Felix Magath trainiert seit sieben Wochen den FC Fulham, Tabellenletzter der englischen Premier League. Fans und Mitarbeiter setzen auf ihn. Abendblatt-Reporter Rainer Grünberg besuchte ihn im Süden Londons.

Das kleine Café in der Südtribüne des Stadions ist um die Mittagszeit gut besucht. Lunchtime in Craven Cottage, der malerischen Spielstätte des englischen Premier-League-Clubs FC Fulham direkt an der Themse. Es gibt Salate, Sandwiches, Snacks und Kartoffeln mit Füllung zu moderaten Preisen. An den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotos von Johnny Haynes, dem bekanntesten Spieler des 1879 gegründeten, ältesten erstklassigen Londoner Fußballvereins. Haynes schoss von 1952 bis 1970 als Halbstürmer in 657 Spielen für den Club 157 Tore. Einen wie ihn könnten sie heute im Abstiegskampf gut gebrauchen.

Vor dem Eingang steht auf einem Betonsockel eine Statue des „Maestro“, der damals als erster Profifußballer 100 Pfund die Woche verdiente, was einer heutigen Kaufkraft von 4500 Euro entspricht. Neben der Skulptur sitzt Kathy, 37, eine von 180 Angestellten des FC Fulham. Sie wirkt angespannt, drückt ihre Zigarette hastig im Aschenbecher aus. „Wir machen uns alle Sorgen, wie es weitergehen soll, falls wir absteigen“, sagt die Sekretärin, „niemand hat bisher mit uns darüber geredet.“

Zweite Liga, die in England Championship heißt, das bedeute bei 24 statt 20 Mannschaften mehr Punktspiele, mindestens 46 statt 38, weniger Zuschauer, weniger Sponsoren. Auch weniger Mitarbeiter? Kathy zuckt mit den Schultern. „Nobody knows“, keiner weiß es, sagt sie. Seit die Deutschen da sind, habe sie wieder etwas Hoffnung, dass es mit dem Klassenerhalt klappen könne. „Die machen einen exzellenten Job. Sie arbeiten viel, vor allem sehr diszipliniert. Deutsche eben. Aber die Neuen sind sehr spät gekommen, womöglich zu spät.“

Trainer Felix Magath, 60, sein Assistent Tomas Oral, 40, und Athletikcoach Werner Leuthard, 52, erscheinen pünktlich zum Anpfiff im Stadion. U-21-Premier-League steht am frühen Nachmittag an der Stevenage Road im Südwesten Londons auf dem Programm: Fulhams Junioren, der Nachwuchs des Tabellenletzten, gegen den des Spitzenreiters FC Liverpool. Während Magath in der Ehrenloge Gespräche mit Honorationen und Mitarbeitern des Vereins führt, setzen sich Oral und Leuthard auf der fast menschenleeren Tribüne in die dritte Reihe. Die Frühlingssonne wärmt die wenigen Zuschauer, der frisch gemähte Rasen verströmt einen angenehm süßlichen Duft. „Ist das nicht herrlich hier“, schwärmen sie, „das ist noch ein richtig schönes altes Fußballstadion.“

Die 1896 errichtete Südtribüne mit ihrer Backsteinfassade ist denkmalgeschützt, die auf der anderen Seite soll ausgebaut werden, hat der neue Vereinseigner Shahid Khan, 59, ein milliardenschwerer pakistanisch-amerikanischer Geschäftsmann, entschieden. Die Genehmigung liegt seit Anfang dieser Woche vor. Bisher bietet Craven Cottage 25.700 Besuchern Platz. Bis zu 40.000 sollen es mal werden. Zur zweiten Halbzeit gesellt sich Magath zu den Kollegen. Die Aktionen einzelner Spieler werden launig kommentiert, manche erfreut registriert. Am Ende gewinnen Fulhams Talente 2:1 „Geht doch!“, sagt Magath und klatscht Beifall. Der Club leiste seit Jahren hervorragende Nachwuchsarbeit, davon werde die Profimannschaft profitieren, irgendwann. Die braucht allerdings erst einmal Soforthilfe.

Als Magath am 14. Februar in Fulham unterschreibt, einen Tag nach seiner Absage beim HSV, ist der Verein Tabellenletzter. Ein Sieg, ein Unentschieden und vier Niederlagen später hat sich an der misslichen Lage nichts geändert. Fünf Punkte fehlen bis zum rettenden 17. Platz. Nur sechs Spiele bleiben, um den Rückstand aufzuholen. Die Londoner Boulevardmedien spekulieren bereits über den vorzeitigen Rausschmiss des Coaches. Es wäre nach den Niederländern Martin Jol und René Meulensteen der dritte in dieser Saison. Der Trainerstuhl beim FC Fulham gilt in England als „Hot Seat“, als Schleudersitz.

