Die 18-Jährige vom Club an der Alster startet an diesem Dienstag in das erste Grand-Slam-Tennisturnier ihrer Karriere. Gegnerin in der ersten Runde von Wimbledon ist die Japanerin Kimiko Date-Krumm.
Hamburg. Die Erkenntnis, dass da etwas Großes auf sie zukommt, machte sich spätestens am Sonnabend breit. Carina Witthöft hatte zum ersten Mal auf der Anlage an der Church Road trainiert, sie hatte staunend das Ausmaß des All England Lawn Tennis and Croquet Clubs im Londoner Stadtteil Wimbledon beäugt, und dann war sie da, diese Mischung aus großer Aufregung und noch größerer Vorfreude, mit der Hamburgs größte weibliche Tennishoffnung am morgigen Dienstag gegen die Japanerin Kimiko Date-Krumm in ihr erstes Grand-Slam-Turnier starten wird. „Es fühlt sich wirklich total cool an“, sagt die 18-Jährige, „aber so richtig glauben werde ich es erst, wenn ich wirklich auf dem Platz stehe“.
Dass Carina Witthöft das Talent hat, dem prosperierenden deutschen Damentennis zu anhaltender Blüte zu verhelfen, hatte Bundestrainerin Barbara Rittner schon vor Jahren erkannt und die Wentorferin, die in der Zweiten Bundesliga für den Club an der Alster antritt, in das Porsche-Talentteam berufen, in dem der hoffnungsvollste Nachwuchs an den Profibereich herangeführt wird. Die Qualifikation für ihr erstes Grand-Slam-Turnier hatte Rittner der Weltranglisten-191. schon im vorigen Monat in Paris zugetraut, und das hat einen Grund, den die 40-Jährige als die wichtigste Änderung in Witthöfts bisheriger Karriere ansieht. „Sie hat jetzt den Kopf frei, um sich nur auf den Sport zu konzentrieren“, sagt sie.
Möglich ist diese Fokussierung, weil die Schülerin der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg in diesem Frühjahr ihr Abitur bestanden hat. Erst am vorvergangenen Freitag endeten die Feierlichkeiten mit dem Abiball, tags darauf reiste Witthöft zum Zweitligamatch mit Alster nach Leverkusen, um am Sonntagabend nach London zu fliegen. Vier Tage und drei Matches später hatte sie auf der Anlage des englischen Verbands in Roehampton das Ticket für ihr erstes Grand-Slam-Hauptfeld in der Tasche. Die Reaktionen auf ihrem Facebook-Benutzerkonto waren überwältigend. „Da habe ich zum ersten Mal gespürt, dass Wimbledon nicht nur für mich etwas Besonderes ist“, sagt sie.
Barbara Rittner hat indes eine weitere Veränderung an ihrem Schützling festgestellt. „Sie ist reifer und kritikfähiger geworden. Früher kam oft mal das Trotzköpfchen durch, jetzt ist sie viel zugänglicher“, sagt sie. Der Reifeprozess ist besonders daran zu beobachten, dass Witthöft in London bis zum Sonntagabend freiwillig auf die Unterstützung ihrer Eltern, die in Jenfeld und Bramfeld eine Tennisschule führen, verzichtete. Mutter Gaby hat als Trainerin großen Anteil am stetigen Aufstieg der Tochter, Vater Kai ist der strategische Planer im Hintergrund. Beide verstehen sich als Begleiter, nicht als Bestimmer. Deshalb akzeptierten sie auch den Wunsch ihrer Tochter, erstmals bei einem großen Turnier nur ihren Freund Philipp Lang als Beistand zu haben. Der Börnsener Amateurspieler hat so viel Niveau, dass er als veritabler Trainingspartner herhalten kann. „Wir respektieren, dass Carina entscheidet, wen sie dabeihaben will. Sie ist ja kein Kind mehr“, sagt er. Und mal ehrlich: Wo kann ein Tennisprofi besser erwachsen werden als in Wimbledon? Am Dienstag, wenn Carina zum ersten Mal auf dem Heiligen Rasen aufläuft, wird die Familie aber dabei sein.
Dass ihre Gegnerin, mit 42 Jahren die älteste Spielerin im Feld, locker ihre Mutter sein könnte, lässt sie kalt. Ebenso will sie den Gedanken daran, dass in der dritten Runde ein Duell mit der Weltranglistenersten Serena Williams (USA) möglich wäre, in den Hinterkopf verbannen. Genießen will sie ihre Premiere, zumal sie vor ihrer Reise nach London erst ein einziges Spiel auf Rasen absolviert hatte, vor ein paar Jahren beim Jugendturnier in Halle (Westfalen). Zwar liegt ihr der schnelle Untergrund, aber sie will sich nicht noch zusätzlich unter Druck setzen. „Ich habe doch nichts zu verlieren“, sagt sie.
Das mag stimmen, und doch ist ihr klar, dass in der heutigen Wegwerfgesellschaft Erfolge Menschen schnell in ungeahnte Höhen schießen, aus denen sie ebenso schnell wieder abstürzen können. Die Witthöfts wollen, komme was wolle, die Nerven bewahren. Nach der halbjährigen Erfahrung mit dem Branchenriesen IMG im Jahr 2011, die man beendete, weil man sich nicht in ein Vermarktungskorsett pressen lassen wollte, will die Familie das Management in eigener Hand behalten. Und auch Bundestrainerin Rittner mahnt zur Ruhe: „Carina ist ein großes Talent, aber man muss ihr Zeit geben.“ Wimbledon 2013 soll schließlich nicht das größte Erlebnis ihrer Karriere bleiben.