Am Sonntag wird es für das deutsche Nationalteam beim ersten EM-Qualifikationsspiel gegen Schottland ernst. Bundestrainer Löw fordert Geduld. Im TV erwartet die Zuschauer eine Premiere.

Dortmund. Jetzt ist der WM-Triumph von Rio wirklich ruhmreiche Geschichte. Am Tag nach den letzten Feierlichkeiten in Düsseldorf musste Joachim Löw – wie so oft in den emotionalen Tagen von Brasilien – schon wieder als Personal-Manager ran. „Ich brauche auf der einen oder anderen Position noch Alternativen“, sagte der Bundestrainer und sondierte die begrenzten Möglichkeiten vor dem wichtigen Start in die EM-Qualifikation gegen Schottland am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) in Dortmund. Löw muss sich dabei um drei Baustellen kümmern.

Drei Leistungsträger sind zurückgetreten, sechs weitere Weltmeister plagen sich mit Verletzungen. Mit dem nachgeholten Neu-Schalker Sidney Sam füllte Löw den ausgedünnten Kader auf 19 Akteure auf. Löws Baustelle eins: Die Abwehr erwies sich gegen Argentinien (2:4) als große Schwachstelle. Mangels personeller Alternativen wird sie am Sonntag personell nur geringfügig anders aussehen.

Immerhin: Jérome Boateng wird das Abwehrzentrum gegen Schottland wieder verstärken. „Dadurch wird sich schon einiges ändern“, äußerte sich Torwarttrainer Andreas Köpke. Löw hatte wegen der positiven Entwicklung bei Boateng auch auf die Nachnominierung eines Abwehrspielers wie Holger Badstuber verzichtet.

Doch besonders auf der linken Außenverteidiger-Position drückt nach dem Rücktritt von Philipp Lahm der Schuh. Erik Durm war im Länderspiel am Mittwoch gegen die starke Offensive der Argentinier um Angel Di María überfordert.

Eine Chance als rechter Verteidiger anstelle von Kevin Großkreutz könnte dabei der junge Stuttgarter Antonio Rüdiger erhalten. „Er hat Schnelligkeit, er hat gute Lösungen im Eins gegen Eins und im Defensivverhalten“, lobte Löw den 21-Jährigen, der nach seinem beherzten Kurzauftritt gegen Argentinien angemerkt hatte: „Ich hoffe, ich konnte dem Trainer in den wenigen Minuten zeigen, was ich kann. Es ist eine ganz große Ehre, an der Seite von Weltmeistern wie Mario Götze oder Thomas Müller zu spielen.“

Gomez ist der Buhmann der Fans


Doch der Buhmann der Fans war nach dem ernüchternden Auftritt gegen die Gauchos nicht die anfällige Abwehr, sondern Stürmer Mario Gomez – Löws Baustelle Nummer zwei. Der Rückkehrer vergab drei hochkarätige Möglichkeiten und wurde unter Pfiffen der Fans in der Düsseldorfer Arena ausgewechselt.

Löw verurteilte dies als unfair. Denn die naive Abwehrarbeit der Dortmunder Auswahl-Azubis Durm, Matthias Ginter und Großkreutz sowie die Zurückhaltung prominenterer Weltmeister hatten mindestens genauso zur harten Bauchlandung beigetragen. „Grundsätzlich geht es einfach nicht, dass ein Spieler der deutschen Nationalmannschaft ausgepfiffen wird, nur weil er die eine oder andere Chance liegengelassen hat“, rüffelte Löw die pfeifenden Fans.

Gegen Schottland wird der Bundestrainer dem bei der WM wegen den Nachwehen einer Verletzung fehlenden Italien-Legionär wohl wieder aufbieten. Reus, der Gomez gegen Argentinien alle drei Chancen auflegte, die dieser dann kläglich vergab, verspricht jedenfalls: „Wir werden ihm weiterhin die Bälle auflegen, und irgendwann wird er wieder Tore machen.“

Mit seinen technischen Fertigkeiten scheint Bayerns Mario Götze jedoch prädestinierter für ein Angriffsspiel in engen Räumen. „Wir müssen geduldig spielen, Chancen kreieren, uns mehr bewegen, vorne flexibel spielen und zielstrebiger sein vor dem Tor“, sagte Reus. Die Schotten dürften vor allem hinten dicht machen wollen. „Sie sind extrem kampfstark, extrem einsatzfreudig, spielen sehr körperbetont. Die Schotten leben von ihrer physischen Präsenz, ihrer Laufstärke, ihrer Kopfballstärke“, beschrieb Löw die Qualitäten des Gegners.

