Formel-1-Rennfahrer Lewis Hamilton vor dem deutschen Grand Prix über die Kritik an seinem Fahrstil, den Mythos Nürburgring und Sebastian Vettel.

Hamburg. Lewis Hamilton, 26, ist derzeit der spektakulärste Rennfahrer in der Formel 1. Der Weltmeister von 2008 ist der einzige Pilot, der seit seinem Einstieg 2007 in jeder Saison mindestens ein Rennen gewonnen hat. Im Vorfeld des deutschen Grand Prix war Hamilton in Hamburg zu Gast. Für McLaren-Werbepartner Hugo Boss, der in diesem Jahr die 30-jährige Zusammenarbeit mit dem Team feiert, wählte er in einem Designwettbewerb der Modemarke jenen Rennanzug aus, mit dem er an diesem Sonnabend bei der Qualifikation am Nürburgring starten wird. "Ich liebe diese verschiedenen Anzüge, besonders wenn sie schwarz sind." Entspannt nahm sich Hamilton auf der Terrasse des Sofitel-Hotels mit Blick auf das Alsterfleet Zeit für ein Gespräch.

Hamburger Abendblatt: Mr. Hamilton, am Sonntag starten Sie auf einer der berühmtesten Rennstrecken der Welt, dem Nürburgring. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem "Ring"?

Lewis Hamilton: Die alte Nordschleife hat eine große Geschichte, sie ist eine der besten, wenn nicht die beste Strecke in der Welt. Ich habe dort oft ein paar Tage vor dem Rennen mit Norbert Haug (dem Mercedes-Motorsportchef, Red.) ein paar Runden gedreht, auch mal mit historischen Fahrzeugen. Das hat viel Spaß gemacht. Auf der aktuellen Grand-Prix-Strecke bin ich schon gewesen, als Michael Schumacher seine Rennen gewann. Ich bin dort 2005 erstmals in der Formel 3 gestartet, es war ein unglaubliches Rennen. Ich habe den ersten Lauf gewonnen, im zweiten Rennen hat es geregnet, und ich hatte am Ende 30 Sekunden Vorsprung. Hier hatte ich immer eine gute Zeit.

Nach dem Wetterbericht könnte es auch diesmal beim Rennen regnen ...

Hamilton: Das wäre sehr heikel, denn wir reden von einem schnellen Kurs mit mittelschnellen bis sehr schnellen Kurven. Eine Strecke, die noch naturbelassen ist und Passagen bietet, die pures Rennfahren ermöglicht. Die Leute müssen damals den Wald gesehen und gesagt haben: Hier bauen wir eine Rennstrecke! Ich glaube, dass es im Regen ein interessantes Rennen wäre.

Vielleicht würde das Ihre Chancen erhöhen. Sie sind einer der besten Fahrer der Welt, sitzen aber nicht im besten Auto. Das ist Sebastian Vettels Red Bull. Ist das nicht frustrierend?

Hamilton: Das ist in der Tat schwierig. Die meisten Leute wissen ja nicht, wie groß so ein Team wie unseres wirklich ist. Und wenn man sieht, wie hart die Leute arbeiten, wie sie sich engagieren, um das Auto perfekt vorzubereiten - und dann geht das Rennen nicht so aus, wie wir das gehofft haben. Dann hat jemand anders einen besseren Job gemacht. Natürlich ist es angenehmer, wenn man mit dem schnellsten Paket unterwegs ist. Ich muss einfach optimistisch sein.

Müssen Sie in so einer Situation mehr Risiken eingehen und aggressiver fahren?

Hamilton: Das machen wir ja. Das hängt natürlich von der Mentalität ab, aber ich kann nur 100 Prozent geben, mehr nicht. Wenn das nur für den vierten Platz reicht, muss ich eben dafür alles geben. Ich bin mit dem Kart groß geworden, eine alte Kiste, aus fünfter oder sechster Hand, zusammengebastelt und ausgebeult, mein Vater hat sie selbst wieder angestrichen. Es war natürlich nicht gut genug, aber ich fuhr so schnell, wie ich konnte, auch mal über dem Limit, um eben das Bestmögliche zu erreichen. Und genauso fahre ich noch heute. Selbst wenn ich im besten Auto sitze, werde ich das tun.

Empfinden Sie nie so etwas wie Angst?

Hamilton: Nein. Ich wüsste nicht, warum. Seit ich zwei Jahre alt bin, mache ich Dinge, die andere vielleicht verrückt finden, auf Fahrrädern, in Karts. Ich bin dankbar dafür - so kann ich Dinge erleben, die Spaß machen: schnelle Autos fahren etwa, auch Fallschirmspringen möchte ich noch ausprobieren; nur Bungeejumping, das wäre wohl nichts für mich.

Die Zuschauer lieben Sie für Ihren Fahrstil, die Rennkommissare eher weniger.

Hamilton: Es mochte ja auch nicht jeder, wie Michael Schumacher in seiner großen Zeit gefahren ist. Da hat jeder seine Vorlieben. In dieser Saison sollen die Stewards wohl etwas härter urteilen; sie haben keinen einfachen Job. Aber sie versuchen wenigstens, so gleichmäßig wie möglich zu urteilen. Ich will da nicht diskutieren.

Die technischen Innovationen haben das Formel-1-Fahren verändert. An Ihrem Lenkrad haben Sie mehr als 20 Knöpfe und Schalter. Schmälert das die Rolle des Fahrers?