Anhaltspunkte dafür gibt es derzeit nicht. Allein Eigner Khan, auch Besitzer des NFL-Footballclubs Jacksonville Jaguars, entscheidet in Fulham. Mit ihm telefoniert Magath einmal in der Woche in den USA. „Natürlich ist er alles andere als erfreut über unsere Lage“, sagt der Trainer, „doch wir sind uns grundlegend einig über meine Ausgangssituation und den weiteren Weg. Er will mittelfristig mit dem Verein etwas erreichen. Das will ich auch. Ich bin nicht als Feuerwehrmann gekommen, sondern um hier mit meinem Team etwas aufzubauen. Wir haben noch immer die Chance, den Abstieg zu vermeiden. Das 1:3 gegen Everton am vergangenen Sonntag war unsere bisher beste Leistung. Treten wir spielerisch und kämpferisch weiter derart engagiert auf, holen wir die nötigen Punkte.“ Magaths Vertrag läuft bis zum 30. Juni 2015. Er gilt – ganz bewusst – auch für die Zweite Liga.

„Das ist mit Abstand mein schwerster Job“, sagt Magath, „aber das war mir von vornherein klar.“ Die Zeit ist knapp, das Transferfenster geschlossen, seine Einflussmöglichkeiten sind begrenzt. Der im Winter für 15 Millionen Euro Ablöse von Olympiakos Piräus als vermeintlicher Retter gekaufte deutsch-griechische Stürmer Konstantinos Mitroglou, 26, leidet seit Wochen unter Knieproblemen. Sein Ausfall macht Magaths Mission noch schwieriger.

Gregor, 42, Rezeptionist in einem Londoner Hotel, glühender Fulham-Fan und seit zehn Jahren Dauerkartenbesitzer, kennt die Ursachen der Krise: „Die Mannschaft, die 2010 im Uefa-Pokal-Halbfinale den HSV ausgeschaltet hat und dann das Finale in Hamburg gegen Atlético Madrid 1:2 verlor, war über Jahre zusammengewachsen. Die heutige Elf ist zusammengekauft. Das passt einfach nicht. Vom Potenzial der Spieler her müsste das Team um Platz sieben bis zehn spielen. Es ist eine Schande, dass wir ganz unten stehen.“ Gregor hofft nun auf Magath.

Das Trainingspensum zu erhöhen, ist gegen Ende einer langen Saison ein Drahtseilakt. Zu viel Belastung kann schaden. Gleich am Anfang lässt Magath in Fulham einmal zweimal am Tag üben. Das kommt bei seinen Spielern schlecht an. „In der Premier League wird traditionell nur einmal täglich trainiert“, weiß er inzwischen. Das habe mit dem umfangreichen Spielpensum zu tun, 38 Ligabegegnungen, dazu drei Pokalwettbewerbe, hört er. Fortan belässt es Magath bei einer Einheit am Tag. Die sei allerdings anspruchsvoller und intensiver als bei dessen Vorgängern, behaupten die Fulham-Profis.

„Die Spieler hätten kein Verständnis, wenn ich öfter trainierte“, sagt Magath, „sie würden sich einreden, es wäre zu viel, und entsprechend unwohl fühlten sie sich.“ Überhaupt habe hier Training nicht den Stellenwert, „den ich gerne hätte. Das muss ich akzeptieren“. Selbst den Trainingsbeginn um halb elf tastet er nicht an. „Wenn es in London neblig ist, was ja am frühen Morgen öfter vorkommen soll, kann man schon mal den Durchblick verlieren“, sagt er und grinst. Verständnis klingt anders. Dennoch stellt er seinen Profis ein gutes Zeugnis aus. Die meisten kämen eine Stunde vor der vereinbarten Zeit, nach dem Training werde gemeinsam gegessen. Viele blieben danach auf der Anlage, ließen sich behandeln oder machten im Gymnastikraum selbstständig Stabilitätsübungen.

Magaths Arbeit zeigt inzwischen erste Wirkung. Die Mannschaft läuft mehr, wirkt aggressiver. „Seit er hier ist, bin ich merklich fitter geworden. Deshalb spiele ich auch wieder besser“, sagt Ashkan Dejagah, 27. Der ehemalige Wolfsburger, einer von vier ehemaligen Bundesligaspielern im Team, hat unter Magaths Regie drei der fünf Fulham-Tore erzielt. „Ich kenne seine Art zu trainieren ja aus früheren Tagen. Mehr zu tun kann nie schaden. Schließlich wollen wir da unten rauskommen.“

Magath ist in der Premier League der erste deutsche Trainer, die in England Manager heißen, weil sie meist auch verantwortlich für Spielerein- und verkäufe sind. Wenn er über seine neue Aufgabe redet, wählt er häufig das Wort anpassen; anpassen an die Gegebenheiten, die Kultur, die Werte, die Rituale des anderen Landes. Das sei eine Sache des Anstands, des Respekts, sagt er. Im Ausland müsse man nicht gleich als Ausländer auffallen. In England fällt es Teetrinker Magath leicht, sich anzupassen. Er mag das Land, London speziell. Mit seiner Frau und seinen Kindern hat er in den vergangenen Jahren regelmäßig die Finaltage des Tennisturniers in Wimbledon besucht. Jetzt kommt die Familie schon zu Ostern in den Schulferien für 14 Tage aus München.

