichter Russell Mora (USA) zählte den 32-Jährigen aus und machte damit den schnellsten K.-o.-Sieg perfekt, den je ein deutscher Boxer in einem WM-Kampf geschafft hat.
Den Allzeitrekord für den schnellsten WM-Sieg hält der US-Amerikaner Gerald McClellan, der 1993 seinen Landsmann Jay Bell nach 20 Sekunden ausknockte und damit seinen WBC-Gürtel im Mittelgewicht verteidigte. „Ich hätte der ARD einen längeren Abschluss gewünscht. Aber dass wir unser gemeinsames Kapitel mit einem Rekord beenden, ist auch schön“, sagte Promoter Wilfried Sauerland.
Das fand Jürgen Brähmer auch, obwohl ihm Rekorde oder Gedanken an die sportliche Zukunft nicht so wichtig waren wie der dringliche Wunsch, „meine Kinder wieder in die Arme zu schließen“. Während der Vorbereitung war der 36 Jahre alte Schweriner zum zweiten Mal Vater geworden; dennoch habe er sich „noch nie nach einer harten Trainingsphase so frisch gefühlt wie diesmal. Ich habe gemerkt, dass ich noch viel Luft nach oben habe, und dass ich dieses Potenzial langsam mal ausschöpfen muss“, sagte er.
Bis 2016 hat der Rechtsausleger, der den Leberhaken schon seit vielen Jahren in Perfektion beherrscht, seinen Kontrakt bei Sauerland jüngst verlängert. Und dass er willens und in der Lage ist, beim neuen Fernsehpartner mit hochklassigen Auftritten für gute Quoten zu sorgen, daran ließ der Rekordsieg von Oldenburg keinen Zweifel. Brähmer wird eine bedeutende Rolle spielen im zweigleisigen Konzept, das sein Promoter fahren will.
Spektakuläres Vierer-Boxturnier geplant
Er und Arthur Abraham, WBO-Champion im Supermittelgewicht, der am 21. Februar in Berlin gegen den Briten Paul Smith den ersten Hauptkampf bei Sat.1 machen wird, sind die Zugpferde der Gegenwart. Wilfried Sauerland erneuerte in Oldenburg seinen Vorschlag, ein deutsches Viererturnier im Supermittelgewicht auszutragen. Neben Abraham und Brähmer sollen daran auch Felix Sturm, der sich in Eigenregie vermarktet, und Robert Stieglitz vom Magdeburger SES-Stall teilnehmen, die sich Anfang November in Stuttgart einen großen Kampf geliefert und unentschieden getrennt hatten. „Diese Duelle sind jetzt möglich, weil alle vier bei Sat.1 unter Vertrag stehen. Bislang konnten wir solche Kämpfe, an denen verschiedene TV-Partner beteiligt gewesen wären, nicht machen“, sagte Sauerland senior.
Brähmer ist zum Abstieg ins nächstniedrigere Limit, in dem er seine Profilaufbahn 1999 beim Hamburger Universum-Stall begann, durchaus bereit. „Wenn Herr Sauerland meint, dass ich noch zwei Kilo abnehmen kann, dann mache ich das“, sagte er in der ihm eigenen flapsigen Art. Der nächste Kampf, geplant für 21. März in Rostock, soll allerdings noch in der Klasse bis 79,3 kg stattfinden. Als Gegner ist SES-Boxer Robin Krasniqi im Gespräch. Aber auch Titelvereinigungen mit WBC-Champion Adonis Stevenson (Kanada) oder dem Russen Sergej Kovalev, der bei der WBA als Superchampion geführt wird und zudem die Titel von IBF und WBO hält, seien denkbar.
Jack Culcay hatte Mühe mit einem Nobody
Sat.1 darf sich allerdings nicht nur auf lukrative WM-Kämpfe der etablierten Stars freuen. Die zweite Säule des neuen Konzeptes sieht vor, die deutsche Garde der Zukunft ins Schaufenster zu stellen. Einer davon ist der Hamburger Jack Culcay, der in Oldenburg seinen EM-Titel im Halbmittelgewicht einstimmig (119:109, 118:110, 116:113) nach Punkten gegen den Franzosen Karim Merroudj, 29, verteidigte. Wer allerdings sah, wie sich der Amateurweltmeister von 2009 gegen einen Mann quälte, der wahrscheinlich schon Schwierigkeiten hätte, eine Falte ins Kopfkissen zu hauen, der weiß, dass eine immense Leistungssteigerung vonnöten ist, wenn der 29-Jährige im April die erhoffte WM-Chance gegen IBF-Champion Cornelius Bundrage (USA) erfolgreich gestalten will.
Große Hoffnungen setzt Sauerland zudem in das Berliner Trio Enrico Kölling (24, Halbschwergewicht), Tyron Zeuge, 22, und Stefan Härtel (26, beide Supermittel). Die beiden Letztgenannten konnten das Publikum in Oldenburg mit beherzten Kämpfen begeistern. Und mit dem Karlsruher Halbschwergewichtler Vincent Feigenbutz, 19, glauben die Berliner einen neuen K.-o.-König unter Vertrag genommen zu haben. „Wir sind so gut aufgestellt wie vielleicht noch nie zuvor“, sagte Kalle Sauerland. Man kann das als Promotergeschwätz abtun – oder gespannt abwarten, ob im Sauerland-Stall im kommenden Jahr statt Trude Herr Marius Müller-Westernhagen aufgelegt wird: „Ich bin wieder hier, in meinem Revier!“