Das “Tiki-Taka“ der Roten Furie zermürbt nach wie vor die Gegner, doch es gibt erste Anzeichen, dass die spanische Vormachtstellung bröckelt.

MÜNCHEN/MADRID. Zwei gekreuzte Mini-Pflaster auf der royalen Nase, das Auge königsblau und geschwollen - Spaniens König Juan Carlos sah zuletzt ziemlich angeschlagen aus. Ein «häuslicher Unfall» sei verantwortlich für das ramponierte königliche Antlitz, teilte ein Palastsprecher mit. «Das passiert, wenn jemand einem einen Schlag mit einer Tür versetzt», sagte seine königliche Hoheit zum Missgeschick eines Palastdieners.

Ähnlich wie «Don» Juan Carlos erging es zuletzt auch der spanischen Nationalmannschaft. Seit Jahren beherrscht die «Rote Furie» König Fußball, doch zum Abschluss des Länderspieljahres setzte es für die Spanier beim 0:1 in England die zweite Niederlage des Jahres, und beim folgenden 2:2 in Costa Rica holten sie sich gleich noch ein blaues Auge ab. Der Welt- und Europameister ist berechenbar, die spanische Regentschaft, so scheint es, neigt sich dem Ende zu.

«Spanien», sagt Bundestrainer Joachim Löw, «ist immer noch das Maß aller Dinge.» Die Betonung liegt auf «noch», denn «der Abstand ist geringer geworden», glaubt Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm und urteilt: «Für Spanien war es aber auch schwer, sich noch weiterzuentwickeln.»

Wie groß oder klein die Lücke noch ist, wird letztlich erst die EM-Endrunde zeigen. In der EM-Qualifikation gab sich der Titelverteidiger keine Blöße und fuhr acht Siege in acht Spielen ein. Doch wie aussagekräftig sind die Niederlagen gegen England, Italien (1:2), Argentinien (1:4) oder Portugal (0:4)? «Wir bleiben ruhig, kein Grund zur Panik», sagt der stets besonnene Nationaltrainer Vicente del Bosque: «Natürlich sind wir Favorit, aber wir wissen, dass uns eine gute Organisation und ein starker Kampfgeist Probleme bereiten können. Die Unterschiede im Fußball werden von Mal zu Mal geringer.»

Sieht man sich die letzten Jahre an, verdeutlichen sie die Entwicklung. 2008 zauberten sich die Spanier unter Luis Aragones, dem «Weisen von Hortaleza», noch spektakulär durch das EM-Turnier. Die Gegner spielten mit, Spanien wurde zum zweiten Mal Europameister. Zwei Jahre später bei der WM in Südafrika tat sich die fast identische Mannschaft schon deutlich schwerer, die Gegner agierten defensiver und ließen Spanien kaum Raum. Die Kombinationsmaschine von del Bosque krönte sich verdient zum Weltmeister, doch der erste WM-Titelgewinn der Iberer (1:0 n.V. im Endspiel gegen die Niederlande) war ein Geduldsspiel und Ergebnis harter Arbeit.

2012 also wird sich die Fußballwelt wieder ein Stück mehr auf den Favoriten eingestellt haben. Auch del Bosque weiß das. «Der Reichtum einer Mannschaft hängt von ihrer Variabilität ab. Abhängig von den Spielern, die wir aufbieten, verfügen wir über verschiedene Spielformen», erklärte der 60-Jährige daher: «Auch wenn das Spielkonzept sich nicht groß ändern wird, haben wir Alternativen. Es gibt nicht das eine System, und es ist wichtig, dass wir uns auf jedwede Situation vorbereiten.»

Personell blieb der große Umbruch beim Champion aus, als Achillesferse könnte sich die Defensive erweisen. Abwehrchef Carles Puyol (wird im April 34) war monatelang verletzt und ist in die Jahre gekommen, Gerard Pique schwächelt. Darüber hinaus ist die Position des Linksverteidigers vakant.

Der inzwischen 33 Jahre alte Joan Capdevila, bei den Turnieren 2008 und 2010 gesetzt, ist beim portugiesischen Rekordmeister Benfica Lissabon häufig nur Tribünengast. Zuletzt testete del Bosque Talent Jordi Alba (FC Valencia) und Ignacio «Nacho» Monreal (FC Malaga). Restlos überzeugt hat keiner von beiden.

Prunkstück der Mannschaft ist und bleibt das Mittelfeld um den starken Barca-Block. Dort heißt es: Klasse und Masse. Gleiches gilt auf der Torhüterposition um Neu-Rekordnationalspieler Iker Casillas. Auch im Sturm stehen ausreichend Alternativen zum weiterhin schwächelnden Fernando Torres (FC Chelsea) parat.

Trotz gewisser Probleme scheint klar, dass der Weg zum Titel erneut nur über Spanien führt. Und wie man mit Hindernissen umgeht, machte Juan Carlos bereits vor 30 Jahren deutlich. Als der König 1981 in seinem Madrider Palast «La Zarzuela» am Swimming Pool entlang lief, übersah er eine geschlossene Glastür. Juan Carlos zerstörte seinen Kontrahenten - und zwar «vollständig», wie Spaniens größte Tageszeitung El Pais nicht ganz ohne Stolz berichtete. Auf diese royale Durchschlagskraft hofft auch der Titelverteidiger bei der EM im kommenden Jahr. (sid/abendblatt.de)