Bei den Eisschnellläufern dominiert Oranje. Niederländer haben 21 von 30 Medaillen gewonnen, davon sechsmal Gold

Sotschi. Jeden Abend, an dem einer der ihren im 2700 Kilometer entfernten Sotschi eine Goldmedaille gewinnt, zünden sie in Amsterdam im alten Olympiastadion von 1928 das Olympische Feuer an. Sechsmal war es schon so. Nur vier Olympiasiege überließen die Niederländer bislang anderen Nationen, insgesamt gewannen sie schon 21 von 30 möglichen Medaillen. Dass sich am Mittwoch über 5000 Meter Ireen Wüst und Carien Kleibeuker der Tschechin Martina Sablikova geschlagen geben mussten, war kaum mehr als ein Schönheitsfehler.

Denn das bisherige Rekordergebnis aus Nagano 1998 mit elf Medaillen ist längst geknackt. Die olympischen Eisschnelllauf-Wettbewerbe sind holländische Meisterschaften mit internationaler, aber kaum weiter ernst zu nehmender Beteiligung geworden. Da ruft auch Ministerpräsident Mark Rutte schon mal während der Siegerpressekonferenz auf dem Handy eines Goldmedaillengewinners an, wie neulich bei 10.000m-Champion Jorrit Bergsma, da jubelt der leibhaftige Monarch Willem-Alexander samt Gattin Máxima auf der Tribüne mit, wenn seine Könige des Eises regieren. Die Erfolgsserie versetzt eine ganze Nation in kollektiven Freudentaumel, rund ein Viertel der knapp 17 Millionen Niederländer verfolgt die Rennen vor dem Fernseher.

Die Konkurrenten sind konsterniert. „Ich denke, die Welt wird nicht untergehen, aber die Welt wird orange“, witzelte Matthew Kooreman, der Coach des US-Teams, gallig. „Ich habe so eine Dominanz noch nie zuvor gesehen. Sie sind in einer besseren Form, haben eine bessere Technik, sind uns allen einen Schritt voraus.“ Manchmal sind es auch zwei Schlittschuhschritte oder noch viel mehr. Jarle Pedersen, der Trainer der einst so ruhmreichen und hier enttäuschenden norwegischen Mannschaft, klagte: „So eine Vorherrschaft ist nicht gut für unseren Sport.“ Wobei er dann auch eingestehen musste: „Die Holländer können ja auch nichts dafür. Wir sind einfach nicht gut genug.“

Der russische Trainer Konstantin Poltavets hatte unterdessen eine ganz eigene Sicht, seiner Meinung nach ist der Belag schuld. „Die Holländer sind diese Art des Eises gewohnt“, polterte Poltavets, „es ist fast identisch mit dem Eis auf ihrer Heimbahn in Heerenveen.“ Um es näher zu erläutern, sprach er vom „Geher-Eis“, was bedeutet, dass dieses Eis den Holländern mit ihrer traditionell kürzeren Schrittfolge mehr zugute käme als den Läufern mit einem langen, gleitenden Schritt.

Der mehrfache Weltmeister und jetzige Trainer Gianni Romme freilich sieht ganz andere Ursachen hinter der Erfolgsserie seiner Landsleute: „Unser Geheimnis ist die große nationale Konkurrenz. Schon Kinder treten in Meisterschaften gegeneinander an, auch hier setzen sich nur die Besten durch.“ 10.000 registrierte Eisschnellläufer gibt es in den Niederlanden, in Deutschland sind es 1000. Vor Olympischen Spielen stehen harte Ausscheidungsrennen an. „Ich musste zwei Super-Rennen laufen, um nach Sotschi fahren zu dürfen“, sagte Michel Mulder, Sieger über 500 Meter. „Wenn sich einer von uns qualifiziert, ist er automatisch ein Favorit auf eine Medaille. Eisschnelllauf ist in unserer Heimat Kultur.“ Oder, wie Gianni Romme meinte: „Eisschnelllauf in Holland ist wie Tischtennis in China.“

Von der Jugend an werden die besten Läufer in privaten Sponsorenteams betreut, die Topstars sind hoch dotierte Vollprofis. Angesichts der großen internen Konkurrenz im Kampf um die Sponsoren-Fleischtöpfe ist das Mannschaftsklima so unterkühlt wie die Temperatur in der Adler-Eishalle. Nicht der Mannschaftsgeist regiert, sondern das Ego. Das war bei der Pressekonferenz nach den 10.000 Metern gut zu sehen und hören. Neben Sieger Bergsma saß Superstar Sven Kramer, der Silber gewonnen hatte. „Ich bin nicht hierhergekommen, um Silber zu gewinnen. Das ist sehr enttäuschend.“ Kramer wirkte, als müsse er sich überwinden, um Bergsma zu gratulieren. Als Silbermedaillengewinner ist man hier eben meist nur zweitbester Holländer.

Das einzige Problem: Dem holländischen Sportbund NOCNSF geht allmählich das Geld aus. Einschließlich der Bronzemedaille der Shorttrackerin Sjinkie Knegt, der einzigen der 22 holländischen Medaillen, die nicht von einer klassischen Eisschnellläuferin gewonnen wurde, ist der Verband schon jetzt 450.000 Euro an Prämien los. Für Gold gibt es 30.000 Euro, Silber bringt 22.500, Bronze 15.000. „Wir haben eine Spezialkasse, und wir werden sie wieder auffüllen“, sagt Sportbund-Präsident Andre Bolhuis. Es gibt nichts Schöneres, als Menschen auf diese Art und Weise belohnen zu können.“ Und er kündigte an, dass es bald noch teurer werden dürfte: „Wir sind noch nicht fertig in Sotschi.“

Sonnabend stehen zum Abschluss die Teamwettbewerbe an. Das Feuer wird dann sicher noch einmal brennen, im Olympiastadion von Amsterdam.