Warum der Boxweltmeister an diesem Sonnabend gegen den unbekannten Alex Leapai antreten muss. Wie gefährlich der 183 cm große Samoaner, der am Freitag beim Wiegen 112,5 kg auf die Waage brachte, dem Champion (198 cm, 112,2 kg) wirklich werden kann, bleibt abzuwarten.
Hamburg. James Ali Bashir versuchte sich gar nicht erst in Diplomatie. „Es gibt viele Gegner, die es versucht haben, Wladimir Klitschko zu attackieren. Aber sie alle gehören nicht mit ihm in den Ring, weil sie weit unter seiner Klasse rangieren“, sagte der Assistenztrainer des ukrainischen Dreifachweltmeisters im Schwergewicht, als er auf dessen nächsten Gegner angesprochen wurde. An diesem Sonnabend (22.10 Uhr/RTL) kämpft der 38-Jährige in der König-Pilsener-Arena in Oberhausen gegen Alex Leapai; einen Mann, den Bashir offensichtlich als ebenso chancenlos ansieht wie die meisten anderen, die in den vergangenen zehn Jahren vergeblich versuchten, den jüngeren Klitschko-Bruder zu besiegen.
Wie gefährlich der 183 cm große Samoaner, der am Freitag beim Wiegen 112,5 kg auf die Waage brachte, dem Champion (198 cm, 112,2 kg) wirklich werden kann, bleibt abzuwarten. Bis auf sein Kämpferherz und seine Schlaggewalt hat der 34-Jährige kaum etwas zu bieten. In seinem Rekord finden sich 37 Profikämpfe, von denen er 30 gewann (24 durch K. o.) und bei drei Remis vier verlor. Gegner von Weltklasseformat hatte er nie, seine namhaftesten „Opfer“ sind die US-Amerikaner Travis Walker, Owen Beck und Darnell Wilson, gegen den ebenso durchschnittlichen Kevin Johnson verlor er sogar vorzeitig.
Dennoch ist Leapai vom Weltverband World Boxing Organisation (WBO) zum Pflichtherausforderer bestimmt worden, nachdem er sich im November 2013 in Bamberg überraschend nach Punkten gegen den bis dato unbesiegten Russen Denis Boytsov durchgesetzt hatte. Ursprünglich war Boytsov, der acht Jahre für den Hamburger Universum-Stall gekämpft hatte und 2013 zum Berliner Sauerland-Team gewechselt war, als nächster Pflichtherausforderer vorgesehen gewesen. Um diese Position zu bestätigen, sollte er gegen einen unter den besten 15 der WBO-Rangliste positionierten Gegner kämpfen. Dass Boytsov, gehandicapt von einer schweren Knieblessur und unter dem Einfluss eines Rechtsstreits mit Universum-Geschäftsführer Waldemar Kluch stehend, in erschütternder Verfassung antrat und Leapai fast wehrlos ins offene Messer lief, konnte die WBO nicht davon abhalten, den Wahl-Australier als Nummer eins zu nominieren.
„Wir erwarten von Pflichtherausforderern, dass sie aktiv sind und qualitativ gute Gegner boxen. Auch regionale Titel spielen eine Rolle bei der Positionierung, und Leapai ist Asia-Pazifik-Meister. Nachdem er mit Boytsov einen unbesiegten Mann geschlagen hatte und einige vor ihm in der Rangliste platzierte Sportler nicht zur Verfügung standen, sahen wir keinen Grund, ihm die Chance zu verweigern“, sagt José Izquierdo, Generalsekretär der WBO.
Der Unterschied zwischen einer Pflicht- und einer freiwilligen Verteidigung ist, dass bei ersterer der jeweilige Weltverband seinem Champion vorschreiben kann, die Nummer eins seiner Rangliste als Gegner zu akzeptieren, während bei der anderen ein beliebiger Herausforderer gewählt werden kann, der in den Top 15 der Rangliste geführt wird. Geht eine Pflichtverteidigung in die Börsenversteigerung, wird die Kampfbörse im Verhältnis 75:25 Prozent zwischen Weltmeister und Herausforderer geteilt. Einigen sich beide Seiten wie im aktuellen Fall fristgerecht, ist die Börse frei verhandelbar. Leapai kassiert an diesem Sonnabend rund eine Million Euro, Klitschko dürfte bei rund fünf Millionen liegen.
Zwar haben die Weltverbände offiziell strenge Regeln, nach denen die Rankings erstellt werden. „Aber in der Realität kommen die Boxer in 80 Prozent der Fälle durch Manipulationen oder Schmiergeldzahlungen in bessere Positionen“, sagt Jean-Marcel Nartz, der sich als langjähriger Technischer Leiter der deutschen Toppromoter Sauerland und Universum bestens mit dem Prozedere auskennt. „Dadurch sind die Ranglisten kaum noch nachvollziehbar, was der Fall Leapai wieder einmal beweist“, sagt Nartz.
Klitschko will dennoch weiterhin all seinen Pflichten nachkommen, auch wenn sie bisweilen zur Last werden. „Für sein Renommee bräuchte er das nicht zu tun, aber ihm liegt viel daran, als Weltmeister allen Herausforderern ihre Chance zu geben“, sagt Klitschko-Manager Bernd Bönte. Weil er neben dem Titel der WBO auch die Gürtel der World Boxing Association (WBA) und der International Boxing Federation (IBF) besitzt und somit drei Pflichtherausforderer auf ihre Chance warten, hat der 38-Jährige Sonderrechte. Normalerweise muss ein Weltmeister seinen Titel einmal im Jahr pflichtverteidigen. Weil ihn WBA und WBO jedoch als Superchampion führen, hat er dort zwei Jahre Zeit für die Pflicht, 18 Monate sind es bei der IBF.
Allerdings sind auch diese Fristen durchaus noch dehnbar. Die WBA hat bereits schriftlich bestätigt, dass Klitschko nach dem Sieg über den Russen Alexander Povetkin im Oktober 2013 erst im Herbst 2015 zur nächsten Pflicht antreten muss. Bei der IBF werden zwischen der im Herbst 2014 geplanten Pflichtverteidigung gegen den Bulgaren Kubrat Pulev und dem Duell mit dem US-Amerikaner Tony Thompson im Juli 2012 mehr als zwei Jahre liegen. Bei der WBO datiert die letzte Pflichtverteidigung sogar vom Juli 2011 gegen den Briten David Haye.
Da jeder Boxer von seiner Börse jedem beteiligten Weltverband zwei bis drei Prozent Gebühren abgeben muss, genießt ein Geldbringer wie Klitschko Sonderstatus. Kein Verband wird das Überschreiten der Fristen mit einem in den Regeln vorgesehenen Titelentzug sanktionieren. Wenn Leapai an diesem Sonnabend tatsächlich die große Überraschung schafft, würden die Karten in der Königsklasse des Berufsboxens wieder ganz neu gemischt werden. Doch James Ali Bashir ist sicherlich nicht der Einzige, der daran nicht glauben mag.