Brisant: Nicht Sepp Blatter oder Michel Platini haben als Erste ihre Kandidatur für den Präsidentschaftsposten angekündigt. Sondern der Diplomat Jérôme Champagne.
London. Diese Personalie birgt Brisanz: Nicht Joseph Blatter und auch nicht Michel Platini, sondern der gewiefte Strippenzieher Jérôme Champagne hat als Erster seine Kandidatur für den Fifa-Präsidententhron offiziell angekündigt. Das spannende Rennen um den Posten als mächtigster Fußball-Funktionär ist somit 16 Monate vor dem Wahltermin nach vielen Gerüchten eröffnet. „Wir können so nicht weitermachen. Man muss sich entscheiden, entweder nur zuzuschauen oder etwas zu tun. Ich habe mich entschieden zu handeln“, sagte der 55-jährige Champagne und kündigte als Wahlversprechen eine „Demokratisierung der Fifa“ an.
Der ehemalige Fifa-Funktionär und Vertraute von Amtshinhaber Blatter will beim nächsten Wahlkongress im Mai 2015 in Zürich Nachfolger des Schweizers werden. Realistische Chancen dürfte der Franzose aber nur haben, wenn Blatter nicht selber kandidieren sollte. Dem 77-Jährigen attestierte Champagne „fantastische Arbeit.“ Nicht auszuschließen ist, dass Blatter in die Pläne Champagnes sogar eingeweiht ist. Die frühere rechte Hand des langjährigen Fifa-Chefs könnte eine Art Statthalter Blatters sein – ein Nachfolger für den Fall der Fälle.
Von Blatter, der kürzlich beim Ballon d'Or nicht in Galaform war, das Datum nicht wusste und Namen nicht parat hatte, und vom erwarteten Herausforderer Michel Platini fehlt noch eine definitive Aussage über eine eigene Kandidatur. Blatter will sich rund um den Fifa-Kongress im Juni in Sao Paulo äußern.
Uefa-Chef Platini hatte nach anhaltenden Gerüchten im Herbst entschieden, erst nach der WM über eine Präsidentschaftskandidatur zu befinden. Seinen Landsmann attackierte Champagne direkt. „Ich kenne die Vision von Platini nicht. Kennen Sie sie? Ich weiß nicht, welche es ist.“ Die Landsmänner verbindet nur die Liebe für den gleichen Club: Platinis Ex-Verein AS St. Etienne.
Champagne arbeitete von 1999 bis 2010 bei der Fifa unter anderem als Direktor für internationale Angelegenheiten und galt lange Zeit als Vertrauter Blatters. Sein damals unerwarteter Abschied wurde auf Dissonanzen mit Mitgliedern des Fifa-Exekutivkomitees und der Kontinentalverbände zurückgeführt. Deren Macht will Champagne nun beschränken. „Ich weiß, dass ich auf einige Hindernisse treffen werde“, sagte er.
Unterstützt wird der erfahrene politische Berater von Pelé: „Ich kann mich aus einer Debatte, die so wichtig für die Zukunft des Fußballs ist, nicht heraushalten, ich unterstütze Jérôme Champagne und seine Vision“, heißt es in einem Unterstützerbrief der brasilianischen Fußball-Legende.
Revolutionäre Fußball-Ideen liefert Champagne aber nicht. Der ehemalige Botschaftsmitarbeiter in Brasilien und Oman konzentriert sich in ersten Aussagen auf eine Strukturreform der Fifa-Hierarchien und will auch mehr Macht für den Präsidenten – also sich selbst. „In einem demokratischen System darf der Präsident die Regierung auswählen. Aber bei der Fifa ist es anders. Blatter zum Beispiel musste mit Lennart Johansson im Exekutivkomitee zusammenarbeiten, obwohl der bei der Wahl gegen ihn angetreten war“, erinnerte er an den Machtkonflikt im Fifa-Spitzenzirkel nach der WM 1998.
Damals begann Champagnes Fußball-Aufstieg. In zweiter Reihe hinter Blatter entwarf er Konzepte und Strategien. Nach seinem Abschied vom Weltverband blieb der Politikwissenschaftler als Verbandsberater in Palästina oder im Kosovo dem Fußballgeschäft nahe. 2012 lieferte er für Blatter ein Thesenpapier zur Erneuerung des skandalumwitterten Weltverbandes. Vernetzt ist er wohl wie kein Zweiter.
Instinktsicher sucht Champagne den Konflikt mit dem Platini gewogenen Europa und setzt auf die Karte Afrika und Mittelamerika, wo er realistisch Stimmen sammeln kann. „Man muss das anders aufteilen. Die Welt verändert sich. In Südamerika qualifiziert sich eines von zwei Teams. In Europa eines von vier, in den anderen drei Kontinenten eines aus zehn“, propagiert er eine neue Verteilung der WM-Startplätze. Das ist ein bekannter Wahlkampfkniff – erst kürzlich angewendet von Joseph Blatter.
Auch zum größten Fifa-Problem, der WM 2022 in Katar, äußert sich Champagne moderat. Er nennt das Turnier zwar ein „philosophisches und moralisches Problem“. Eine Lösung hat er aber nicht parat: „Wir müssen abwarten. Wenn es nichts Schlechtes gab, dann müssen wir mit ruhigem Gewissen nach Katar gehen. Falls nicht, müssen Entscheidungen getroffen werden.“