Hamilton: Das glaube ich nicht. Es sind nur andere Eigenschaften gefordert. Ich mag die alten Autos mit einer ganz normalen Gangschaltung. Im Rennwagen brauchst du jetzt andere Fertigkeiten. Du musst die verschiedenen Parameter kontrollieren und gezielt einsetzen, ihren Nutzen maximieren. Früher bist du auf die Kurve zugefahren und hast gebremst. Heute musst du die Einstellungen im Auge behalten und das Auto an jedem Punkt der Strecke perfekt abstimmen. Wenn das Auto etwa untersteuert, kannst du das aus dem Cockpit heraus justieren.

Was macht denn heute einen perfekten Rennfahrer aus?

Hamilton: Ich denke, dass sich das verändert hat. Früher mussten die Fahrer einfach nur eines sein: schnell. Was ich mag. Aber heute geht es um viel mehr: Man muss als Fahrer den Druck aushalten, es ist wichtig, wie du auftrittst, wie du sprichst, wie du aussiehst. Der eigentliche Part des Fahrens nimmt nicht mehr so viel Raum ein wie früher. Die Formel 1 war einmal pures Racing, heute ist sie ein großes Business.

Müssen Sie da manchmal auch egoistisch sein?

Hamilton: Sicherlich. Du musst behutsam mit deiner Zeit umgehen, denn die ist knapp bemessen. Meine Mutter zum Beispiel habe ich seit Silverstone nicht mehr gesehen. Wenn ich sie jetzt zum Essen ausführe, kommt jemand und möchte ein Foto mit mir. Du sagst Ja - und der Nächste steht bereit. Da musst du manchmal einfach rigoros sein, auch wenn es für Außenstehende schwer zu verstehen ist. Das ist niemals böse gemeint, aber ich muss mich schützen.

Können Sie es sich in Ihrem Sport überhaupt erlauben, Emotionen zu zeigen?

Hamilton: Na ja, ich habe in diesem Jahr schon reichlich Emotionen gezeigt. Wir sind doch alle Menschen, auch wenn es manchmal vielleicht so wirkt, als ob wir Maschinen wären. Ich kann es nach wie vor kaum glauben, dass ich Formel 1 fahre - und schon eine Nebenrolle in einem Hollywoodfilm gespielt habe. Aber manche Menschen wollen diese Emotionen auch ausnutzen, also muss man sich häufig kontrollieren.

Sie fahren bis zu 20 Rennen im Jahr, vielleicht noch mehr, wenn sich Formel-1-Chef Bernie Ecclestone durchsetzt. Wie können Sie sich immer wieder neu konzentrieren?

Hamilton: Das ist wirklich eine große Herausforderung. Der einzige Sport, mit dem man es vielleicht vergleichen kann, ist Golf. Da spielst du 18 Löcher und musst dich bei jedem neu konzentrieren. Ich spiele manchmal Golf, wenn auch nicht gut. Aber ich kann mir vorstellen, wie schwer es sein muss. Wir haben knapp anderthalb Wochen zwischen den Rennen. Mit Terminen, Flügen, Training. Es ist hart, immer wieder den Fokus neu auszurichten. Diese Woche war sehr gut. Ich habe ordentlich trainiert, gut gegessen, meine Energiespeicher aufgetankt. Ich fühle mich gut.

Können Sie überhaupt noch Ihre Freunde treffen?

Hamilton: Ja, zwar nicht regelmäßig, aber ich versuche es einzurichten. In Silverstone habe ich meine Familie sehen können. Meine Freunde kommen zu manchen Rennen, aber wir fahren gemeinsam in den Urlaub. Im August macht die Formel 1 Pause. Das tut mir gut, da kann ich abschalten. Wenigstens ein bisschen, ich muss ja trainieren.

Sie haben so früh angefangen ...

Hamilton: Mit acht. Ich bin zwei Drittel meines Lebens Rennfahrer.

Fehlt Ihnen da nicht auch ein Stück Kindheit?

Hamilton: Klar habe ich es manchmal vermisst, ein freies Wochenende zu haben. Mit Freunden ins Kino gehen zu können, Parks zu besuchen, Partys zu feiern. Ich saß jeden Sonnabend und Sonntag im Kart. Da ist es nicht leicht, Freundschaften zu erhalten. Als ich die Schule verlassen habe, hatte ich drei enge Freunde, die mir bis heute geblieben sind. Das ist nicht viel.

Ein Wort noch zu Sebastian Vettel. Können Sie ihn auf dem Weg zum zweiten Titel noch stoppen?

Hamilton: Er hat einen riesigen Vorsprung, mir fehlen schon 95 Punkte. Aber wenn wir gewinnen, können wir die Lücke auch wieder schließen. Natürlich hat Sebastian ein sehr gutes und zuverlässiges Auto, er ist bis jetzt immer ins Ziel gekommen. Er fährt fantastisch, er ist als Weltmeister reifer und sehr konstant geworden. Es ist großartig, wenn man diese Möglichkeit hat. Ich hatte das 2007, das Jahr darauf war es schon schwerer.

Seit Sie in der Formel 1 sind, fahren Sie für McLaren. Haben Sie schon mal über einen Wechsel nachgedacht?

Hamilton: Man muss offen für alles sein und nichts ausschließen. Aber ich arbeite mit diesem Team seit 13 Jahren. Ich kam am Montag in die Fabrik, und es war wieder so erfrischend. Da stehen historische Autos der größten Rennfahrer, und dann sind da zwei Wagen, auf denen mein Name steht. Da halte ich schon für ein paar Augenblicke inne. Ich liebe es, ein Teil dieses Teams zu sein. Ich bin überzeugt, dass die Ingenieure mir ein Auto hinstellen werden, mit dem ich Rennen gewinnen kann. Wir können immer noch die Weltmeisterschaft gewinnen. Es ist so gut wie unmöglich - aber eben nicht unmöglich.