Kießling hatte beim 2:1-Erfolg am Freitagabend den Treffer zum 2:0 zugesprochen bekommen, obwohl sein Kopfball an das Außennetz nur wegen eines Lochs im Netz im Tor gelandet war. Schiedsrichter Felix Brych entschied dennoch auf Tor.
Berlin/Frankfurt/Leverkusen. Fußball-Bundesligist Bayer Leverkusen wird sich im Streit um das „Phantom-Tor“ der sportlichen Rechtsprechung beugen und auch ein Wiederholungsspiel akzeptieren. „Wir werden keinen Einspruch einlegen“, betonte Bayers Kommunikationschef Meinolf Sprink.
Sprink wies allerdings auf einen Punkt hin. „Zum Zeitpunkt des Tores haben wir 1:0 durch Sidney Sam geführt. Und das Tor haben wir uns nicht geklaut. Wir waren im Vorteil“, sagte Sprink. So sei der Vorschlag von Rudi Völler, die letzten 20 Minuten wiederholen zu lassen, durchaus ernst und gerecht.
Dass Stefan Kießling nun in den Mittelpunkt der Diskussionen rückt, findet man bei Bayer nicht okay. „Keine der beteiligten Parteien hat zur Erhellung beigetragen“, sagte Sprink. Kießling werde sich jetzt bedeckt halten.
Der frühere Verfassungsrichter Udo Steiner hat in der Diskussion um das weitere Vorgehen nach dem Phantom-Tor von Sinsheim den Begriff der „Unerträglichkeit“ eingeführt. „Man müsste sich fragen, ob ein Fall von Unerträglichkeit gegeben ist“, sagte der Vorsitzende des Schiedsgerichts der Fußball-Bundesligen, bei dem der Fall in der letzten Instanz landen könnte, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Steiner beruft sich auf das Buch des früheren DFB-Chefanklägers Horst Hilpert („Die Geschichte des Sportrechts“). Darin schreibt Hilpert, dass von der Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters in Ausnahmefällen abgewichen werden kann, wenn diese Entscheidung „unerträglich“ sei und das Fair-Play-Prinzip die Korrektur des Fehlers dringend gebiete. Der Leverkusener Stefan Kießling hatte den Ball am Freitag beim Punktspiel zwischen Hoffenheim und Bayer Leverkusen (1:2) in der 70. Minute neben den Pfosten geköpft, durch ein Loch im Netz landete der Ball aber dennoch im Tor. Das komplette Schiedsrichter-Gespann um Felix Brych (München) übersah dies und gab den Treffer, der keiner war.
DFB-Vizepräsident Rainer Koch hat trotz des Phantomtors von Stefan Kießling jedoch große Zweifel, dass das Bundesligaspiel zwischen 1899 Hoffenheim und Bayer Leverkusen wiederholt wird. „Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, dass es zu einem Wiederholungsspiel kommt“, sagte Koch der „Bild“-Zeitung (Montag-Ausgabe).
Der beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) für Rechtsfragen zuständige Koch hofft, dass sich der Weltverband Fifa möglichst schnell meldet und sagt, wie er den Vorfall bewertet. „Es ist aber wohl so, dass man einen Regelverstoß konstruieren müsste, damit der Einspruch berechtigt ist“, fügte Koch hinzu. Auch in Richtung der Fifa hatte er schon zuvor gefragt, ob nun die Tatsachenentscheidung erschüttert werden müsse, damit es eine Wiederholung des Spiels geben könne.
„Wenn Schiedsrichter Brych Zweifel hat, muss er weiterlaufen lassen oder seinen Assistenten befragen. Hat er nicht. Ein Regelverstoß“, sagte Hoffenheims Anwalt Markus Schütz der „Bild“. Der Club hat beim DFB Einspruch gegen die Spielwertung eingelegt, so dass sich das Sportgericht mit dem Fall beschäftigen muss.
