Nach der deutlichen Punktniederlage (90:98, 92:96, 92:96) beim Sauerland-Boxabend gegen den Australier Alex Leapai muss Boytsov sich von einem Kampf gegen Wladimir Klitschko erst mal verabschieden.
Bamberg. Außergewöhnliches muss passieren, um aus einem 102,8 Kilogramm schweren Kerl mit Armen wie Baumstämme ein Häufchen Elend zu machen. Ein Blick auf die Teammitglieder in seiner Ecke und seine Promoter und Manager in der ersten Reihe genügte allerdings, um zu wissen, was dieses Häufchen Elend in der Bamberger Brose Arena angerichtet hatte. Ja, man hatte damit rechnen müssen, dass Alex Leapai der härteste Prüfstein für Denis Boytsov werden würde. Aber dass der russische Schwergewichts-Boxprofi in seinem ersten Kampf für das Berliner Sauerland-Team eine solch ernüchternde Pleite würde einstecken müssen, hatte wohl niemand einkalkuliert.
Mit einem Sieg über den in Samoa geborenen Australier hätte der in bis dato 33 Profikämpfen unbesiegte 27-Jährige wenigstens formal den Anspruch auf eine WM-Chance erfüllt. Der Weltverband WBO hätte Boytsov als Pflichtherausforderer für Dreifach-Weltmeister Wladimir Klitschko akzeptiert, und auch wenn dessen Manager Bernd Bönte mit Hinweis auf fehlende Leistungsnachweise gegen Weltklassegegner Boytsov als eher uninteressanten Gegner eingestuft hatte, wäre die Möglichkeit, den Dominator der Königsklasse herauszufordern, greifbar gewesen.
Stattdessen muss sich Boytsov nach seiner so deutlichen wie verdienten Punktniederlage (90:98, 92:96, 92:96) erst einmal ganz hinten anstellen. „Ich muss es so hart sagen: Diese Niederlage erspart uns immerhin eine Blamage gegen Klitschko“, sagte Kalle Sauerland, Juniorchef des Berliner Stalls. Geschäftsführer Chris Meyer sagte: „Wir werden Denis jetzt behutsam aufbauen. Er braucht fünf bis sechs Kämpfe, bevor wir wieder an eine WM denken können.“
Natürlich, Boytsov ist mit seinen 27 Jahren noch ein junger Hüpfer im Schwergewicht, wo die Klitschko-Brüder mit 37 und 42 Jahren regieren. Dennoch darf man von einem Mann, der immerhin vor neun Jahren beim Hamburger Universum-Stall Profi wurde, mehr erwarten als das, was er gegen Leapai zeigte, einen etwas dicklich wirkenden, langsamen und technisch limitierten Boxer. Erschreckend war, dass von der Explosivität, die Boytsov in den Anfangsjahren seiner Karriere ausgezeichnet hatte, nichts zu sehen war. Stattdessen machte er den taktischen Fehler, sich auf ständiges Klammern und Schieben einzulassen, was gegen einen zehn Kilogramm schwereren Kontrahenten zu viel Kraft kostet. Kraft, die ihm für Wirkungstreffer fehlte.
Nach der ersten Niederlage seiner Karriere steht der Hoffnungsträger nun am Scheideweg. Vielleicht rächt sich, dass ihm bei Universum zu lange echte Prüfsteine aus dem Weg geräumt wurden. Natürlich darf auch nicht vergessen werden, dass ihn diverse Verletzungen in den vergangenen Jahren zurückwarfen, eine komplizierte Handoperation hätte beinahe das Karriereende bedeuten können. Dass er sich jedoch konditionell in einer derart erschreckenden Form präsentierte, war ein Schock für die, die ihn länger kennen. „Ich hätte mich mehr bewegen müssen, aus der Distanz boxen müssen. Das ist mir nicht gelungen, also muss ich härter trainieren“, sagte er.
Das muss er wohl, und er muss vor allem die Geister der Vergangenheit endlich abschütteln. Nach der Geschäftsübergabe im Universum-Stall von Gründer Klaus-Peter Kohl an Waldemar Kluch im Juli 2011 war um den als Zugpferd eingeplanten Russen ein Streit entbrannt, der derzeit Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gegen Kluch vor dem Landgericht Hamburg ist. Im Zuge dieses Konflikts hatte Boytsov nach Morddrohungen gegen seine Person schwere psychische Schäden davongetragen, nach der Insolvenz Universums im November 2012 hatte er sich endgültig losgesagt und im Juli dieses Jahres bei Sauerland unterschrieben.
An diesem Montag muss er nun als Zeuge gegen den wegen räuberischer Erpressung angeklagten Kluch aussagen. Sein persönlicher Berater Gagik Khachatryan, ebenfalls als Zeuge geladen, bestätigte, dass dieses Gerichtsverfahren die Vorbereitung auf den Kampf beeinträchtigt habe. „Denis hat mich ständig gefragt, was da auf ihn zukommt“, sagte Khachatryan, der diese Belastung allerdings nicht als Entschuldigung gelten lassen wollte. „Wenn man gegen Klitschko boxen will, hat man ganz anderen Druck. Denis hat jetzt gemerkt, dass es noch andere starke Gegner gibt und dass er einfach härter arbeiten muss.“
Das sieht auch Trainer Karsten Röwer ein. „Vielleicht war der Druck zu groß, vielleicht war er wegen des Prozesses mental nicht bereit. Aber Fakt ist, dass Denis wesentlich mehr drauf hat, als er heute gezeigt hat.“ An dieses Potenzial glaubt auch Promoter Kalle Sauerland. „Denis hat heute das geforderte Level nicht überstanden, aber ich bin überzeugt, dass er eine Riesen-Zukunft vor sich hat.“ Das muss Boytsov nun mit außergewöhnlich positiven Leistungen beweisen.