Tennis-Idol Ivan Lendl erzählt im Sportgespräch von Rivalen, seinem Rentnerdasein und seinen Erinnerungen an das Turnier am Rothenbaum.
Hamburg. 94 Turniere, darunter acht Grand-Slam-Titel, hat Ivan Lendl in seiner Karriere als Tennisprofi zwischen 1978 und 1994 gewonnen. 270 Wochen stand er an der Spitze der Weltrangliste. An diesem Sonntag (19 Uhr) kommt der 51-Jährige zum Schaukampf mit Turnierdirektor Michael Stich, 42, an den Rothenbaum. Wie diszipliniert der gebürtige Tscheche, der 1992 die US-Staatsbürgerschaft erhielt, noch immer ist, zeigt seine Zuverlässigkeit: Nachdem es mehrere Wochen gedauert hatte, einen Termin zu bekommen, meldet er sich fünf Minuten vor der verabredeten Zeit am Mobiltelefon.
Hamburger Abendblatt: Sie sind ja schwieriger zu erreichen als die meisten aktiven Profisportler. Trifft der Spruch, dass Rentner nie Zeit haben, auch auf Sie zu?
Ivan Lendl: Ich bin weit davon entfernt, ein Rentner zu sein. Ich spiele mit großem Engagement Turniere auf der Senior-Tour der Golfer, die gerade mitten in ihrer Hauptphase ist. Das nimmt eine Menge Zeit in Anspruch.
Ist Golf Ihre Kompensation für das, was früher das Tennis für Sie war?
Lendl: Golf ist nicht der Ausgleich für die körperliche Anstrengung, die Tennis bedeutet, dafür bewegt man sich zu wenig. Aber es ist die Kompensation für den Wettkampf, denn den habe ich sehr vermisst, nachdem ich mit dem Tennis aufgehört hatte. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich etwas gefunden habe, das ich ansatzweise so gut beherrsche wie Tennis, damit ich mich auf einem hohen Level mit anderen messen kann.
Als Sie 1994 mit dem Tennis aufhörten, waren daran vor allem chronische Rückenprobleme schuld. Wie schwer ist Ihnen die Entscheidung gefallen aufzuhören, obwohl Sie vom Kopf her noch bereit waren weiterzumachen?
Lendl: Es war einerseits sehr hart, aber vor allem war es eine Erleichterung für mich, weil mein Rücken plötzlich im Alltag nicht mehr wehtat. In der Endphase meiner Karriere bin ich nachts manchmal bei jeder Bewegung vor Schmerzen zusammengefahren. Als diese Schmerzen weg waren, war mein Leben plötzlich viel schöner. 14 Jahre lang habe ich keinen Tennisschläger in die Hand genommen.
Warum sind Sie dann vor zwei Jahren doch rückfällig geworden?
Lendl: Ich habe einen Arzt in Florida gefunden, der mein Rückenleiden in den Griff bekommen hat. Sehen Sie, ich leite in South Carolina eine Tennis- und Golfakademie, und ich habe mir gedacht, dass ich dem Nachwuchs ja auch Dinge vormachen muss. Also habe ich mich wieder ans Tennisspielen gewagt. Ich bin natürlich nicht mehr bei 100 Prozent, aber ich kann wieder ein Match durchstehen, das genieße ich.
Haben Sie über die Jahre, in denen Sie nicht spielten, Kontakt zu den alten Kollegen gehalten oder Abstand genommen?
Lendl: Ich habe Kontakt mit vielen gehalten und mich auch immer dafür interessiert, was im Tennis passierte. Die Kameradschaft mit den Jungs, das war das, was ich im Ruhestand am meisten vermisst habe. Das jetzt wieder zu haben, und das Ganze ohne den Stress des Gewinnenmüssens, ist schön für mich.
Sie waren früher als sehr verbissener Spieler verschrien. Haben Sie mit 14 Jahren Abstand gelernt, den Sport generell lockerer zu sehen?
Lendl: Ich verliere noch immer ungern. Und mir ist es auch wichtig, dass der Level, auf dem wir uns messen, ein gewisses Niveau hat. Aber natürlich geht es jetzt nur noch darum, Spaß zu haben und vor allem die Leute zu unterhalten. Den Menschen, die uns heute zusehen, ist es doch egal, wie das Spiel ausgeht. Sie wollen unterhalten werden und sich an alte Zeiten erinnern.
Als Profi war Ihnen Show zuwider. Glauben Sie, dass Sie heutzutage im Profi-Business noch zu Hause wären?
Lendl: Ich war nie ein Fan des Drumherums im Profisport, aber ich glaube, dass auch heute die Athleten hauptsächlich an das Ergebnis denken. Die Show, die aus Wettkämpfen Events macht, ist pompöser geworden, aber nicht, weil die Athleten das wollen. Deshalb denke ich, dass ich mit meinem Charakter auch heute noch in dem Business zurechtkommen könnte.
Mit welchen Gefühlen kehren Sie nach Hamburg zurück? Immerhin haben Sie am Rothenbaum 1987 und 1989 gesiegt.
Lendl: Ich freue mich sehr auf die Rückkehr. Hamburg war immer ein schwieriges Turnier, oft war es kalt und regnerisch. Jetzt gibt es immerhin ein Dach über dem Centre-Court, aber dennoch hoffe ich, dass die Sonne scheint. Das ist für meine alten Knochen angenehmer.
Michael Stich hat seinen einzigen Sieg aus sieben Partien gegen Sie 1993 am Rothenbaum geschafft. Er denkt, dass Sie nun etwas gutzumachen haben. Sehen Sie das Match auch als eine Revanche?
