Sensationell musste sich der Schweizer in Runde zwei geschlagen geben. Zum ersten Mal seit zehn Jahren fällt er nun aus den Top Vier der Weltrangliste.
London. Es dauerte ein paar Stunden, bis sich der All England Club aus der Schockstarre gelöst hatte. Nur ein paar Stunden, müsste man sagen, denn das, was an diesem Mittwochabend auf dem Centre Court von Wimbledon geschah, hob die Tenniswelt für einen Moment aus den Angeln. Der große Roger Federer verlor in der zweiten Runde des wichtigsten Turniers der Saison mehr als nur ein Match. Gegen den Ukrainer Sergej Stachowsky, die Nummer 116 im Ranking, riss die Rekordserie des einstigen Dominators. Eine Niederlage, die nicht weniger als eine neue Ära im Männertennis einläuten könnte.
Es gibt Zahlen, die belegen diese These: So fällt Federer nach Wimbledon zum ersten Mal seit zehn Jahren aus den Top Vier der Welt. Erstmals seit Roland Garros 2004 und 36 Turnieren in Folge verpasste der 17-malige Grand-Slam-Champion das Viertelfinale bei einem der vier Majors. Von Rafael Nadal, Federers großem Gegenspieler der vergangenen zehn Jahre, der bereits am Montag ausgeschieden war, sprach zu diesem Zeitpunkt längst niemand mehr.
„Vielleicht passiert im Moment etwas“, sagte selbst Federer, der seine sensationelle Niederlage mit der Fassung eines Champions trug: „Ich meine, es gab eine Zeit, da haben viele Spieler nicht daran geglaubt, die Besten schlagen zu können.“ Er sei sogar glücklich darüber, dass sich dies nun ändert, dass jeder an sich und seine Chance gegen die Großen glaubt – auf den großen Plätzen, in den großen Matches.
Damit der Maestro nicht falsch verstanden wird: Seinen Ehrgeiz hat Federer noch lange nicht verloren, er habe Pläne für viele weitere Jahre auf der Tour. „Auch diese Saison ist noch nicht vorbei“, sagte der 31-Jährige. Es klang nicht trotzig, es klang auch nicht frustriert. Federer versuchte, sein frühes Aus positiv zu sehen: „Jetzt habe ich mehr Zeit zu trainieren. Manchmal können 20, 30 Stunden auf höchstem Niveau viel helfen.“
Doch woran soll Federer arbeiten? Gegen Stachowsky wirkte er wie ein Schatten seiner selbst. Das Spiel war da, die Vorhand, der Aufschlag, der Volley – alles sah nach Roger Federer adaus und fühlte sich doch anders an. „Ich bin ziemlich enttäuscht, dass ich einfach keinen Weg gegen ihn gefunden habe, so wie gegen Jo-Wilfried Tsonga bei den French Open“, sagte Federer. In den engen, den wichtigen Situationen, in denen alleine seine Aura in den vergangenen Jahren die Gewinnschläge zu produzieren schien, zitterte nun Federers Hand.
Einen Satzball im vierten Durchgang ließ er liegen, weil der Passierball gegen den erneut aufgerückten Außenseiter zu ungenau kam. Beim Matchball nach genau drei Stunden Spielzeit segelte eine Rückhand einmal mehr weit ins Aus, die 7:6 (7:5), 6:7 (5:7), 5:7, 6:7 (5:7)-Niederlage war besiegelt.
Damit reiht sich nun auch Federer in die Geschichte der Wimbledon-Favoriten ein, die überraschende Pleiten kassierten. Auf den Tag genau vor elf Jahren verlor Pete Sampras, der im Rasen-Mekka ebenfalls siebenmal gewonnen hatte, gegen George Bastl. Auch Boris Becker erwischte es nach zwei Triumphen im Jahr 1987 gegen Peter Doohan. Jedesmal stand die Tenniswelt für einen Moment still.
Doch an diesem verrückten Mittwoch im Londoner Südwesten war Federers Aus, zehn Jahre nach seinem ersten Titelgewinn, nicht einmal die einzige Überraschung. Gleich sieben ehemalige Weltranglistenerste und zahlreiche gesetzte Spieler scheiterten, mal verletzt, mal angeschlagen, mal chancenlos. Von Maria Scharapowa bis Jo-Wilfried Tsonga reichte die Liste. Der Schock verteilte sich und verschwand irgendwann.