Der englische Fußball entspricht ohnehin seinen Vorstellungen. „Hier steht der Sport noch im Mittelpunkt“, sagt Magath. Obwohl die Premier League die weltweit am besten vermarktete Fußballklasse ist, sind Sponsorentermine eher selten. Den Großteil der Millionen zahlt das Fernsehen. Doch selbst die Medien bleiben gewöhnlich außen vor. Das Training auf dem weitläufigen vereinseigenen Gelände im Motspur Park im Süden Londons ist einmal im Monat öffentlich, Gespräche mit Trainern und Spielern müssen über den Club angemeldet werden. „Wir können in Ruhe arbeiten. Das ist ein großer Vorteil“, sagt Magath. Außerhalb der Pressekonferenzen hat er in London bislang mit keinem englischen Journalisten gesprochen.

Die anfänglichen Schlagzeilen des Boulevards, „Mr. Medizinball“, „Saddam“, „Control Freak“, „Psychopath“, nimmt er achselzuckend zur Kenntnis. Er weiß aus Deutschland, dass er mit diesen Vorurteilen leben muss. Niemand mache sich schließlich die Mühe, ernsthaft zu recherchieren, sagt er. Nach den ersten Wochen hat sich der Ton in den Medien gemäßigt. „Ich habe das Gefühl, dass man mir jetzt mit mehr Verständnis begegnet.“

Dass der Fußball in der Premier League die Hauptrolle spiele und Marketing nur Beiwerk sei, genau das gefalle ihm. Dafür gebe es zahlreiche Belege, sagt Magath. Oft seien es Kleinigkeiten, die den Unterschied zur Bundesliga ausmachten. Schiedsrichter zum Beispiel werden nicht nur von ihresgleichen beurteilt, in jedem Spiel sitzt ein ehemaliger Profi auf der Tribüne, auch beide Trainer müssen hinterher ihre persönliche Meinung über den Unparteiischen aufschreiben. „Das hat dazu geführt, dass in England bei Zweikämpfen nicht ähnlich kleinlich wie in der Bundesliga gepfiffen und das Spiel nicht so oft unterbrochen wird. Der englische Fußball wirkt dadurch schneller, geradliniger“, sagt Magath.

Früher hätte in Deutschland eine spielerisch überlegene Mannschaft mit gesunder Härte bekämpft werden können. Das sei nun bei der herrschenden Regelauslegung unmöglich. „Die Überlegenheit der Bayern resultiert auch aus diesem Umstand. Die Gegner laufen nur nebenher. Die Bayern sind unantastbar geworden. Wer grätscht, muss fürchten, vom Platz zu fliegen. Die deutschen Schiedsrichter sind gut, sie werden aber von ihren Vorgesetzten in ein Korsett gezwängt, das dem Fußball schadet.“

Am späten Nachmittag muss Richard, der Chauffeur, noch einmal den Mercedes vorfahren. Das Trainerteam will nach Reading, 70 Kilometer außerhalb von London. Fulhams U18 spielt dort am Abend im Halbfinalhinspiel des FA-Cups für Nachwuchsmannschaften. Magath will zwei Spieler sehen: Mittelstürmer Moussa Dembele, 17, und den gleichaltrigen offensiven Mittelfeldmann Patrick Roberts. Dembele steht beim 1:3 gegen Everton erstmals in der Startelf, Roberts wird für zwölf Minuten eingewechselt. Magath arbeitet gern mit Talenten. An diesem Sonnabend bei Aston Villa sollen beide erneut zum Kader gehören. Auf der Rückfahrt von Reading diskutieren Magath, Oral und Leuthard, ob Roberts körperlich weit genug sei, um von Beginn an aufzulaufen. In Reading holt er den Elfmeter zum 1:2 heraus und schießt den Treffer zum 2:2-Endstand. Die Entscheidung wird vertagt.

In ihrem Londoner Hotel können die Trainer über die Themse in den Stadtteil Chelsea blicken. Aus den oberen Stockwerken ist die Stamford Bridge zu sehen, das Stadion des FC Chelsea. Hier spielt die Champions League. Ist dies das Ziel, das die drei vor Augen haben? „Nein“, sagt Leuthard, „wir müssen in Fulham erst mal beweisen, dass deutsche Trainer in der Premier League einen guten Job machen können. Bisher ist ihnen das nicht zugetraut worden. Wir verstehen uns daher auch als Botschafter des deutschen Fußballs.“

Das ist keine leichte Aufgabe. Wie es um das Image der Deutschen im Ausland bei einigen noch bestellt ist, zeigt sich am nächsten Vormittag auf dem Trainingsgelände im Motspur Park. Der niederländische Nationaltorhüter Maarten Stekelenburg, 31, von Magath auf die Ersatzbank gesetzt, sieht, wie ihn drei Nachwuchsspieler beim Torwarttraining am Rande des Platzes beobachten. Er dreht sich um und fragt, „What do the Germans say?“ Was sagen die Deutschen? „Jawoll!“, schreien die Jugendlichen. Alle vier lachen.

Magath, der später davon erfährt, lacht auch: „Ich habe schon immer gesagt, dass die Spieler bei mir im Training viel Spaß haben können.“