Lendl: Ich werde das nach Showkämpfen oft gefragt, wenn ich einen der Rivalen von einst besiegt habe, ob es sich gut anfühlt, sich revanchiert zu haben. Ich lache dann, weil die Profitour und die Showkämpfe verschiedene Dinge sind. Aber ich kann versichern: Ich werde Michael einen harten Kampf liefern.
Er hat es früher gehasst, gegen Sie zu spielen, weil Sie ein so unangenehmer Gegner waren.
Lendl: Er doch genauso. Ich habe es auch gehasst, gegen ihn zu spielen, genauso wie gegen Boris Becker. Die beiden waren immer top vorbereitet, haben unglaublich gut aufgeschlagen und gekämpft bis zum letzten Punkt. Deshalb kann ich dieses Kompliment gern an Michael zurückgeben. Wichtig ist aber, dass wir uns abseits des Platzes immer gut verstanden haben. Deshalb freue ich mich, ihn wiederzusehen. Wir hatten ja in diesem Jahr schon einmal in Zürich das Vergnügen, da habe ich erst im Champions-Tiebreak gewonnen. Wir liefern uns also auch im gesetzten Alter noch immer harte Duelle.
Gibt es Spieler, gegen die Sie lieber spielen als gegen Deutsche? Was ist mit Ihren schwedischen Dauerrivalen Stefan Edberg, Mats Wilander oder Björn Borg?
Lendl: Mit Stefan war ich letztes Jahr in Paris, gegen Mats habe ich sogar fünfmal gespielt im vergangenen Jahr. Das beste Erlebnis aber hatte ich mit Björn, er war im vergangenen November mit mir in meiner Heimatstadt Ostrava, wo ich seit 30 Jahren nicht gespielt hatte. Das war eine tolle Geste von ihm und ein großes Erlebnis für mich.
Wie häufig werden Sie noch auf Michael Chang angesprochen, gegen den Sie 1989 bei den French Open im legendären Achtelfinale verloren haben, obwohl er wegen schwerer Krämpfe kaum noch laufen konnte und von unten aufschlug?
Lendl: Noch häufig, weil die Menschen glauben, dass es für mich ein schlimmes Erlebnis war. Das stimmt nicht. Für Michael war es ein wichtiges Match, es war sein einziger Grand-Slam-Titel. Für mich nicht, denn ich wusste, dass ich die French Open nicht gewinnen würde, dazu war ich wegen einer Verletzung nicht fit genug. Und wissen Sie was? Das Aus hat mir sogar geholfen, denn danach habe ich in Wimbledon so gut gespielt wie nie zuvor. 1990 habe ich aufgrund dieser Erfahrung auf Paris verzichtet. Auf diese Lösung wäre ich ohne Michael nie gekommen!
Sie schauen viel Tennis. Wie nehmen Sie die derzeitige Generation wahr?
Lendl: Als sehr interessant, es gibt so viele offene Fragen! Wird Roger Federer noch ein Grand-Slam-Turnier gewinnen? Wird Rafael Nadal ihn übertrumpfen und mehr als 16 Grand-Slam-Titel holen? Oder kommt jetzt die Zeit des Novak Djokovic? Er kam aus dem Nichts, und dann gewinnt er zwei von drei Grand-Slam-Titeln in dieser Saison. Ich hätte ihm auch den Sieg in Paris gewünscht, denn ich würde gern mal erleben, dass jemand den Grand Slam mit allen vier Major-Titeln in einer Saison gewinnt. Ich hatte es Nadal zugetraut. Aber der muss jetzt einen Weg finden, um Djokovic zu schlagen. Ich hätte da drei, vier Dinge, die er ändern könnte, aber darüber will ich nicht sprechen.
Gibt es einen deutschen Profi, dem Sie den Sprung unter die Top Ten zutrauen?
Lendl: Da wage ich keine Prognose, denn das hängt von zu vielen Faktoren ab. Möglich ist es aber allemal. Rainer Schüttler zum Beispiel, er möge mir diese Aussage verzeihen, hatte nie die Klasse eines Stich oder Becker, und trotzdem hat er es geschafft. Es ist einfach unfair, dass die Deutschen ihre Tennisspieler immer noch an der Ära Becker/Stich messen. Dagegen können die Jungs nur schlecht aussehen.
Würden Sie heute noch Jugendlichen raten, eine Tenniskarriere zu wagen?
Lendl: Nein, ich würde jedem, der Profisportler werden will, zu einer Karriere im Golf raten. Golf ist der einzige Sport, den man bis zum Rentenalter betreiben kann. Wenn man einigermaßen auf seinen Körper achtet, kann man sein Leben lang Golf auf hohem Niveau spielen. Ich habe fünf Töchter, drei von ihnen spielen Golf im College, eine möchte Profi werden. Wenn sie gut genug ist, werde ich sie darin unterstützen.
Aber ist es nicht mental unglaublich anstrengend, sein ganzes Leben lang immer nur im Wettbewerb zu stehen?
Lendl: Natürlich ist es anstrengend, aber alles ist möglich, so lange man das liebt, was man tut. Wenn mein Körper mich nicht gestoppt hätte, wäre ich heute noch Tennisprofi. Man muss es nur wollen, dann geht alles.
Die Qualifikation für das Hauptfeld wird am Sonnabend und Sonntag (jeweils elf Uhr) ausgespielt. Der Eintritt ist frei. Die Auslosung findet Sonnabend um 15 Uhr in der Europa-Passage am Jungfernstieg statt