Die deutsche Nationalmannnschaft errang gegen Irland nicht den erhofften Befreiungsschlag. Die Iren schockten die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw in der letzten Minute.
Gelsenkirchen. Nichts mit Wiedergutmachung, der Weltmeister steckt in der Klemme. Drei Monate nach dem großen Triumph von Rio hat die junge Ersatz-Nationalmannschaft von Joachim Löw auch gegen Irland nicht gewonnen. Mit dem 1:1 (0:0) vor 51.204 enttäuschten Fans auf Schalke kassierte das DFB-Team auf dem Weg zur Europameisterschaft 2016 in Frankreich einen weiteren ungewollten Rückschlag.
Wie schon beim 0:2 zuvor in Polen vermochte es Deutschland am Dienstag gegen die Nummer 62 der Weltrangliste nicht, die klare spielerische Überlegenheit in einen Erfolg umzumünzen. Zwar gelang Toni Kroos mit einem 18-Meter-Schuss die Führung (71.), doch John O'Shea schaffte in seinem 100. Länderspiel (90.+4) in der Nachspielzeit für die Gäste noch das überraschende Remis.
„Enttäuscht sind wir alle. Ich glaube, in den letzten paar Minuten waren wir naiv“, sagte Löw im TV-Sender RTL. „Es war ein schwieriges Spiel, Irland stand mit allen Leuten hinten drin. Wir hätten das Spiel ruhig und kontrolliert zu Ende bringen müssen.“ Um das irische Abwehrbollwerk mehr als einmal zu knacken, fehlten der DFB-Elf vor allem Tempo und die letzte Konsequenz. „Im Moment“ habe er für den Last-Minute-Schock und das kopflose deutsche Spiel in den letzten fünf Minuten „auch keine klare Erklärung“, räumte Löw ein.
„Was heißt Schock? Da muss schon anderes passieren, dass ich geschockt bin“, sagte Kroos, räumte aber ein: „Wir sind natürlich enttäuscht, das war völlig unnötig.“ Auch Mario Götze fand keine Erklärung für den Einbruch kurz vor Schluss. „Das ist sehr sehr ärgerlich, wie es gelaufen ist“, sagte der Bayern-Profi.
Nach dem Ausfall von André Schürrle und Christoph Kramer, die sich beide nach der Rückkehr aus Polen einen grippalen Infekt zugezogen hatten, konnte Löw nur noch auf 14 Feldspieler zurückgreifen. Insgesamt waren gegen Irland gleich acht Spieler wegen Verletzungen oder Erkrankungen nicht dabei. „Auch für den Weltmeister gibt es keinen Freifahrtschein zum nächsten Turnier“, hatte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach noch einmal deutlich gemacht.
Zwei Pflichtspiele nacheinander hatte Deutschland unter Löw noch nie verloren – mit der entsprechenden Einstellung gingen die Verlierer von Warschau in Gelsenkirchen auf den Rasen. Der Leverkusener Karim Bellarabi stand ebenso wieder in der Startelf wie die jungen Außenverteidiger Antonio Rüdiger vom VfB Stuttgart (21) und Durm (22). An der Stätte seines ersten Länderspiels als Chef – 2006 mit einem 3:0 gegen Schweden – sah Löw zwar, dass seine Elf gleich das Spiel klar dominierte und Bellarabi mit einigen mutigen Aktionen auch die Stimmung auf den Rängen der Veltins-Arena anheizte.
Durm traf mit einem 30-Meter-Knaller die Latte des irischen Tores (5.). Wie schon in Polen verpasste der Weltmeister eine mögliche frühe Führung. Nach einer Freistoß-Kombination über Toni Kroos und Thomas Müller köpfte Rüdiger freistehend vorbei (14.). Kroos verfehlte aus 16 Metern ebenfalls das Gäste-Tor (16.).
Dem deutschen Offensivspiel fehlte lange Zeit das Tempo, die Klarheit und Inspiration. Vor allem über die linke Seite mit dem Schalker Julian Draxler gab es kaum mutige Vorstöße. Bellarabi versuchte es, zog jedoch auch zu viel in die Mitte, wo die Iren kompakt standen.
Als Gäste-Torwart Davide Forde weit aus dem Tor kam, fand der Länderspiel-Frischling nicht die erfolgreiche Lösung (40.). In der Mittelfeld-Zentrale musste sich Matthias Ginter erst an die für ihn ungewohnte Position gewöhnen, versuchte viel, an Effektivität aber mangelte es. Erst kurz vor dem Halbzeitpfiff musste Forde überhaupt erstmals eingreifen, als er einen Schuss von Draxler abwehrte.
Für den Gastgeber, bei dem neun Rio-Champions in der Startelf standen, wurde es immer mehr ein Geduldsspiel. Die Iren machten immer wieder die Räume dicht. Insgesamt versuchten es die Deutschen viel zu oft erfolglos durch die Mitte, über die Flügel kam zu wenig, wobei sich Rüdiger noch mutiger als in Warschau zeigte.
Löw nahm Ginter zur Pause raus, löste mit der Hereinnahme von Lukas Podolski den zweiten Sechser auf – und der Druck der Gastgeber erhöhte sich. Podolski prüfte in seinem 120. Länderspiel gleich den irischen Keeper (49.). Auch Bellarabi, Kroos und Müller brachten im Minutentakt den Ball nicht an Forde vorbei. Die Iren traten als 62. der Weltrangliste mit der makellosen Bilanz von sechs Punkten aus den ersten zwei Qualifikationsspielen an – und machten der DFB-Elf auch in den zweiten 45 Minuten das Leben schwerer als gedacht.
Ein Missverständnis von Podolski, Kroos und Hummels eröffnete dem Außenseiter sogar die erste Chance, doch Neuer war gegen den irischen Kapitän Robbie Keane auf dem Posten (49.). Pech hatten die Gastgeber nach 70 Minuten, als ein elfmeterwürdiges Halten von John O'Shea an Mario Götze vom slowenischen Schiedsrichter Damir Skomina nicht geahndet wurde. Letztmals hatte das DFB-Team in einem Testspiel vor der WM 1994 gegen die Iren verloren (0:2), in Pflichtspielen gab es überhaupt noch keinen irischen Sieg. Kroos schien die DFB-Elf erlöst zu haben, doch O'Shea sorgte in der Nachspielzeit für Ernüchterung.