Der Italiener Fabio Fognini gewinnt das ATP-Tennisturnier am Rothenbaum, verspielt aber durch unfaires Verhalten die Sympathien der Zuschauer.
Hamburg. Der letzte Schlägerwurf brachte Fabio Fognini immerhin ein paar Sympathiepunkte. Nachdem der Italiener sein Racket zuvor mehrfach wutschäumend in den roten Sand gefeuert hatte, flog es nach dem verwandelten Matchball, der nach 2:27 Stunden Spielzeit den 4:6, 7:6 (10:8), 6:2-Sieg bedeutete, ins Publikum, wo sich ein blonder Junge über das Souvenir freute. Das Arbeitsgerät eines Rothenbaum-Siegers hat nicht jeder zu Hause, und so schloss Fognini doch noch Frieden mit den Tennisfans.
Dass der Applaus der 7500 Besucher, die trotz des ausgebliebenen Traums vom Endspiel der Topstars Roger Federer und Tommy Haas am Sonntag zum Finale des ATP-Turniers auf den Centre-Court geströmt waren, dennoch nicht euphorisch ausfiel, hatte sich der 26 Jahre alte Sieger selbst zuzuschreiben. Schon vor Spielbeginn waren die Herzen seinem Gegner zugeflogen, und das nicht nur, weil Fognini im Viertelfinale Lokalmatador Haas ausgeschaltet hatte. Federico Delbonis war einfach der Außenseiter, dem man gern die Daumen drückt. Der Argentinier hatte sich durch die Qualifikation ins Hauptfeld gekämpft. Der 114. der Weltrangliste hatte als erster Spieler außerhalb der Top 100 seit dem Spanier Roberto Carretero im Jahre 1996 in Hamburg das Finale erreicht, und er hatte die Chance, als erster Qualifikant seit dem Spanier Albert Portas 2001 den Titel zu holen.
Doch als es darauf ankam, versagten dem 22-Jährigen die Nerven. Drei Matchbälle hatte er im Tiebreak des zweiten Satzes, zwei davon verschenkte er leichtfertig. „Ich habe bei den Matchbällen zu sehr den Gewinnschlag gewollt, aber so ist Tennis“, sagte er. Das Publikum litt mit seinem Liebling, der sich nicht nur wegen seines mutigen Spiels die Sympathien erarbeitet hatte, sondern auch von Fogninis Ausrastern profitierte. Der Weltranglisten-25., der dank der 500 gewonnenen Punkte an diesem Montag in den Top 20 geführt wird, reklamierte und lamentierte, wie man es von seinen Landsleuten auf dem Fußballfeld kennt. Wäre Tennis ein Kontaktsport, dann wären die Schwalben am Rothenbaum tief geflogen an diesem Finalsonntag.
Spätestens als er Anfang des zweiten Satzes nach einem Schlägerhieb in die Bande von Schiedsrichter Cedric Mourier verwarnt wurde und deshalb lautstark mit dem in einer Loge sitzenden ATP-Supervisor Lars Graff diskutierte, war Fognini, der für seinen Sieg 251.200 Euro Preisgeld kassierte, in der Gunst des Publikums durchgefallen. „Ich war sehr nervös, bin am Sonntagmorgen um sechs Uhr aufgewacht und konnte nur noch an das Finale denken. Deshalb war ich nach dieser Entscheidung leider etwas verrückt“, verteidigte sich der Italiener später.
Allerdings war höchst beachtlich, dass er sich aus dem Stimmungstief herauskämpfte. Spätestens nach Abwehr der drei Matchbälle hatte sich das Momentum zu Fogninis Gunsten gedreht. Ein schnelles Break im Entscheidungssatz brachte ihm eine 3:0-Führung, die er routiniert mit dem ersten Matchball ins Ziel brachte. Mit dem Triumph in Hamburg krönte sich der Mann aus San Remo überdies zum Sandplatzkönig von Deutschland, nachdem er in der vergangenen Woche in Stuttgart das erste ATP-Turnier seiner Karriere gewonnen hatte. „Ich kann kaum glauben, dass ich das geschafft habe. Allerdings muss ich zugeben, dass der Sieg heute glücklich war“, sagte er.
Dass ihm im dritten Durchgang die Hitze weniger zu schaffen machte als Delbonis, war kein Wunder. Während der Italiener als gesetzter Spieler nur fünf Partien zum Titelgewinn absolvieren musste und erst im Finale seinen ersten Satz abgab, hatte Delbonis acht Matches in den Beinen, darunter das mit 3:14 Stunden längste Turnierspiel im Viertelfinale gegen den Spanier Fernando Verdasco. „Natürlich ist es enttäuschend, mein erstes Finale auf der ATP-Tour so zu verlieren. Aber alles in allem ist das Fazit dieser Woche absolut positiv“, sagte er.
Immerhin konnte Delbonis sich nicht nur mit 114.500 Euro Preisgeld trösten, was mehr als ein Viertel seiner bisherigen Gesamtpreisgeldsumme darstellt. Mit den gewonnenen 300 Ranglistenpunkten steigt er in die Top 70 der Tenniswelt auf, die er bislang nur aus der Ferne beobachten konnte. Und er wird sich wohl ewig an seinen Halbfinaltriumph erinnern, als er den großen Favoriten Roger Federer düpierte. Ohne Respekt und mit viel Spielwitz besiegte er den Schweizer Branchenriesen am Sonnabend mit 7:6 (11:9) und 7:6 (7:4) und bewies dabei im Tiebreak zweimal die Nerven, die ihm im Endspiel gegen Fognini fehlten.
Allerdings hatte es Federer, der dank einer Wildcard und der Hilfe privater Gönner nach Hamburg gelockt worden war, über die gesamte Turnierwoche nicht geschafft, ein seinem Status angemessenes Niveau zu erreichen. Der 31-Jährige strahlte in keinem seiner Auftritte die Leichtigkeit aus, die ihn in den Augen vieler Tennisfreunde zum besten Spieler der Welt und zum Grand-Slam-Rekordsieger gemacht hatte. Denen, die nach seinem Zweitrunden-Aus in Wimbledon und seiner ernüchternden Halbfinalschlappe von Hamburg schon das Ende der Ära Federer heraufziehen sehen, erteilte der viermalige Rothenbaum-Champion indes eine Abfuhr. „Ich will noch einige Jahre spielen“, sagte er. Der am Rothenbaum vollzogene Schlägerwechsel war ein Indiz dafür, dass der Schweizer bereit ist, für einen Umschwung zu arbeiten. Dass er noch einmal vor dem Hamburger Publikum, das ihn in allen seinen vier Matches frenetisch unterstützte, aufschlagen wird, ließ er immerhin hoffen. „Ich habe das Gefühl, dass ich nicht zum letzten Mal hier war. Aber wann ich wieder herkomme, kann ich jetzt noch nicht planen“, sagte er.
Zurückkommen wird Fabio Fognini, und zwar schon 2014 als Titelverteidiger. Dann hat er eine neue Chance, nach dem Titel auch die Herzen der Hamburger Fans zu erobern.