Unterdessen hat der frühere Hoffenheimer Bundesliga-Trainer Ralf Rangnick das Verhalten von Stefan Kießling nach dessen Phantomtor kritisiert. „Alles, was direkt nach dem Kopfball passiert ist – die ganze Körpersprache, die ganze Gestik, die Mimik – deuten darauf hin, dass er klar gesehen hat, dass der Ball vorbei gegangen ist. Und ich denke, er hat eine große Chance vertan, wirklich auch was für Fairplay zu tun“, sagte der Sportdirektor von RB Lepzig und RB Salzburg am Sonntagabend in der SWRF-Fernsehsendung „Sport im Dritten“.
Rangnick verwies darauf, dass fast zwei Minuten bis zum Anstoß vergangen waren und Kießling nach dem Spiel sagte, er könne sich nicht mehr genau an den Dialog mit Brych erinnern. „Und spätestens da wird es dann ein bischen komisch. Ich denke, Stefan wusste ganz genau, dass der Ball vorbeigegangen ist“, sagte Rangnick. „Aber nicht jeder entscheidet dann wie Miro Klose in Italien, der dann zugegeben hat, dass der Ball nicht drin war. Aber das muss man auch verstehen.“
Schickhardt hält nichts von Hoffenheimer Argumentation
Der renommierte Sportrechtler Christoph Schickhardt räumt der Argumentation des Fußball-Bundesligisten 1899 Hoffenheim in der juristischen Auseinandersetzung um das Phantom-Tor von Sinsheim keine Chance ein. „Zweifel des Schiedsrichters auf dem Weg zur Entscheidung sind unerheblich“, sagte der Jurist bei Sky Sport News HD.
Der Hoffenheimer Profifußball-Leiter Alexander Rosen hatte den Einspruch gegen die Wertung des Punktspiels zwischen den Kraichgauern und Bayer Leverkusen (1:2) mit den von Schiedsrichter Felix Brych (München) geäußerten Zweifeln an der Entscheidung begründet. Aus diesem Grund fordern die Hoffenheimer ein Wiederholungsspiel. „Wir berufen uns auf einen Regelverstoß des Schiedsrichters. In den Statuten steht: Ein Tor darf nicht gegeben werden, wenn Zweifel bestehen. Und Felix Brych hat im Interview nach dem Spiel Zweifel an seiner Entscheidung geäußert - und das fechten wir an“, sagte Rosen.
Für Schickhardt ist klar, dass das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nur drei mögliche Urteile fällen kann. „Entweder das Ergebnis bleibt oder das Spiel wird wiederholt oder es wird anders gewertet“, sagte der Sportrechtler. Den Vorschlag des Leverkusener Sportdirektors Rudi Völler, das Spiel ab der fraglichen Szene in der 70. Minute wiederholen zu lassen, bezeichnete Schickhardt als „völlig ausgeschlossen“.
Heynemann glaubt an Fifa-Flexibilität
Der frühere WM-Schiedsrichter Bernd Heynemann glaubt nach dem Phantom-Tor von Sinsheim als einer von wenigen an die Flexibilität des Weltverbandes Fifa und geht von einem Wiederholungsspiel aus. „Ich denke, dass die Fifa im Fall Hoffenheim sagen wird, dass man nicht immer nur auf die Tatsachenentscheidung pochen kann. Es steht ja im Regelwerk, dass es zu einer Spielwiederholung kommen kann, wenn der Schiedsrichter eine Fehlentscheidung getroffen hat. Ich bin mir sicher, dass der DFB deshalb auch so entscheiden wird,“, sagte Heynemann der Welt.
Auch der frühere Weltschiedsrichter Markus Merk hofft, dass die Fifa nicht auf die Tatsachenentscheidung pocht. „Es wäre ein Affront gegen den Fußball, wenn es keine Neuansetzung gäbe“, sagte Merk der Stuttgarter Zeitung: „Es gibt einfach Vorfälle, da darf die Tatsachenentscheidung nicht in Stein gemeißelt sein.“ Merk erklärte zudem, dass er anstelle von Schiedsrichter Felix Brych (München) die Regeln gebrochen hätte: „Ich wäre rausgelaufen und hätte mir die TV-Bilder angeschaut.“