Der Ausfall zahlreicher Topkräfte von Kapitän Bastian Schweinsteiger über Mesut Özil und Sami Khedira bis hin zu Lokalmatador Mats Hummels ändert nichts an der Erwartungshaltung für das erste Gruppenspiel. „Es hilft kein Jammern“, mahnte Köpke. „Wir wissen, auch wenn der eine oder andere fehlen wird, dass wir die Stärke und die Qualität haben, Schottland zu schlagen“, betonte auch Löw.

„Brauchen ein bisschen Geduld und Zeit“


Für Löw ist die Situation „nicht so einfach“. Nach den WM-Strapazen und der kurzen Saisonvorbereitung kann er im Training kaum Akzente setzten: „Da muss man aufpassen.“ Löws dritte Baustelle: Die zurückgetretenen Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker hinterlassen eine nicht rasch zu schließende Lücke. Um diese zu schließen, „brauchen wir ein bisschen Geduld und Zeit“, mahnte Löw. Man könne nicht erwarten, dass die Talente „die Etablierten so einfach ersetzen können. Unser Ziel heißt, sie in den nächsten zwei Jahren heranzuführen.“ 2016 in Frankreich ist das Finale das erklärte Ziel, möglichst gekrönt mit dem vierten EM-Titel. „Und die Reise beginnt schon mit dem Spiel gegen Schottland.“

In der Gruppe mit Schottland, Polen, Irland, Georgien und dem Fußballzwerg Gibraltar ist Deutschland als Weltmeister der klare Favorit. Trotzdem sagte Löw: „Ich denke, diese Gruppe ist nicht ganz so einfach.“ Da 2016 in Frankreich erstmals 24 statt 16 Nationen am Turnier teilnehmen werden, reicht schon Platz zwei zur Teilnahme. Sogar der Gruppendritte hat noch eine Chance.

Die Statistik macht dem deutschen Team Mut: Von 17 Länderspielen in Dortmund gewann Deutschland 14. Hier meisterte die DFB-Elf 2001 die Play-offs zur WM, hier erlebte das Sommermärchen bei der WM 2006 gegen Polen seine Geburtsstunde. Allerdings waren am Freitag noch etwa 7000 Tickets nicht abgesetzt.

RTL überträgt mit Experte Lehmann


Im deutschen Fernsehen beginnt am Sonntag ein neues Zeitalter. Erstmals werden die Qualifikationsspiele zur Europa- und Weltmeisterschaft nicht mehr im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen – sondern bei RTL. Das einst brisante Duell der Nationaltorhüter Oliver Kahn und Jens Lehmann findet als Vergleich der TV-Experten seine Fortsetzung. „Als TV-Experte für RTL nun die Spiele der deutschen Nationalmannschaft begleiten und analysieren zu dürfen, betrachte ich als etwas ganz Besonderes“, sagte Lehmann.

Sein einstiger Konkurrent „Titan“ Kahn wird dagegen beim ZDF weiterhin bei „normalen“ Länderspielen der DFB-Auswahl zum Einsatz kommen. Beim 2:4 in der WM-Neuauflage am Mittwoch gegen Argentinien war der 45-jährige Kahn für das Zweite im Einsatz.

Eine Premiere feiert auch Kommentator Marco Hagemann: Es ist sein erster Einsatz für den Privatsender und das erste Mal, dass er ein Länderspiel des DFB-Teams kommentiert. „Marco hat eine sehr gute Sprache, klar, deutlich schnörkellos“, urteilte RTL-Sportchef Manfred Loppe: „Außerdem hat er ein ganz große Gabe. Bei ihm steht immer das Spiel im Vordergrund, dem er sich als Kommentator anpasst und nicht umgekehrt.“

Eingefleischte Sportfans kennen Hagemann schon länger. Bereits seit 14 Jahren kommentiert der gebürtige Westfale aus Gütersloh, der selbst als Amateur für Schloss Holte kickte, Fußballspiele und Tennis-Matches. Angefangen hatte er beim DSF (heute Sport1), es folgten Jobs bei Premiere/Sky, Eurosport und jetzt für RTL, wo ihm erlaubt wurde, weiterhin auch für den Spartensender Eurosport tätig zu sein. „RTL hat die Rechte für 20 EM- und WM-Qualifikationsspiele bis 2017. Ich möchte aber ein bisschen mehr arbeiten“, scherzte er.

Als Vorbild im Sportjournalismus bezeichnete Hagemann ausgerechnet den früheren ZDF-Mann Dieter Kürten. „Mit ihm als Sportstudio-Moderator bin ich groß geworden. Ihn schätze ich als guten Journalisten. Er hat sich nicht selbst inszeniert und seinen Gästen auf charmante Art und Weise Wissenswertes entlockt“, erklärte Hagemann. Im Trio mit Moderator Florian König und dem Experten Jens Lehmann bildet er zukünftig das RTL-Dreigestirn bei Fußball-Übertragungen.

Mit Material von sid und dpa