Wilson Kipsang aus Kenia läuft in Berlin die schnellste Marathon-Zeit – „Flitzer“ sorgt für schwere Sicherheitspanne
Berlin. Wilson Kipsang hatte Wort gehalten. Vor dem 40. Berlin-Marathon hatte der 31-Jährige angekündigt, in der deutschen Hauptstadt den zwei Jahre alten Weltrekord seines Landsmanns Patrick Makau anzugreifen: „Ich habe auf diesen Marathon hintrainiert und denke, es ist wirklich möglich.“ Doch als er am Sonntagvormittag die bisherige Bestmarke tatsächlich um 15 Sekunden auf 2:03:23 Stunden verbesserte, verkam seine beeindruckende Leistung fast zur Randnotiz.
Nachdem der Kenianer durch das Brandenburger Tor gelaufen war und die Zielgerade auf der Straße des 17. Juni erreicht hatte, befand sich auf der rechten Seite plötzlich ein weiterer Läufer auf der Strecke. Der Mann, der zuvor die Metallgitter übersprungen hatte, trug ein mit zwei Internetadressen bedrucktes gelbes T-Shirt. Auf Brusthöhe hatte er die Frauen-Startnummer F7527 befestigt – wie ein echter Läufer. Er lief die letzten 15 der 42.195 Meter mit. Da er mit einigem Vorsprung auf Kipsang gestartet war, erreichte er die Ziellinie kurz vor dem Kenianer und riss auch das Band durch. Eine Ehre, die eigentlich dem Sieger vorbehalten ist. Der blickte zwar erst ein bisschen irritiert, riss dann aber doch die Arme zum Jubeln hoch. Den Moment, als neuer Weltrekordler ins Ziel zu laufen, hatte ihm der Flitzer allerdings zerstört.
Ein peinlicher Vorgang für den Veranstalter, zumal nach dem Boston-Marathon weltweit die Sicherheitsvorkehrungen verschärft werden sollten. Dort waren am 15. April bei einem Anschlag drei Personen ums Leben gekommen, 264 wurden verletzt. Berlins Geschäftsführer Jürgen Lock hatte zuvor angekündigt: „Wir wollen keinen Hochsicherheitstrakt, aber alle sollen sich sicher fühlen.“ Zum ersten Mal wurde der Start- und Zielbereich im Tiergarten umzäunt. Zudem mussten sich die Zuschauer beim Einlass stichprobenartigen Kontrollen unterziehen. Mit 1000 Beamten waren weit mehr Polizisten im Einsatz als in den vergangenen Jahren.
All das konnte den Flitzer jedoch nicht stoppen, der bereits acht Tage zuvor bei der Bundesligapartie Hannover 96 gegen den FC Augsburg auf das Spielfeld gelaufen und von Ordnern überwältigt worden war. Seinetwegen gibt es kaum ein Zielfoto mit dem neuen Weltrekordler Wilson Kipsang allein.
Kipsangs angekündigter Weltrekord war der neunte in Berlin. Der 31-Jährige galt als Favorit, seine zwei Jahre alte Bestzeit lag mit 2:03:42 Stunden nur vier Sekunden über dem Weltrekord. Als nach 30 Kilometern die Tempomacher ausgestiegen waren, lief er noch fünf Kilometer mit dem späteren Zweiten Eliud Kipchoge, der am Ende 42 Sekunden Rückstand hatte, und dem Dritten Geoffrey Kipsang, mit dem er nicht verwandt ist, dann setzte er sich ab und lief das Rennen allein zu Ende. Sein Gegner war fortan nur noch die Uhr. Wilson Kipsang zog das Tempo deutlich an, als er erfuhr, dass er zwölf Sekunden über der bisherigen Bestzeit lag. „Vor allem die letzten beiden Kilometer waren schon hart.“ Sein unglaubliches Finish bescherte ihm insgesamt 90.000 Euro Prämie: 40.000 für den Sieg, 50.000 für den Weltrekord.
Dafür, so der Sieger, habe er zwei Jahre lang hart trainiert: „Ein Traum ist wahr geworden.“ Es sei sehr stolz, jetzt schneller als die Lauflegenden Paul Tergat, Haile Gebrselassie und Makau zu sein, die in Berlin Weltrekorde aufgestellt hatten. Tergats Triumph 2003 inspirierte ihn einst zu seiner Profikarriere: Als 21 Jahre alter Freizeitläufer verfolgte er das Rennen zu Hause in Kenia im Fernsehen und beschloss, alles auf die Karte Sport zu setzen. Den Vorfall mit dem Störer im Ziel nahm Kipsang mit Humor: „Ich habe das nicht wirklich verstanden und dachte erst, dass das jemand vom Veranstalter sei.“ Der Mann habe ihn aber nicht gestört.
Kipsang ist überzeugt, dass für ihn in den nächsten Jahren noch bessere Zeiten möglich sind. Vielleicht kommt er beim nächsten Mal auch wieder allein ins Ziel. Hamburgs Meister Mourad Bekakcha (HSV) stieg nach 40 Kilometern wegen Rückenschmerzen aus.
Das Berliner Ergebnis hat auch Konsequenzen für den 29. Haspa-Marathon am 4. Mai 2014. Ursprünglich hatte der Zweitplazierte Eliud Kipchoge im nächsten Jahr seinen Titel in Hamburg verteidigen sollen. Mit seiner Zeit von 2:04:05 Stunden, der fünftschnellsten jemals gelaufenen, ist er für Marathon-Geschäftsführer Frank Thaleiser aber unbezahlbar geworden. „Wir müssen jetzt, wie im Vorjahr mit Eliud, darauf hoffen, wieder jemanden zu entdecken, der das Potenzial für eine Topzeit hat“, sagte Thaleiser. Kipchoge war im vergangenen April bei seinem Debüt über die 42,195 Kilometer mit 2:05:30 Stunden neuen Streckenrekord in Hamburg gerannt. Mit Manager Jos Hermens beriet sich Thaleiser bereits in Berlin über mögliche Strategien. Eine Variante wäre ein neues Bonussystem, das Spitzenzeiten stärker belohnt als bisher. Das Resultat der Überlegungen soll im November vorgestellt werden.