Wie Janne Friederike Meyer ihre Pferde für das Deutsche Spring- und Dressurderby in Klein Flottbek trainiert. „Pferde brauchen Abwechslung“, sagt die 33-Jährige.
Hamburg. Seine Schritte sind regelmäßig, die Augen wenden sich nur einmal nach links, als zwei weibliche Wesen den Weg hinaufgeschritten kommen. Eine kurze Begrüßung, dann ist er wieder in seinem Element, und selbst als Laie kann man spüren, dass Codex zufrieden ist mit sich und der Welt um ihn herum, und das, obwohl er auf einem Laufband seine Nachmittagseinheit absolviert. Warum er dabei nicht schwitzt und stöhnt und schimpft, sondern nur leise schnaubt, ist schnell erklärt: Codex ist ein sieben Jahre alter Westfälischer Hengst, und das Training auf dem Horse Gym 2000, dem „Fitness-Studio fürs Pferd“, wie der Werbespruch verkündet, ist für ihn wie eine Belohnung.
„Pferde brauchen Abwechslung, sie müssen sich auch mal ohne Reiter bewegen, damit sie den Kopf freibekommen. Das ist gut fürs Gemüt“, sagt Janne Friederike Meyer. Codex ist ihr neuer Hoffnungsträger, eins von zehn Pferden, die Hamburgs bester Springreiterin anteilig gehören und die sie im Reitstall Friedrichshulde an höhere Aufgaben heranführen will. Zwölf Boxen in Vollpension – das bedeutet Füttern und Ausmisten inklusive – hat die 33-Jährige auf dem Hof in Schenefeld an der nordwestlichen Hamburger Stadtgrenze gepachtet, hier schlägt das Herz ihrer Pferdewelt, und in diesen Tagen, nicht mal mehr drei Wochen vor Beginn des Springderbys in Klein Flottbek (28. Mai bis 1. Juni), herrscht natürlich Hochbetrieb.
Dass auch Pferde auf einem Laufband trainieren, mag diejenigen überraschen, die dachten, dass eine weitläufige Koppel ausreichen müsste, um die Tiere in Form zu bringen. Das ist zwar nicht falsch, aber Meyer und ihr Team, zu dem neben drei angestellten Mitarbeitern auch ihr Freund Christoph Zimmermann gehört, legen viel Wert darauf, ihre Tiere nicht einseitig zu belasten. Friedrichshulde bietet beste Möglichkeiten, es gibt eine Halle, in der zwei Reitflächen parallel genutzt werden können, zwei Führanlagen, je einen Sand- und Grasspringplatz mit Hindernissen, ein Dressurviereck, einen Longierzirkel und jede Menge Freiflächen. Aber das Laufband, das als Neugerät vor acht Jahren 16.000 Euro kostete, wollen sie dennoch nicht missen.
Die Besonderheit des Gerätes ist, dass die über zwei Rollen rotierende Hartgummimatte auf einer Platte aufgebracht ist, sodass die Pferde einen ebenen Auftritt haben. Das schont die Gelenke gegenüber den Geländeritten. Die Geschwindigkeit ist ebenso in kleinen Stufen regelbar wie die Steigung von null bis zehn Prozent, allerdings wird nur in der Gangart Schritt trainiert. Für jedes Pferd gibt es ein individuell angepasstes Programm, in der Regel laufen sie nicht länger als 20 Minuten. Gerät ein Tier ins Stolpern, stoppt das Band sofort. „Das Gute ist, dass die Pferde auf dem Band ohne Reiter und ohne Longe an der frischen Luft in Bewegung sind“, sagt Meyer. Im Winter nutzen die Pferde das Gerät auch zum Warmmachen vor Springeinheiten.
