Michael Schumacher war siebenmal Weltmeister der Formel 1. Der erfolgreichste Rennfahrer aller Zeiten kannte auch abseits der Pisten nur die Überholspur. Was er tat, war extrem. Jetzt ringt er mit dem Tod.
Bis auf einen Beinbruch 1999 in Silverstone hat Michael Schumacher 307 Grand-Prix-Rennen nahezu unbeschadet überstanden. Er überlebte Rad-an-Rad-Duelle bei Tempo 300, raste Millimeter an Leitplanken vorbei, eingezwängt in einer unwirtlichen schmalen Kohlefaser-Röhre wenige Zentimeter über dem Asphalt, umgeben von 200 Litern Benzin. Nun wurde dieses Leben auf der Überholspur am Sonntag um 11.07 Uhr, fünf Tage vor seinem 45. Geburtstag, jäh gestoppt – an einem Felsen im Skigebiet von Meribel auf 2100 Meter Höhe in den französischen Alpen, fern von den schicksalsträchtigen Rennstrecken in Monza, Monte Carlo oder Spa-Francorchamps.
Am Tag danach verhießen die ernsten Mienen der Ärzte im Centre Hospitalier Universitaire, der Universitätsklinik von Grenoble, keine guten Nachrichten. Michael Schumacher, der erfolgreichste Formel-1-Rennfahrer der Geschichte, habe bei seinem Skiunfall „weit verbreitete Verletzungen im Gehirn“ erlitten, sagten sie bei einer Pressekonferenz am Montagvormittag. Das Befinden des prominenten deutschen Patienten sei auch nach einer Notoperation weiterhin „außerordentlich ernst“ und „kritisch“. Professor Gerard Saillant, der Schumacher schon nach seinem Unfall in Silverstone behandelt hatte, sagte: „Wir sind beunruhigt über seinen Zustand.“ Prognosen zu den Überlebenschancen gaben die Mediziner nicht ab.
Im Alter von vier Jahren war der junge Michael Schumacher aus der 60.000-Einwohner-Stadt Kerpen im rheinischen Braunkohlerevier, praktischerweise nur ein paar Kilometer vom Nürburgring entfernt, seiner Bestimmung verfallen: dem Rausch der Geschwindigkeit. Sein Vater, Pächter einer Kartbahn, hatte ihn vorausschauend auf ein Kinderkart mit Mofamotor gesetzt. Ein Jahr später trug er den ersten Lorbeerkranz um den Hals. Drei Jahrzehnte später war er der Erfolgreichste seiner Zunft. Sieben Weltmeistertitel und 91 Grand-Prix-Siege sind eine Marke, denen sein Epigone Sebastian Vettel gerade hinterherjagt.
Schumacher schuf den Prototyp des modernen Rennfahrers. Der ungebremste Ehrgeiz und die rücksichtslose Entschlossenheit, gepaart mit unheimlicher Disziplin, manifestierte sich in mächtig ausgeprägten Ellenbogen. Nur wenn er mit seinen Ingenieuren über Frontflügel, Gewichtsbalance und Getriebeübersetzungen diskutierte, um der Perfektion noch ein paar Zehntelsekunden näher zu kommen, spielte Zeit keine Rolle. Ansonsten tickte sie in seinem Leben gnadenlos herunter.
So einer wird nicht geliebt, sondern bestenfalls bewundert und respektiert, zumal alle Emotionen unter dem mächtigen Vollvisierhelm verborgen blieben. Dass die Deutschen ihren schnellsten Autofahrer als „Schumi“ bejubelten, blieb ihm ebenso gleichgültig wie die Eintrittskarte in die Welt der Reichen und Schönen, die ihm seine hoch dotierten Erfolge lösten.
Gut 600 Millionen Euro hat er in zwei Jahrzehnten im Stahlgewitter des Rennsports verdient. Schumacher blieb dabei schroff und unnahbar; seine Familie, Ehefrau Corinna, mit der er seit 22 Jahren verheiratet ist, und die beiden Kinder, 16 und 14 Jahre alt, blieb Privatsache. Hätte man ihn nicht gelegentlich in Mercedes-Werbespots und Hochglanzbeilagen gesehen, müsste man beinahe fragen: Was macht eigentlich...? Sicher ist: Was immer er auch tat, es musste etwas mit Geschwindigkeit zu tun haben.
Denn dieser Michael Schumacher kann nicht langsam. Er selbst sagte einmal dazu: „Ich bin der aktive Typ, ich brauche Bewegung. Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich nichts tun könnte.“ Als er nach seinem Unfall 1999 in Silverstone zu Hause auf dem Sofa lag, muss er wohl eine rechte Nervensäge gewesen sein. Bücher? Filme? Kein Interesse. Politik? Lieber nicht.
Die Italiener, die ihn in elf Ferrari-Jahren erlebt haben, nennen Schumachers Leidenschaft für Tempo und Risiko „schicksalsträchtig“. Die Zeitung „La Repubblica“ beschrieb ihn als „einen Sklaven der Geschwindigkeit“. In der Tat haben ihn extreme Sportarten immer gereizt. So war es von vornherein eine unrealistische Prognose, als er nach seinem Rücktritt erklärte, er freue sich auf den Punkt, an dem er sich zum ersten Mal in seinem Leben langweile. Als Angler, der stundenlang an einem See die Rute beobachtet, mag man sich diesen Mann nicht vorstellen. Der einzige Sport, bei dem er nicht sein Leben einsetzte, sondern sich nur einmal eine Rippe brach, ist der Fußball.
Alles andere war mit Risiko behaftet: Fallschirmsprünge in Serie, waghalsige Rennrad- und Mountainbikefahrten, natürlich Snowboard- und Skifahrten, am liebsten im tiefen Schnee. Als Schumacher 2006 das Kapitel Formel 1 zum ersten Mal schloss, dauerte es nicht lange, bis er mit anderen Maschinen im Kreis fuhr: mit Motorrädern. Bis er im Februar 2009 im spanischen Cartagena stürzte und sich einen Halswirbel brach. Sein gut trainierter Körper, ohne jedes überflüssige Gramm Fett auf 1,74 Meter Größe, half ihm bis zu diesem Sonntag, auch heikle Situationen zu überstehen. Als er 2010 doch in die Formel 1 zurückkehrte, zweifelte niemand, dass er die Fähigkeit, einen Rennwagen am Limit zu bewegen, noch besaß. „Diese Perfektion finde ich nur in einem Formel-1-Auto“, sagte er damals zur Motivation, sich noch einmal der Gefahr auszusetzen.
Schumacher hat den Rausch der Geschwindigkeit nicht exklusiv. Der Engländer Mike Hawthorn, Formel-1-Weltmeister 1958, prallte wenige Monate nach dem Titelgewinn während eines privaten Wettrennens auf einer öffentlichen Straße gegen einen Baum und erlag seinen Kopfverletzungen. Der Franzose Didier Pironi, Vizeweltmeister 1982, starb fünf Jahre später bei einem Rennbootunfall auf dem Wasser. Der Franzose Patrick Depailler, WM-Vierter 1976, überlebte 1979 einen Absturz mit einem Drachenflieger schwer verletzt. Andere Rennfahrer wie der britische Weltmeister Graham Hill wurden ein Opfer ihrer Pilotenleidenschaft und stürzten mit dem Flugzeug ab.
„Man muss wissen, von welchem Punkt an das Risiko nicht mehr kalkulierbar ist“, sagte Michael Schumacher noch zu aktiven Rennfahrerzeiten. Der Rest sei Schicksal. So wie am Sonntag in Meribel.