Tony Thompson will Wladimir Klitschko am Sonnabend schlagen. Doch alles andere als ein klarer Klitschko-Sieg wäre eine Riesensensation.
Bern. Endlich begegnete ein Herausforderer Wladimir Klitschko auf Augenhöhe. Zumindest beim „Staredown“, bei dem sich die zwei Schwergewichtsboxer tief und möglichst angsteinflößend in die Augen schauten, konnte Tony „The Tiger“ Thompson dem nur um zwei Zentimeter größeren Champion die Stirn bieten. Ein Kampf auf Augenhöhe am Samstag (ab 22.10 Uhr/RTL) im Stade de Suisse wäre jedoch eine große Überraschung. Eine Niederlage Klitschkos käme gar einem zweiten Wunder von Bern gleich. Zu groß ist dessen Dominanz, zu groß sind die Zweifel an Thompsons Stärke.
+++ Klitschko: "Er kennt mich besser als jeder andere Gegner" +++
Dabei ließen die Klitschko-Brüder im Vorfeld nichts unversucht, um den Fight als „echten Härtetest“ anzupreisen, so wie er auf den offiziellen Kampfplakaten auch propagiert wird. „Er kennt mich in- und auswendig, besser als jeder andere Gegner. Ich denke, wir werden den besten Thompson aller Zeiten sehen“, sagte Klitschko über seinen ehemaligen Sparringspartner.
Auch Wladimirs Bruder Vitali wollte von einem möglichen Fallobst-Gegner nichts wissen. Thompson habe einen „unangenehmen und unorthodoxen Stil“, die Chancen würden 50:50 stehen. Das sehen die Wettbüros komplett anders. Bei einem Sieg des haushohen Favoriten Klitschko zahlt bwin zum Beispiel lediglich das 1,03-Fache des Einsatzes zurück.
+++ Vitali Klitschko bei Tumulten in Kiew verletzt +++
Zu viel deutet darauf hin, dass der Titelträger der Verbände IBF, IBO, WBO und WBA im Berner Stadtteil Wankdorf ähnlich dominieren wird wie bei seinem bislang letzten Kampf gegen den völlig überforderten Franzosen Jean-Marc Mormeck im März in Düsseldorf. Dass sich der 40-jährige Thompson am Sonnabend erstmals zum Weltmeister kürt und damit den Altersrekord knacken wird, glaubt kaum jemand - außer natürlich der Pflichtherausforderer selbst.
„Ich werde den Titel in die USA zurückbringen. Dort warten alle Fans schon so lange auf die Gürtel, die die Klitschkos einfach nicht hergeben wollen“, sagte der erfahrene, aber langsame und technisch limitierte Boxer, der 35 seiner 37 Profikämpfe (23 davon durch K.o.) gewonnen hat. Eine von zwei Niederlagen hatte ihm Wladimir Klitschko am 12. Juni 2008 in Hamburg zugefügt.
„Das war einer der schwierigsten Kämpfe in der Karriere meines Bruders“, erinnerte sich Vitali Klitschko. Nun sei Wladimir jedoch in der Form seines Lebens, „beweglich, explosiv, kraftvoll“. All diese Attribute treffen auf Thompson nicht zu. „Er ist eine lahme Ente, hat überhaupt keine Spritzigkeit. Das ist fast schon tapsig. Aber der kann unheimlich viel vertragen“, sagte Boxexperte Luan Krasniqi in der "Süddeutschen Zeitung".
Krasniqi gilt als einer der schärfsten Kritiker von Wladimir Klitschko. Der Ukrainer würde „mit minimalen Einsatz maximalen Ertrag“ einfahren, durch seinen ökonomischen Kampfstil aber oft auch die Zuschauer langweilen, meinte der frühere WM-Herausforderer: „Wenn ich spannende Kämpfe sehen will, dann finde ich das nicht in Ordnung. Treffen und getroffen werden, das will ich sehen.“
Klitschkos Trainer Emanuel Steward versprach, sein Schützling werde gegen Thompson aggressiver als sonst boxen. Allerdings ist fraglich, wie viel Einfluss Steward wirklich noch hat. In einem Interview mit der Zeitung "Die Welt" verriet der Superchampion, dass er sich seit seiner letzten Niederlage 2004 gegen Lamon Brewster quasi selbst trainiert, sein Coach nur für die letzten vier Wochen vor einem Kampf anreist. Klitschko: „Die Selbstbestimmung macht mir riesigen Spaß.“ Spaß dürfte inzwischen seine größte Motivation sein, der Name des Gegners wohl schon lange nicht mehr.