Der Boxweltmeister spricht über den Wahlkampf in der Ukraine, Gerüchte im Internet und das Gefühl, der Stärkste zu sein.
Obwohl sich Wladimir Klitschko, 36, derzeit im Tiroler Fünfsternehotel Stanglwirt gewissenhaft auf seine Titelverteidigung gegen den Polen Mariusz Wach am 10. November in der Hamburger O2 World vorbereitet, schaut er dieser Tage auch gebannt nach Kiew. Am Sonntag will sein Bruder Vitali, 41, als Vorsitzender der Partei Udar den Einzug ins ukrainische Parlament schaffen. Mit dem Abendblatt sprach Wladimir Klitschko, Dreifach-Boxweltmeister im Schwergewicht, über seine Beziehung zur Politik, die Motivation seines Bruders, sein Heimatland zu verändern, und Vorstellungen vom perfekten Karriereende.
Hamburger Abendblatt: Herr Klitschko, bei Boxkämpfen treten Sie und Ihr Bruder immer gemeinsam auf. Wie ist es für Sie, wenn Sie jetzt Vitalis wichtigsten politischen Kampf aus der Ferne verfolgen müssen?
Wladimir Klitschko: Räumlich sind wir zwar getrennt, aber ich habe Vitalis politische Mission nicht tatenlos verfolgt. Von August bis Anfang Oktober hatte ich jede Woche bis zu sechs Wahlkampftermine in der gesamten Ukraine, um die Udar in ihrem Anliegen, dem Kampf für Demokratie und gegen Korruption, zu unterstützen.
Sind Sie selbst Parteimitglied?
Klitschko: Ich bin weder Mitglied der Udar noch irgendeiner anderen Partei. Aber ich bin ein politisch interessierter Mensch, und ich werbe mit voller Überzeugung für Vitali und seine Partei, weil ich weiß, dass der Weg der Reformen, den er gehen will, der richtige ist. Ich würde es nicht tun, wenn ich dieses Gefühl nicht hätte.
Worin bestand denn Ihre Aufgabe im Wahlkampf der Udar?
Klitschko: In erster Linie war es meine Aufgabe, die Menschen zu motivieren, überhaupt zur Wahl zu gehen. Das Volk in der Ukraine ist von der Politik unheimlich enttäuscht. Die Menschen haben Angst vor der Macht, und sie glauben, dass sich nichts ändert, wenn sie ihre Stimme abgeben. Ich habe versucht, den alten Spruch von John F. Kennedy aufleben zu lassen: Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst. Wichtig ist in erster Linie nicht, was die Leute wählen. Wichtig ist, dass sie wählen. Das habe ich versucht klarzumachen. Wenn sie am Ende die Udar wählen, ist das natürlich umso schöner.
Haben Sie per Briefwahl gewählt, oder können Sie am Ende gar nicht mit gutem Beispiel als Wähler vorangehen, weil Sie im Trainingslager sind?
Klitschko: Ich werde den freien Sonntag nutzen und im ukrainischen Konsulat in München meine Stimme abgeben.
Können Sie verstehen, was Ihren Bruder antreibt, sich in einem so aufreibenden Geschäft wie der Politik eine zweite Karriere anzutun?
Klitschko: Ehrlich gesagt war ich anfangs sehr skeptisch, denn die Politik ist tatsächlich ein schwieriges, in der Ukraine sogar gefährliches und großteils korruptes Geschäft. Aber mittlerweile habe ich meine Meinung zu Vitalis zweiter Karriere komplett geändert. Und wissen Sie warum? Weil ich spüre, dass Vitali glücklich ist mit dem, was er tut. Auch wenn er keine typische Politikerkarriere hinter sich hat, so bringt er zwei ganz wichtige Eigenschaften mit: Visionen und Realitätssinn. Er ist zwar unendlich müde vom Wahlkampf, er ist auch oft frustriert. Aber im Endeffekt hat er seine Aufgabe gefunden, und er erfüllt sie mit Begeisterung. Es ist einfach das Richtige für ihn.
