Felix Sturm und Robert Stieglitz liefern sich einen mitreißenden Boxkampf. Ein zweites Duell soll nun klären, wer der Bessere ist. Allerdings legt Sturm zunächst eine Babypause bis Sommer 2015 ein
Stuttgart. Dass der Kampf mit einem Unentschieden ein gerechtes Ergebnis gefunden hatte, das war an den Gesichtern der beiden Protagonisten abzulesen, als sie in der Nacht zum Sonntag in der Porsche Arena vor den Medienvertretern saßen. Felix Sturm tupfte sich fortwährend mit einem Taschentuch das aus einem Cut über dem rechten Auge sickernde Blut ab, während Robert Stieglitz mit einer Sammlung kleinerer und größerer Veilchen rund um das linke Auge zu beeindrucken wusste. Doch weil sie beide spürten, dass mit dem Ausgang irgendwie alle zufrieden waren, gab sich keiner der Kämpfer die Mühe, den Sieg in allzu deutlicher Form für sich zu reklamieren.
„Ich glaube, dass ich knapp gewonnen habe, aber ich kann das Urteil akzeptieren“, sagte Sturm. „Ich denke, dass es ein faires Urteil war“, sagte Stieglitz. „Ich habe uns als Sieger gesehen, aber es hat nicht alles geklappt, was wir umsetzen wollten“, sagte Magomed Schaburow, der Sturm erstmals seit dessen Trennung von Fritz Sdunek als Cheftrainer betreut hatte. „Wenn ich mir den Kampf nochmal angeschaut habe, werde ich sicherlich der Meinung sein, dass wir mit diesem Ergebnis alle leben können“, sagte Stieglitz-Coach Dirk Dzemski.
Boxer mögen Unentschieden nicht. Sie lieben K.-o.-Siege, weil nichts deutlicher ihre Überlegenheit ausdrückt, und sie nehmen Niederlagen hin, weil sie aus ihnen lernen und neue Motivation schöpfen können. Unentschieden sind oft wie ein unvollendetes Werk, das Einzelkämpfer unbefriedigt zurücklässt. Doch an einem Abend, an dem das Motto für die beiden Exweltmeister „Verlieren verboten“ gelautet hatte, war das Remis für beide wie ein Sieg, weil es alle Optionen offen lässt.
Als „Kampf des Jahres“ hatte der übertragende TV-Sender Sat.1, der allerdings nur mäßige 2,98 Millionen Zuschauer anlocken konnte, das Duell angepriesen. Der viermalige Mittelgewichtsweltmeister Sturm, 35, und der zweimalige Supermittelgewichtschampion Stieglitz, 33, hatten sich auf ein „Catchweight“ genanntes Zwischengewicht von 75,5 Kilogramm geeinigt, um zu ermitteln, wer in Zukunft die Vorherrschaft bei Sat.1 besitzen würde. Man soll mit Superlativen sparsam umgehen, deshalb ist nicht ganz ernst zu nehmen, dass Sturms Manager Manfred Meier und Stieglitz’ Promoter Ulf Steinforth unisono erklärten, einen solchen Boxkampf habe es in Deutschland seit Jahren nicht gegeben. Unstrittig war jedoch, dass die Paarung mehr als nur hielt, was sich die Fans von ihr versprochen hatten.
Sturm gelang es in der ersten Kampfhälfte, sich dank guter Beinarbeit, blitzschnellen Meidbewegungen und sauberen Konterangriffen vor allem mit Aufwärts- und seitlichen Kopfhaken den ungestümen Attacken des Magdeburgers zu entziehen. Dafür schaffte es Stieglitz in den späten Runden, den Kölner mit seiner Urgewalt immer wieder unter Druck zu setzen. Alles in allem entstand daraus ein Kampf, in dem es kaum Langeweile gab, in dem beide ihr Heil in der Offensive suchten, ohne für große Überraschungen zu sorgen. Stieglitz schlug mehr und diktierte das Tempo, Sturm schlug präziser und glänzte mit seiner Technik. Dass die drei Punktrichter in ihren Wertungen (115:113, 114:114, 113:115) sehr eng beieinanderlagen, war der letzte Beleg dafür, dass die 6500 Fans in der ausverkauften Arena einen absolut ausgeglichenen Kampf gesehen hatten.
Da die beiden Ex-Champions ihre WM-Gürtel früher in diesem Jahr verloren hatten, stand kein Titel auf dem Spiel. Sturm, nach mittlerweile fünf Jahren in der Selbstständigkeit ein cleverer Verkäufer seines Sports und nicht nur seiner selbst, erklärte die Abkehr von der in Deutschland üblichen Titelfixierung zum neuen Erfolgsrezept. „Man hat heute gesehen, dass es keinen Titel braucht, um einen großen Kampf zu machen. Was wir heute gezeigt haben, das braucht Deutschland: Kämpfe großer Champions auf Augenhöhe.“
Wie gut also, dass das Unentschieden die Tür für einen Rückkampf öffnete. „Es muss ein zweites Duell geben. Das war ein toller Kampf, den ich gern noch einmal sehen möchte“, lobte Gennady Golovkin, WBA-Superchampion im Mittelgewicht, der in Stuttgart lebt und am Ring saß. „Auch wenn ich Felix vorn hatte, freue ich mich schon auf den zweiten Kampf. Beide haben gekämpft wie echte Krieger“, sagte Arthur Abraham. Der WBO-Weltmeister im Supermittelgewicht hätte 2015, innerhalb von 90 Tagen nach seiner für Februar geplanten freiwilligen Titelverteidigung, gegen den Sieger aus Sturm gegen Stieglitz antreten müssen.
Nun scheint es zunächst auf ein viertes Duell mit Stieglitz hinauszulaufen, der seine Spitzenposition in der WBO-Rangliste durch das Remis verteidigte. Sturm nämlich lüftete auf der Pressekonferenz ein gut gehütetes Geheimnis. „Meine Frau und ich erwarten in Kürze unser zweites gemeinsames Kind“, sagte er freudestrahlend. Die ersten Monate nach der Geburt wolle er sich deshalb nur der Familie widmen. „Vor dem Sommer werde ich nicht boxen können“, sagte er, „aber wenn man sieht, dass wir mit Abraham, Golovkin, Robert und mir gleich vier echte Champions in Deutschland haben, dann haben wir alle für die nächsten zwei Jahre einen sicheren Arbeitsplatz.“
Das glaubt auch Sat.1-Sportchef Alexander Rösner, dessen Sender nach dem Vertragsabschluss mit Abrahams Berliner Sauerland-Stall von 2015 an die Kämpfe der vier Stars übertragen wird. „Diese Schlacht war der Auftakt für eine Reihe großer Kämpfe, die wir bieten wollen“, sagte er, „der Rückkampf wird ein Teil davon werden.“ Und so entließ er die Beobachter in eine Nacht, deren Lehre war, dass bisweilen auch Unentschieden nur Sieger hervorbringen können.