Sportsenator Michael Neumann und Achter-Olympiasieger Eric Johannesen sprechen im Interview über die Zukunft des Ruderns und die Chancen im Bewerbungswettrennen mit Berlin.
Hamburg. Als Michael Neumann und Eric Johannesen den Doppelzweier aus dem Bootshaus des Ruder-Clubs Allemannia stemmen, sitzt jeder Handgriff. Hamburgs Sportsenator und den Achter-Olympiasieger vom RC Bergedorf eint die Leidenschaft für den Wassersport. Für Neumann (SPD) ist es ein Heimspiel: Ein- bis zweimal pro Woche geht es von hier aus frühmorgens auf Trainingsfahrt.
Beide sitzen auch nicht das erste Mal zusammen in einem Boot. Zuletzt ruderten sie Anfang Juli gemeinsam mit Bürgermeister Olaf Scholz und Neumanns Trainer Christian Dahlke auf der Alster, um für die Junioren-WM in Allermöhe zu werben, die am Wochenende ihr Finale erlebt.
Hamburger Abendblatt: Herr Senator, Sie rudern, der Bürgermeister rudert – ist Rudern neuerdings der offizielle Sport des Hamburger Senats?
Michael Neumann: Wenn Sie so wollen, sitzen wir alle in einem Boot. Aber was das Rudern selbst betrifft: Ich habe als Schüler damit angefangen, während der Bundeswehr aber aufgehört. Als ich dann vor zwei Jahren in einem VIP-Achter am E.on-Hanse-Cup teilnehmen sollte, habe ich wieder angefangen zu üben, um mich nicht vollständig zu blamieren. Dabei habe ich wieder Blut geleckt. Dem Bürgermeister habe ich davon begeistert erzählt. Inzwischen ist er genauso leidenschaftlich dabei wie alle, die frühmorgens den Sonnenaufgang auf der Alster erleben dürfen. Das ist ein Traum, man bekommt eine ganz andere Sicht auf unsere schöne Stadt. Von diesen Eindrücken kann man den Tag über noch zehren.
Herr Johannesen, wie gut rudert der Senator?
Neumann: Das Schweigen dauert jetzt aber lange!
Eric Johannesen: Im Ernst: Um das beurteilen zu können, muss man lange gemeinsam trainieren. Für die wenige Zeit, die er zum Training hat, ist es in jedem Fall ein sehr gutes Rudern.
Tut er denn genug fürs Rudern?
Johannesen: Die Stadt hat in letzter Zeit sehr viel für uns getan. Wir befinden uns auf einem guten Weg. Die Regattastrecke wurde international wettkampftauglich umgebaut. Rudern ist Schwerpunktsportart, in der Dekadenstrategie ist festgehalten, dass sich die Stadt um internationale Großereignisse bemüht. Die Junioren-WM ist ein erster, großer Schritt.
Welche weiteren wünschen Sie sich?
Johannesen: Wenn sich die Stadt für Olympia empfehlen will, sollte sie eine A-Weltmeisterschaft ausrichten.
Wie steht die Politik dazu?
Neumann: Wenn sich Deutschland darum bewerben will, dann wäre Hamburg gern Austragungsort – unabhängig übrigens von Olympia. Über den möglichen Zeitpunkt wollen wir am Wochenende mit den Verantwortlichen des Deutschen Ruderverbandes sprechen. Bei aller Bescheidenheit: Hamburg hat sich nicht zuletzt dank der brillanten Organisation der Junioren-WM in Position gebracht. Es wäre eine logische Fortsetzung des Weges, den wir in den vergangenen Jahren gegangen sind, angefangen mit der Modernisierung der Strecke über den Weltcup 2011 bis zur Junioren-WM. Das Thema Rudern hat in Hamburg schon unter der Vorgängerregierung Fahrt aufgenommen, diesen Weg wollen wir weitergehen.
Was versprechen Sie sich von einer WM?
Neumann: Ich sehe eine innere Logik. Wir haben eine anerkannte Regattastrecke, den ältesten Ruderclub auf dem europäischen Festland, viele weitere bedeutende Clubs, sind ein führender Ruderstandort in Deutschland. Rudern ist Hamburger Schwerpunktsportart. Daraus leitet sich fast zwangsläufig der Anspruch ab, eine A-WM auszurichten.
Heißt das, auch die anderen Schwerpunktsportarten Beachvolleyball, Hockey und Schwimmen können sich Hoffnungen auf eine WM machen?