Um sich auf Turniereinsätze vorzubereiten, werden die Pferde an normalen Trainingstagen in bis zu drei Einheiten gefordert. Eine davon ist regenerativ, also auf dem Laufband, in der Führanlage oder einfach ein Spaziergang durchs Gelände im Schritttempo. Dazu kommen zwei Arbeitseinheiten. Diese umfassen freies Galoppieren, das austrainierte Pferde problemlos 15 bis 20 Minuten am Stück durchhalten; Gymnastikreiten, bei dem die Tiere über in drei Meter Abstand postierte, 45 bis 60 Zentimeter hohe Hindernisse (Cavaletti) springen müssen, um das Landen und das sofort anschließende Heben zu trainieren und klassische Dressur, bei der die Pferde lernen, was sie zwischen den Hindernissen zu tun haben.
Parcourstraining mit Reiter gibt es maximal zweimal die Woche. „Man muss das Pferd beobachten und sich hineinfühlen, um zu wissen, wann man es wie belasten kann“, sagt Janne Meyer. Ein fester Ruhetag wird nicht eingelegt, „weil sich Pferde in der Natur ja auch täglich bewegen“, aber es gibt Freizeittage, an denen die Tiere nur auf die Weide gehen. Überhaupt versuchen sie in Friedrichshulde, sich auf die Pferde einzustellen, anstatt sie zu manipulieren. „Ich würde niemals versuchen, Pferde zu etwas zu zwingen, was sie nicht wollen. Natürlich muss man auch das trainieren, was sie nicht so mögen. Aber ein Pferd, das nicht springen mag, sollte man nicht zu einem Springpferd machen wollen“, sagt Janne Meyer.
Das klingt einleuchtend, dennoch liebt die 166 cm große Athletin nichts mehr, als jungen Pferden das Springen beizubringen. Mindestens vier Jahre alt müssen diese sein, bevor sie in ersten, verspielten Übungen im Schritt über am Boden liegende Hindernisse steigen dürfen. Im ersten Trainingsjahr überschreiten diese Hindernisse nie eine Höhe von einem Meter. „Aber es macht so viel Freude, wenn man die Entwicklungsschritte miterlebt, die die jungen Pferde machen“, sagt Janne Meyer. Erst als Siebenjährige gehen die Tiere bei internationalen Turnieren an den Start; so wie Codex, der in diesem Jahr beim Derby erstmals auf der Youngster-Tour antreten soll.
Janne Meyer besitzt derzeit kein Pferd für höhere Ansprüche
Dass man die Belastungen eines Turniers sowieso in keinem noch so harten Training nachstellen kann, ist ebenso kein Geheimnis wie der Fakt, dass Janne Meyer eine schwierige Phase ihrer Karriere durchläuft. Aus den Top 100 der Weltrangliste ist sie herausgerutscht wie aus dem deutschen Championatskader, und weil ihr einstiges Paradepferd Cellagon Lambrasco, ihr geliebter „Mops“, mittlerweile den Ruhestand bei ihren Eltern in Nottfeld genießt und beim Derby mit einer Ehrenrunde verabschiedet wird, besitzt sie derzeit kein Pferd für höhere Ansprüche. Die Global Champions Tour in Klein Flottbek wird sie auslassen. Ob es mit dem zwölfjährigen Luke McDonald, einem mutigen, springstarken, aber wenig erfahrenen bayrischen Hengst zum Derbystart reicht, muss die Qualifikation zeigen.
Dennoch bleibt das Derby ein ganz besonderes Turnier, sie will es nutzen, um ihre Pferde zu entwickeln, Pferde wie Codex oder die neunjährige Schimmelstute Charlotta, die im Championat von Hamburg gehen soll. Natürlich hat sie sich Ziele gesetzt, sie möchte 2015 wieder die Global Champions Tour reiten, träumt von einem Start bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro, „und ich möchte unbedingt noch einmal das Derby fehlerfrei schaffen. Aber ich weiß, dass das ein harter Weg wird.“ Viele Einheiten, auf dem Laufband und auf den anderen Anlagen in Friedrichshulde, werden nötig sein. Die Zeit dafür will sich Janne Meyer geben, und erst recht ihren Pferden. Denn dass die zufrieden sind, das ist ihr oberstes Gebot.