Könnte es nicht auch sein, dass ein Mensch, der als Sportler immer im Rampenlicht gestanden hat, sich unbewusst eine neue Bühne sucht, um nicht aus der Öffentlichkeit zu verschwinden?
Klitschko: Wer das glaubt, der kennt Vitali schlecht. Seine Motivation ist einzig die, dass er Unordnung hasst. In derUkraine herrscht Unordnung. Unser Land könnte die Perle Europas sein, die Voraussetzungen sind bestens, denn wir haben viele Bodenschätze, sind ein großes Land, das Ost und West verbindet. Aber das Potenzial liegt ungenutzt am Boden. Vitali sieht das, weil er in anderen Ländern wie Deutschland oder den USA gelebt hat, er kann es nicht verstehen und will es ändern. Es ist sicherlich kein leichter Kampf, den er da aufgenommen hat. Aber er ist jetzt ja schon einige Jahre Politiker, und ich bin stolz, dass er sich weder von Parteien noch von irgendwelchen Oligarchen hat vereinnahmen lassen. Er geht seinen Weg, und der Weg ist richtig.
Ist es denn möglich, zwei Karrieren unter einen Hut zu bekommen? Kann man Weltmeister und politischer Amtsträger zugleich sein?
Klitschko: Wenn es jemandem gelingt, dann sicherlich Vitali. Aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Natürlich wird er nicht mehr lange boxen. Er ist schon jetzt zu 80 Prozent Politiker, er muss sich neue Ziele setzen. Aber ich kann nicht absehen, ob er noch einen Kampf, zwei oder keinen macht.
Haben Sie selbst Angst davor, den richtigen Moment für das Karriereende zu verpassen? Man vergisst leicht, dass Sie mit 61 Profikämpfen bereits 14 mehr als Ihr Bruder absolviert haben.
Klitschko: Alle Profisportler träumen vom perfekten Karriereende, aber nicht viele schaffen es. Ich mache mir darüber noch keine Gedanken, weil ich noch zu viel Freude an dem habe, was ich tue. Ich weiß, wofür ich mich monatelang quäle: für diesen einen kurzen Moment im Ring, in dem klar wird, der Stärkere gewesen zu sein.
Dieses Gefühl haben Sie seit Ihrer letzten Niederlage im April 2004 immer wieder gehabt. Wie fühlt es sich an, so lange Zeit der Stärkste zu sein?
Klitschko: Ich liebe dieses Gefühl. Ich weiß, dass mich niemand schlagen wird, wenn ich zu 100 Prozent fokussiert bin. Das habe ich aus meinen Niederlagen gelernt. Ich betreibe diesen Sport, seit ich 14 bin, mit 16 war ich auf der Eliteschule der Sowjetunion. Ich habe so viel Erfahrung, und ich habe kaum Pausen gemacht. Ich habe alles erlebt. Dennoch weiß ich, dass ich noch besser sein kann. Und das treibt mich weiterhin an.
Ihr Bruder bleibt auf der öffentlichen Bühne. Was schwebt Ihnen für die Zeit nach dem Sport vor? Können Sie sich ein Leben ohne Öffentlichkeit überhaupt noch vorstellen?
Klitschko: Ich habe viele Interessen, denke aber noch nicht so viel an die Zeit nach dem Sport, weil ich noch ein paar Jahre boxen möchte. Zum Thema Öffentlichkeit: Ich fühle mich wohler, wenn ich keinen Rummel habe und nicht anders bin als die anderen Menschen. Allerdings mache ich mir über meinen Bekanntheitsgrad keine Gedanken mehr. Es stört mich überhaupt nicht, in der Öffentlichkeit zu stehen, aber ich spüre auch die Verantwortung, die daraus entsteht. Mein Bruder und ich wollten nie Rollen spielen, aber wir wollen immer Vorbild sein.
Sie nutzen die sozialen Netzwerke sehr intensiv, um mit Ihren Fans zu kommunizieren. Schreiben Sie da auch selbst, und wissen Sie, was in den Foren so über Sie diskutiert wird?
