Wie Hockey-Nationalstürmerin Lisa Altenburg vom Uhlenhorster HC es schaffte, nur sieben Monate nach der Geburt ihrer Tochter Sophie in die Weltspitze zurückzukehren.

Hamburg. Diese Geschichte hat viele Anfänge und noch kein Ende. Aber man könnte sie heute nicht erzählen, wenn Lisa Altenburg am 19. Oktober des vergangenen Jahres der Sorge nachgegeben hätte, die sie quälte. Die Hockey-Nationalstürmerin des Uhlenhorster HC hatte gerade ihr Comeback gegeben, es war zwar mit 2:3 beim Lokalrivalen Club an der Alster verloren gegangen, aber sie hatte ein Tor geschossen und sehr ordentlich gespielt. Und trotzdem war da dieser Gedanke in ihrem Kopf: Dass sie es nicht mehr schaffen könnte, zu alter Leistungsstärke zurückzufinden. „Ich war schon nach einem Sprint tot und fragte mich, ob ich mir das alles wirklich noch antun sollte“, erinnert sie sich.

Fast ein Jahr lang war Lisa Altenburg außer Gefecht gesetzt gewesen, es war allerdings keine Verletzung, die sie gestoppt hatte, sondern der schönste aller Gründe. Am 1. Oktober 2012, wenige Wochen nach ihren ersten Olympischen Spielen, hatte die heute 24-Jährige erfahren, dass sie schwanger war. Trotz ihres jungen Alters war die Nachricht kein Schock für sie und ihren Ehemann Valentin Altenburg, 32, höchstens der Zeitpunkt kam überraschend, „dass es so schnell klappen würde, hätten wir nicht gedacht“. Die nötige Konsequenz, sich aus dem Leistungssport zurückzuziehen, zog die Torjägerin gern, mit dem festen Vorsatz, ihre Karriere nach der Geburt des Kindes wieder aufnehmen zu wollen.

Doch wie das so ist mit Vorsätzen, oft werden sie von der Realität schnell einkassiert. Lisa Altenburg genoss die Schwangerschaft, „ich hatte keinerlei Beschwerden, sondern eine Menge positiver Energie“, sagt sie. Und doch kamen immer wieder Zweifel in ihr auf, wie das mit dem Hockey werden sollte, wenn das Kind erst da wäre. Sie war stets eine extrem ehrgeizige Spielerin, die für ihr größtes Hobby alles gegeben hätte. „Aber ich wollte, dass weder mein Kind noch mein Sport leidet und war mir nicht sicher, ob sich beides vereinen lässt.“

Am 31. Mai kam Sophie zur Welt, es war eine schwere Geburt, 36 Stunden lag Lisa Altenburg in den Wehen, doch alle Schmerzen waren vergessen, als sie die Tochter im Arm hielt. Und weil sie über die Monate gespürt hatte, wie sehr ihr das Hockeyspielen fehlte, stand der Entschluss fest: sie wollte die Rückkehr schaffen. Die Technik, die immer ihre herausragende Stärke gewesen war, verlernt man nicht. Ihr Problem waren 15 überschüssige Kilo, eine überbeanspruchte Beckenboden-Muskulatur und völlig am Boden liegende Ausdauer- und Athletikwerte.

Norbert Sibum war einer der Menschen, die Abhilfe schaffen sollten. Er ist Reha- und Athletiktrainer am Olympiastützpunkt in Hamburg, aber er hatte noch nie eine Schwangere zurück auf Leistungssportniveau geführt. Sibum war vor allem von der Entschlossenheit beeindruckt, die Lisa Altenburg ausstrahlte. „Schon Anfang Juni, wenige Wochen nach der Geburt, war sie das erste Mal bei mir. Ich habe sie dann gebremst, weil man sich nach einer Schwangerschaft nicht sofort wieder belasten soll. Aber Leistungssportler ticken anders, und so hat sie im Juli mit den ersten Einheiten begonnen und war neun Wochen nach der Geburt erstmals laufen“, sagt er. „Wir mussten experimentieren, haben ihre Hebamme und ihren Frauenarzt zu Rate gezogen und konnten sehr bald mit den normalen Belastungsparametern arbeiten, denn die Rückbildung hatte sie schnell und komplikationslos abgeschlossen.“

Warum Schwangere in der Rehabilitation oft einen stärkeren Antrieb haben als Verletzte, erklärt der Hamburger Internist und Sportmediziner Michael Ehnert mit dem veränderten Hormonhaushalt. „Gerade in der Stillperiode können die Hormonschwankungen für eine Leistungssteigerung sorgen. Grundsätzlich hat ein trainierter Körper durch eine Schwangerschaft keine Beeinträchtigungen, wenn es keine Komplikationen gab“, sagt er. Lisa Altenburg kann diese Erfahrung bestätigen. Die 15 Kilo hatte sie innerhalb von drei Monaten komplett verloren, und obwohl die knapp sechsmonatige Stillzeit sie extrem auszehrte, war der Wille, zum Training zu gehen, ungebrochen.