Neumann: Wichtig ist in der Tat, dass wir eine klare Linie verfolgen: vom Breiten- über den Leistungssport, Olympiastützpunkt bis hin zur Durchführung von Meisterschaften. Wir haben hier nun einmal keinen Olympiastützpunkt für Radsport oder Gerätturnen. Daher denken wir in diesen Sportarten derzeit auch nicht über eine WM nach, auch wenn sich das die anderen Verbände natürlich wünschen. Wir setzen auf organisches Wachstum, nicht auf wahlloses Sportarten-Hopping. Sicher hat auch diese Haltung den Deutschen Olympischen Sportbund dazu bewogen, Hamburg als einen von zwei möglichen Olympiastandorten in Betracht zu ziehen.
Die etablierten Hamburger Großereignisse – Marathon, Cyclassics, Triathlon – kennzeichnet, dass sie sich in der Innenstadt abspielen und die Bevölkerung teilhaben lassen. Ist es vorstellbar, dass sich Hamburg für eine Erweiterung des WM-Programms um Sprints einsetzt, die dann auf der Alster stattfinden könnten?
Neumann: Ich könnte mir ein solches Format durchaus vorstellen, weil es wichtig ist, den Sport zu den Menschen zu bringen. Was den Rudersprint betrifft, ist Hamburg mit dem E.on-Hanse-AlsterCup ja Vorreiter. Es war ein großes Fest, das vergangenes Jahr mehr als 30.000 Zuschauer an der Binnenalster miterlebt haben. Auch die Ruder-Bundesliga ist sehr populär. Andererseits hat das klassische olympische Rudern über 2000 Meter auch eine besondere Qualität, die mit dem Sprint nicht zu vergleichen ist. Er kann nur eine Ergänzung sein, um den Rudersport noch populärer zu machen.
Johannesen: Dem kann ich nur zustimmen. Wäre das Rudern nur noch Sprint, würde der Sport grundlegend verändert. Es sind ganz andere körperliche Voraussetzungen gefragt, der Ausdaueranteil ist auf einer 300-Meter-Strecke untergeordnet. Man sollte die Tradition nicht leichtfertig infrage stellen.
Auch der Skilanglauf hat sich verändert, inzwischen gibt es Sprintrennen sogar in Innenstädten.
Johannesen: Hier reden wir aber über Rennen, die einige Minuten dauern und nicht nur 40 Sekunden. Ich mache mir im Übrigen keine Sorgen, dass zu einer Weltmeisterschaft nicht genügend Zuschauer nach Allermöhe kämen. 2007 in München sind am Finalsonntag 15.000 auf die Regattastrecke nach Oberschleißheim gekommen, und die liegt auch nicht gerade zentral.
Neumann: Bei der Junioren-WM ist die Tribüne am Sonntag übrigens ausverkauft. Tradition heißt, nicht nur Asche zu bewahren, sondern das Feuer auch immer wieder neu zu entfachen. Insofern glaube ich, dass Sprints helfen, den Rudersport populärer zu machen. Es gilt aber auch die technischen Möglichkeiten zu nutzen. Wir können durch „Flying Cameras”, wie wir sie von der Fußball-WM kennen, den Menschen das Rudern so nahebringen wie noch nie. Es entstehen grandiose Bilder, das ist Werbung pur für den Rudersport.
Ist die Strecke in Allermöhe olympiareif?
Johannesen: Auf jeden Fall, die Bedingungen sind optimal. Ein großer Vorteil ist, dass neben der Rennstrecke ausreichend Platz für den Bootspark und die Teilnehmer vorhanden ist. Das ist an vielen anderen Standorten nicht gegeben. Am Rotsee in Luzern zum Beispiel ist der Platz doch sehr begrenzt und die Teilnehmerzahl entsprechend irgendwann ausgereizt. Das schmälert auch den Charme einer Regatta.
Ist Hamburg selbst schon olympiareif?
Johannesen: Der Sport ist in der Identität der Stadt, in der Mentalität der Menschen fest verwurzelt, der Zuspruch der Bevölkerung ist groß. Hamburg macht sich auch politisch viele Gedanken um den Sport, mit der Dekadenstrategie ist die Stadt ein Vorreiter. Trotzdem ist Olympia ein Thema, das man nicht mal eben so einpflanzen kann. Das muss wachsen, sich entwickeln. Ich vermute, dass ein olympisches Bewusstsein erst dann richtig entsteht, wenn auch die Bewerbungsphase in Gang kommt. Natürlich würde dieser Prozess befördert, wenn Sportstätten weiter ausgebaut und internationale Großereignisse wie eine Ruder-WM ausgerichtet würden. Wichtig wird auch sein, die Wirtschaft in den Bewerbungsprozess einzubeziehen, um die Kosten zu bewältigen.
Tut die Stadt genug für ihre Spitzensportler?
