Andrea Petkovic ist binnen nur zwölf Monaten von einer Träumerin zu einer seriösen Top-Ten-Spielerin geworden. Das macht sie zu einem Vorbild.

New York. Als sie vor einem Jahr im Achtelfinale der US Open auftauchte, wirkte sie im großen Grand-Slam-Theater noch wie eine exotische Zufallsbesetzung. An einem kühlen Sommersonntag schied Andrea Petkovic dann gegen die Russin Vera Zwonerewa aus, und manches Mal sah es aus, als müsse die Südhessin vor lauter Versagensfrust und Weltschmerz lauthals losheulen. Der erste relevante Auftritt auf großer Bühne, eine Niederlage in ziemlicher Verkrampfung - im Rückblick war es gleichwohl ein einschneidender, wegweisender Moment in ihrer Karriere. "Es war das Ende der Zeit, in der ich Tennis irgendwie spielerisch, als Abenteuer, betrachtet habe", sagt die 23-Jährige. "Es war ein Klickmoment: Ich sah auf einmal, dass ich Großes erreichen kann. Dass ich dafür aber richtig professionell arbeiten muss."

Bei diesen US Open 2011 nun scheint das lustige, teils auch unverbindliche Vagabundenleben Petkovics im Wanderzirkus wie eine kleine Ewigkeit zurückzuliegen: In einem atemberaubenden Reifeprozess ist die eloquente Deutsche binnen zwölf Monaten zu einer festen, allseits akzeptierten Branchengröße geworden, ist zur Weltklassespielerin und Top-Ten-Athletin herangewachsen. Und als Petkovic am Montagabend im Louis-Armstrong-Stadion die Spanierin Carla Suarez-Navarro mit 6:1 und 6:4 besiegte und sich für ein Viertelfinalrendezvous mit der Weltranglistenersten Carolin Wozniacki qualifiziert hatte, da war sie sogar zur konstantesten aller Spielerinnen bei den Grand-Slam-Turnieren der laufenden Saison aufgestiegen: Keine außer der deutschen Frontfrau erreichte bei drei der vier Majors mindestens die Runde der letzten Acht - wobei das Ende in New York ja noch verlockend offen war. "Ich wollte genau dorthin, wo ich jetzt im Tennis stehe", sagt die ehrgeizige Darmstädterin, die selbst mit ihrem lädierten, eingerissenen Meniskus noch ein Muster an Stabilität und Solidität ist. "Sie legt die beste Saison einer deutschen Spielerin hin, seit Steffi Graf aufgehört hat", sagt Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner, die nach wie vor wie auch Vater Zoran Petkovic der Ansicht ist, "dass Andrea mit dieser Verletzung nie hätte starten sollen." Sie habe noch immer "große Angst um Petko", so Rittner, "aber wenn sie am Ende hier was Großes reißt, habe ich dann auch gerne unrecht gehabt."

Regen in New York: Kielerin Kerber spielt erst Mittwoch

Petkovic im Viertelfinale - jetzt wartet die Nummer eins

Petkovics katapultartiger Aufstieg hat im deutschen Tennis inzwischen viele und vieles in Bewegung gebracht - was sich recht eindrucksvoll seit den Frühlingsmonaten auf der Tour und jetzt auch bei diesem Grand-Slam-Spektakel in New York besichtigen lässt: Im Sog der Erfolge der Weltranglistenzehnten schoben sich Julia Görges und Sabine Lisicki bis unter die Top 20 vor, Lisicki ihrerseits nach einem fabelhaften Comeback. Dazu führte Petkovic die deutsche Truppe daheim in Stuttgart im April auch noch zurück in die Fed-Cup-Weltgruppe. "Die Andrea hat allen gezeigt, dass auch für deutsche Spielerinnen etwas geht in der Weltspitze. So ist dann ein gesunder, angenehmer Konkurrenzkampf unter vielen sehr guten Spielerinnen entstanden", sagt Rittner, die Bundestrainerin. Bei den US Open rückten zunächst drei deutsche Spielerinnen ins Achtelfinale vor, erstmals bei diesem Turnier seit 1987. Und dann gab es erstmals seit den French Open 1994 bei einem der vier großen Turniere wieder zwei deutsche Viertelfinalistinnen, Petkovic und die Kielerin Angelique Kerber, deren Spiel gegen die Italienerin Flavia Pennetta wegen Regens auf heute verlegt wurde.

Ihre Siegestänzchen führt Petkovic zwar noch immer auf, vor allem als Zugeständnis an die Fans, doch sie ist in Wahrheit eine präzise kalkulierende, durch und durch seriöse Unternehmerin - die Chefin im Familienbetrieb Petkovic: "Tennis ist jetzt Alltag, den man in den Griff bekommen und optimal strukturieren muss", sagt Petkovic. "Die Zeit der Träumereien ist vorbei." Noch vor ein paar Monaten hatte sie sich in Miami wie ein Kind gefreut, als Rafael Nadal ihr die Hand schüttelte und sie zu ihren Leistungen beglückwünschte. Nun ist sie selbst eine Spielerin, der man in der Spielerloge hinterherschaut. "Angekommen" sei sie im Tennis, sagt Petkovic, einst lange im Zweifel, ob das Herumtouren mit der Profikarawane das Richtige für sie sei. Nun studiert sie zwar noch nebenbei Politische Wissenschaften, aber eigentlich hat sie sich mit Haut und Haaren dem Tennis verschrieben.

Am Freitag feiert sie ihren Geburtstag, am liebsten noch in New York, das wäre "ein Traum, absolut perfekt". Und auch wenn es im Big Apple 2011 noch nicht mit einem kapitalen Erfolg klappen sollte, ist doch klar: Sie ist gekommen, um zu bleiben - in der Weltspitze.