Klitschko: Unser Familienname ist eine Marke, die gepflegt und richtig platziert werden muss. Dafür muss man wissen, was über einen geschrieben und geredet wird. Wir haben dafür unsere Klitschko Management Group und ein tolles Team, das unsere Auftritte im Netz organisiert und uns stets darüber auf dem Laufenden hält, was so passiert. Ohne mein Team wäre ich nichts. Und ab und zu sind wir natürlich auch selbst im Internet aktiv.
Wann haben Sie zuletzt Ihren Namen gegoogelt?
Klitschko: Das ist gar nicht lange her, das war im Zusammenhang mit dem Wahlkampf. Ich wollte einfach wissen, was da so geschrieben wird.
Bettina Wulff, die Ehefrau des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, hat kürzlich den Internetgiganten Google verklagt, weil sie in dessen Suchfunktion automatisch mit dem Rotlichtmilieu in Verbindung gebracht wurde. Wissen Sie, was auf Ihren Namen als automatische Ergänzung folgt?
Klitschko: Nein.
Wladimir Klitschko schwul.
Klitschko: (lacht) Das steht da? Na ja, diese Gerüchte habe ich schon sehr häufig gehört, und ich amüsiere mich darüber. Mein Verhältnis zu Schwulen ist absolut neutral, ich lasse jedem Menschen seine Entscheidung über sein Privatleben und respektiere sie, solange das Private aus der Öffentlichkeit herausgehalten wird.
Sie kämen aber nicht auf die Idee, Google dafür zu verklagen, dass Sie mit Schwulsein in Verbindung gebracht werden?
Klitschko: Mit Sicherheit nicht, denn ich verschwende keine Energie darauf, Dinge zu bekämpfen, die es nicht wert sind. Die Menschen brauchen Gerüchte. Aber mein Freundeskreis weiß genau, wer und was ich bin, ohne dafür googeln zu müssen. Das ist mir wichtig, und nur darum geht es. Alles andere kann ich nicht beeinflussen.
Wie schafft man es, seinen Kopf dermaßen zu beherrschen, dass solche Dinge nicht an einen herankommen?
Klitschko: Ich glaube, dass ich gar kein Kopfmensch bin. Ich höre mehr auf mein Bauchgefühl, bevor ich den Kopf einschalte. Das war auch nach meinen Niederlagen so, als mir selbst mein Bruder zum Aufhören riet. Und ich denke, dass mir das sehr hilft. Mein Bruder ist da ähnlich. Als er 2009 sein Comeback gab, hatte ich richtig Angst um ihn, denn er boxte mit angerissener Achillessehne. Ich war extrem aufgeregt, aber er hat auf sein Bauchgefühl gehört, und das war richtig.
Sagt Ihr Bauchgefühl, dass Vitali am Montag zurücktritt und Vollzeitpolitiker wird oder dass er den Kampf gegen den Briten David Haye, der Sie und ihn seit Jahren provoziert, noch machen wird?
Klitschko: Ich werde mich dazu nicht äußern. Zum Thema David Haye kann ich nur sagen: Ich finde, dass er viel zu wichtig genommen wird. Wenn er gegen mich im vergangenen Jahr nicht klar verloren hätte, wäre der Kampf interessant. Aber er ist doch längst entzaubert. Haye braucht Vitali, um noch einmal viel Geld zu verdienen. Aber Vitali braucht Haye nicht für ein gutes Karriereende. Er kann gegen jeden anderen boxen.
Wenn Sie einen Film über Vitalis Karriere drehen würden, was wäre das perfekte Ende?
Klitschko: Da muss Vitali schon selbst Regie führen.
Dann verraten Sie uns wenigstens das perfekte Ende für Ihre eigene Karriere.
Klitschko: Für mich wäre der perfekte Abschluss, 2016 noch einmal bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro anzutreten. Es gibt ja Überlegungen, Profis bei Olympia zuzulassen. Und es gibt meines Wissens noch keine Regel, die mir aus Altersgründen einen Start verbieten würde. 20 Jahre nach meinem Goldtriumph in Atlanta noch einmal um Gold zu kämpfen, das wäre ein Traum und ein perfektes Ende. Hoffen wir also, dass ich so lange fit bleibe.