Johannesen: Wenn ich mir die Situation meiner Kollegen aus allen Teilen Deutschlands anschaue, genießen wir hier schon eine gute Förderung. Ein vergleichbares System wie das Team Hamburg mit seinen 70 Athleten gibt es in der Breite wohl nirgends. Aber natürlich kann man auch in der A-Förderung von 450 Euro monatlich nicht leben. Letztlich ist man als Vertreter einer Randsportart immer auf mehrere Einnahmequellen angewiesen: Sporthilfe, private Sponsoren.
Wie haben Ihre Kollegen darauf reagiert, dass Hamburg ein Olympiakandidat ist?
Johannesen: Vielen ist die Willkommensfeier für die Olympiamannschaft 2012 in Erinnerung geblieben. Sie hat die Erwartungen weit übertroffen. Man darf ja nicht vergessen: Wir sind an einem Werktag um die Mittagszeit am Hafen eingelaufen, und trotzdem sind Zehntausende Bürger gekommen und haben uns empfangen. Das hat mächtig Eindruck gemacht und viele Athleten bewegt. Und es hat gezeigt, dass man Hamburg ein solches Ereignis zutrauen kann. Dass auch Berlin als Hauptstadt mit seiner großen Sportlandschaft zur Wahl steht, ist fast zwangsläufig. Aber dass Hamburg die Alternative ist, beweist, dass man hier in der Sportförderung den richtigen Weg beschritten hat. Wir haben uns in den Schwerpunktsportarten gut positioniert und verfügen über sehr gute Kaderathleten, im Rudern so viele wie lange nicht mehr.
Ist unter den Hamburger WM-Junioren ein künftiger Olympiasieger dabei?
Johannesen: Das lässt sich ganz schwer vorhersagen. Der Weg dorthin dauert in jedem Fall fünf, sechs Jahre, und es darf nichts dazwischenkommen. Eine schwere Krankheit, eine Verletzung kann schon alles kaputt machen. Aber wenn ich Namen nennen soll: Tim Ole Naske wird im Einer bestimmt eine Medaille holen. Aber auch im Riemenbereich haben wir eine sehr gute Breite.
Neumann: Was mir wichtig ist: Hamburg ist stolz und froh über alle Sportlerinnen und Sportler, die sich auch nur auf diesen harten Weg begeben. Sie sind für mich schon Titanen. Dass hinterher Medaillen gezählt werden, ist nachvollziehbar. Letztlich entscheiden oft Kleinigkeiten oder schlicht Glück, ob es fürs Podest reicht oder nicht.
Was können die Sportler zu einer Olympiabewerbung beitragen?
Neumann: Unsere Sportler sind wunderbare Botschafter für die Stadt. Und wir können vor allem von ihrer Erfahrung profitieren. Wir haben deshalb schon einen gemeinsamen Workshop am Olympiastützpunkt veranstaltet. Dabei wurde zum Beispiel die Frage der Akkreditierung der Spitzensportler aufgeworfen, die offenbar eine sehr langwierige und lästige Prozedur ist. Warum also lassen wir nicht die Nationalmannschaften auf dem Airbus-Werksflughafen in Finkenwerder landen und bringen sie von dort per Schiff ins olympische Dorf? Das wäre ein Riesenerlebnis für die Aktiven, ein würdiger Empfang, und die Akkreditierung könnte man bereits an Bord abwickeln. Es entspräche unserer Idee, die Athleten mehr in den Mittelpunkt der Spiele zu rücken. Ihnen sollte Olympia gewidmet sein.
Was halten Sie als Athlet vom Hamburger Olympiakonzept, Herr Johannesen?
Johannesen: Hamburg hätte mit Spielen am Wasser eine Menge zu bieten. Ein zentrales olympisches Dorf mit Sportstätten im Radius von einer Stunde Fahrt wäre etwas ganz Besonderes. Wenn ich an London 2012 denke: Wir Ruderer waren so weit außerhalb der Stadt, dass wir nicht im olympischen Dorf wohnen konnten. Das war schade.
Neumann: Die Athleten haben auch den Wunsch an uns herangetragen, nahe dem olympischen Dorf Unterkünfte für Familien und Freunde zu schaffen. Ein solches „Family and Friends“-Dorf wäre in Wilhelmsburg realisierbar.
Herr Johannesen, wären Olympische Spiele in Hamburg 2024 Grund genug, die Karriere so lange fortzusetzen?
Johannesen: Warum nicht? Ich wäre dann 36. Greg Searle war 40, als er vor zwei Jahren in London mit dem britischen Achter Bronze gewann.
Neumann: Ich bin auch erst 44. Aber ich sehe meine Zukunft im Bobfahren.