Nach dem Hockenheimring darf Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel am Sonntag praktisch noch ein zweites Heimspiel erleben. Und vor vielen Texas-Deutschen vielleicht seinen dritten Titel bejubeln.
Austin. Das legendäre Wurstfest hat der Formel-1-Tross knapp verpasst. Dennoch wird sich Weltmeister Sebastian Vettel bei dem im Titelkampf vielleicht schon entscheidenden Rennen in Austin wie in einem Heimspiel fühlen. Denn Texas ist so deutsch wie keine andere Region in den USA. Dort gibt es Restaurants mit Namen „Oma's Haus“, einen Ort namens Weimar, Straßen namens „Ewald Road“ oder Shops mit dem halbherzig eingebürgerten Namen „Sac'n'Pac“.
Highlight des Jahres ist das Wurstfest im rund 40 Meilen von Austin entfernten New Braunsfeld. Dort wurde bis vergangenen Sonntag neun Tage lang in Lederhosen und Dirndl zu Blasmusik gefeiert. Wer etwas von diesem Feeling braucht, wird aber auch in Austin fündig, im Restaurant „Best Wurst“.
Nerven für solche Randaspekte wird Vettel am Wochenende, wenn er vorzeitig zum dritten Mal in Folge Weltmeister werden kann, nicht haben. Dennoch könnte ihm deutsche Unterstützung aus dem „German Belt“, dem „deutschen Gürtel“ vielleicht einen Schub geben.
Den Spaß vor seinem 100. Rennen hat sich der 25-Jährige nach eigenen Angaben jedenfalls nicht verderben lassen. „Da ist es wie mit der Rutsche“, sagte er der Sport Bild: „Man kann schon hundertmal runtergerutscht sein. Es macht immer noch so viel Spaß wie beim ersten Mal!“
Durch eine solche Aussage mag sich der Spötter Jacques Villeneuve indirekt bestätigt fühlen. Denn der kanadische Weltmeister von 1997 hat harsche Kritik an Vettel geäußert. „Er verhält sich wie ein Kind“, sagte er dem Fachmagazin Autosprint und ergänzte zum Vergleich der Titelrivalen Vettel und Fernando Alonso: „Wenn die Umstände gegen ihn sprechen, bleibt Fernando ruhig und cool, während Vettel meistens aufgebracht reagiert, herumschreit und den Mittelfinger streckt.“ Alonso habe den Titel 2012 somit „eher verdient. Denn kein Zweifel: Er ist der Beste. Deshalb drücke ich ihm die Daumen.“
Auch andere machen Vettel das Leben derzeit nicht leichter. Da tritt wieder einmal Teamkollege Mark Webber in Erscheinung. Der Australier, der ausgerechnet in den entscheidenden Wochen keine wirklich große Hilfe war, setzt ihn nun unnötig unter Druck. Vettel solle den Titel bloß schon am Wochenende klarmachen, denn „das Wetter beim Finale in Brasilien könnte verrückt werden“.
Was wie eine normale Aussage scheinen mag, passt ins Bild der vergangenen Wochen, in denen Webber stets Alonso starkredete und so gegen Vettel stichelte. Den Grund dafür glaubt der ORF-Experte Alex Wurz zu kennen. Er behauptet nämlich, dass Vettel in der zweiten Saisonhälfte im internen Vergleich deshalb davongezogen ist, weil das Team aus Verbundenheit zu ihm - und somit als indirekten Affront gegen Webber - das Auto eigens für den Deutschen umgebaut habe. Bei der Fehlersuche habe man sich „eher auf Vettel konzentriert, weil er nicht klarkam“, sagte Wurz: „Das ist eine zwischenmenschliche Geschichte.“
15 Punkte mehr als der aktuell zehn Zähler zurückliegende Alonso müsste Vettel am Sonntag holen, um schon vor dem Saisonfinale in Sao Paulo erneut als Weltmeister festzustehen.
Für Austin ist das Sportereignis auf dem für 400 Millionen Dollar erbauten Kurs von großer Bedeutung, schließlich ist die 800.000-Einwohner-Metropole die bevölkerungsreichte Stadt der USA, die in keiner der vier großen US-Ligen NBA, NHL, NFL und MLB ein Team stellt. Deshalb will sich Austin auch als besonders grün und lebensfroh darstellen und den extrem konservativen Ruf Texas' bekämpfen. „Komm nach Austin. Es ist so schön hier, man merkt gar nicht, dass man in Texas ist“, heißt es in einem Werbeslogan.
Bis vor einigen Jahrzehnten wurde hier sogar noch Texasdeutsch gesprochen. Die deutsche Hymne für einen Sieg von Vettel würde von daher sicher bei vielen Fans in Austin leise Heimatgefühle wecken.