Mit der Hilfe von Sibums Aufbauplan und den praktischen Anleitungen von UHC-Fitnesscoach Andreas Hünerberg schaffte sie die Rückkehr ins Mannschaftstraining bereits im September, obwohl ursprünglich die Hallensaison im Dezember angepeilt gewesen war. UHC-Trainer Claas Henkel sagt: „Lisa hatte ihr Comeback mit einem enormen Ehrgeiz und einer unfassbaren Einstellung vorbereitet, so dass ich nicht überrascht darüber war, dass sie es so schnell geschafft hat.“ Psychisch halfen ihr besonders die Gespräche mit den früheren Nationalspielerinnen Anneke Böhmert und Anke Kühn, die ebenfalls als Mütter den Wiedereinstieg geschafft hatten. „Sie haben mich ermutigt, auf mein Körpergefühl zu hören und nicht so sehr auf die Vernunft, und das hat mich enorm beruhigt.“

Nachdem der erste Schritt geschafft war, nachdem sie in der Hallensaison über die Wettkämpfe ihre Spritzigkeit und Fitness zurückerlangt und auch Rückschläge in Form eines Muskelfaserrisses im Hüftbeuger und einer dreiwöchigen Grippeerkrankung überstanden hatte, folgte im Februar die ultimative Prüfung. Bundestrainer Jamilon Mülders, der den Kontakt über die gesamte Ausfallzeit gehalten und keinerlei Druck aufgebaut hatte, lud die Angreiferin zum Zentrallehrgang der Nationalmannschaft nach Malaysia ein. Dort sollten die ersten Tickets für die WM in den Niederlanden (1. bis 15. Juni) vergeben werden, ein Ziel, auf das alle Auswahlspielerinnen seit eineinhalb Jahren hinarbeiteten.

Für Lisa Altenburg, die sich fit und gesund fühlte, stellte sich vor allem eine zentrale Frage: Wie würde sie eine fast dreiwöchige Trennung von ihrer Tochter verkraften, zumal auch der Kindsvater nicht für die Betreuung zur Verfügung stand, weil er als Assistent des Bundestrainers ebenfalls in Malaysia gefragt war? Schon für die vielen zusätzlichen Trainingseinheiten während der Rehaphase hatten sich beide ein ganzes Netzwerk an Babysittern aufgebaut, ihre Eltern halfen, wo immer es ging, auch die Mitspielerinnen, und wenn gar niemand Zeit hatte, musste Sophie auf ihrer Krabbeldecke spielen, während die Mama schuftete. Aber drei Wochen in Asien, viele Tausend Kilometer voneinander entfernt? Doch als sich Lisas Eltern, die in Mönchengladbach leben, bereit erklärten, die Kleine für die Zeit in Pflege zu nehmen, nahm sie die Herausforderung an.

Bundestrainer Mülders kann sich noch gut an den Eindruck erinnern, den seine flinke Torjägerin in Malaysia hinterließ. „Ich war sehr überrascht, wie stabil Lisa sich präsentiert hat. Sie hat eindrucksvoll nachgewiesen, dass sie körperlich und mental für die Belastung eines großen Turniers bereit ist“, sagt er. Der Lohn war die prompte WM-Berufung. Lisa Altenburg nahm diese mit einer Mischung aus extremer Überraschung und großer Freude über das in sie gesteckte Vertrauen auf. Sie wusste in jenem Moment, dass sie es geschafft hatte, aber sie wusste auch, warum: „Ohne die Hilfe meiner Eltern, aber auch ohne die entspannte Art unserer Tochter, die nachts super schläft und sich zu fast jedem abgeben lässt, hätte ich es nie geschafft!“

Gut zwei Monate sind seitdem vergangen. Zeit, die Lisa Altenburg genutzt hat, um weiter an sich zu arbeiten. Sie hat in diesen Tagen das Gefühl, „dass ich auf dem maximalen Leistungsstand bin, den ich von mir kenne. Ich behaupte, dass ich am oberen Limit spiele, was Fitness und Athletik angeht. Vor allem aber habe ich durch das Jahr Pause eine Freude am Hockey, die mir vorher manchmal gar nicht bewusst war.“ Dieses Gefühl trage dazu bei, dass sie sich negative Erfahrungen im Spiel, die sie früher bisweilen völlig aus dem Konzept brachten, nicht mehr so arg zu Herzen nimmt. Sie hat es geschafft, bei allem Ehrgeiz ein Stück weit Entspannung zuzulassen, das ihr hilft, noch besser zu sein.

An diesem Wochenende, bei der Endrunde um die deutsche Feldmeisterschaft auf eigener Anlage (siehe Infokasten), und vor allem bei der in vier Wochen beginnenden Weltmeisterschaft will die Torjägerin nun den Beweis antreten, dass sie zwar nicht mehr die Alte, aber eine mindestens so gefährliche und leistungsstarke Spielerin ist wie vor ihrem Rückzug. Während der WM wird das Töchterchen wieder bei den Großeltern sein, sie haben nahe Den Haag ein Ferienhäuschen am Strand gemietet, Mutter und Kind werden sich deshalb an spielfreien Tagen sehen können. Die Geschichte der Leistungssportlerin Lisa Altenburg soll frühestens nach den Olympischen Spielen 2016 enden. Erst danach, so der Plan, soll Sophie ein Geschwisterchen bekommen. Das wäre dann der Anfang einer neuen Geschichte.