Während der Hamburger beim Tennisturnier am Rothenbaum im Hauptfeld steht, bangt der Reinbeker Julian Reister um seinen Platz im Team.
Hamburg. Am Dienstag hatte sich Turnierdirektor Michael Stich noch gefreut, dass keiner der für das Hauptfeld gemeldeten Spieler abgesagt hatte. Gestern mussten die Veranstalter des Herrentennisturniers am Rothenbaum, das morgen mit der Qualifikation startet, dann doch zwei Ausfälle quittieren. Der am Knöchel verletzte Argentinier Juan Ignacio Chela, Nummer 85 der Weltrangliste, und Gael Monfils, den eine Knieblessur plagt, sagten ihren Start in Hamburg ab. Besonders der Ausfall des an Position 17 der Welt notierten Franzosen ist bitter, immerhin gilt er als eine der schillernden Figuren im Welttennis, mit seinem Konterfei wird auf Plakaten um Zuschauer geworben.
Allerdings könnte Monfils' Pech das Glück des Julian Reister werden. Bislang hatte der Reinbeker darum zittern müssen, überhaupt in der Qualifikation antreten und sich dort eins der letzten vier Tickets für das 32 Plätze umfassende Hauptfeld sichern zu können. Weil er infolge einer fast ein Jahr andauernden Verletzungspause in der Weltrangliste von Platz 92 auf Rang 538 abgestürzt ist, wäre Reister auf eine der drei Qualifikations-Wildcards angewiesen. Diese jedoch sollen an Bastian Knittel (28, Ditzingen), Kevin Krawietz (20, Coburg) und Jan-Lennard Struff (22, Halle/Westfalen) gehen. Durch die Absagen Chelas und Monfils' rutscht jedoch Reisters Trainingspartner, der Hamburger Tobias Kamke, direkt ins Hauptfeld und muss seine Wildcard, die er ebenso wie Tommy Haas und Cedrik-Marcel Stebe erhalten hatte, nicht nutzen. Reister gilt als Kandidat, das Freiticket zu übernehmen. Darüber soll heute entschieden werden.
Dass Reister mit der Ungewissheit erstaunlich locker umgeht, liegt auch daran, dass er Warten gelernt hat in den vergangenen Monaten. Seitdem er im Juli 2011 in Hamburg das Achtelfinale erreicht hatte, hat der 26-Jährige einen langen Leidensweg hinter sich. Wegen einer chronischen Entzündung in der rechten Schulter war er monatelang ausgefallen, dann riss er sich im Aufbautraining im Februar die Plantarsehne in der Fußsohle und musste neun Wochen an Krücken laufen. Mit intensiver Physiotherapie und viel Krafttraining bekam er seine Leiden in den Griff. "Ich bin wieder völlig schmerzfrei und kann jede Belastung aushalten, muss aber vor jedem Training und jedem Match Übungen für die Schulter machen", sagt er.
Was fehlt, ist die Matchpraxis. Als er vor wenigen Wochen beim Challengerturnier in Marburg sein Comeback feierte, taten ihm noch vier Tage nach der Zweitrunden-Niederlage gegen Nils Langer (Reutlingen) alle Muskeln weh. Beim Challenger in Braunschweig scheiterte er vor zwei Wochen ebenfalls in Runde zwei, beim derzeit laufenden ATP-Turnier in Stuttgart kämpfte er sich immerhin durch die Qualifikation ins Hauptfeld, wo er in Runde eins dem Franzosen Jeremy Chardy unterlag.
Auch deshalb würde er, sofern er denn antreten darf, sein Lieblingsturnier am Rothenbaum mit einer anderen Zielsetzung angehen als im Vorjahr. "Damals wusste ich, dass ich fit war und mithalten konnte. Jetzt bin ich einfach nur euphorisch, dass ich wieder spielen kann. Ich gucke nicht auf Ergebnisse, sondern freue mich über jedes Match, das ich bestreiten darf", sagt er.
Auch wenn Tobias Kamke andere Ansprüche haben muss, kann er die Gefühlswelt seines Freundes nachempfinden. Auch der 26-Jährige hatte in dieser Saison Phasen, in denen ihm die Matchpraxis fehlte. Das lag jedoch nicht an Verletzungen, sondern an sportlicher Erfolglosigkeit, die in häufige Erstrundenpleiten mündete. "Ich hatte teilweise Pech mit den Auslosungen, aber es lief auch nicht immer rund", gibt er zu. Um sich durch Siege Selbstvertrauen zu holen, startete der Weltranglisten-98. mehrfach bei unterklassigen Challenger-Wettbewerben, zuletzt erreichte er in Braunschweig das Finale.
In Stuttgart scheiterte er gestern im Achtelfinale mit 2:6, 3:6 am Argentinier Juan Monaco, dennoch geht der gebürtige Lübecker mit viel Selbstvertrauen in sein Heimturnier. "Es war wichtig für mich, zuletzt sieben Einzel auf Sand gespielt zu haben. Ich fühle mich für Hamburg bestens in Form und freue mich riesig, zu Hause spielen zu können", sagt er. Im vergangenen Jahr war Kamke am Rothenbaum im Achtelfinale in drei Sätzen am Kroaten Marin Cilic gescheitert, dennoch sei das Turnier "die beste Woche der gesamten Saison" gewesen. Nun hat er sich vorgenommen, erstmals das Viertelfinale zu erreichen. "Das Zeug dazu habe ich!"
Kamke hofft, dass Reister seine Wildcard zugeteilt bekommt. "Es wäre schade und ungerecht, wenn er nach seinen Leistungen in den Vorjahren nicht mitspielen dürfte", sagt er. Kamke ohne Reister - das wäre tatsächlich ein ungewohntes Bild am Rothenbaum.