Blutende Boxer sind sein Geschäft: Cutman Jacob “Stitch“ Duran muss Wunden schließen - auch beim Klitschko-Kampf in Hamburg.

Hamburg. Wenn Wladimir Klitschko am 2. Juli (21.45 Uhr/RTL) in der Imtech-Arena gegen den Briten David Haye antritt, dann könnte Jacob "Stitch" Duran sein wichtigster Helfer werden. Trotzdem hoffen alle, dass der gebürtige Mexikaner gar nicht in Erscheinung treten muss. Duran, 58, ist Cutman, er muss arbeiten, wenn seine Klienten aus Platzwunden bluten. Im Abendblatt spricht er über seinen Beruf und dessen Vor- und Nachteile.

Abendblatt:

Mister Duran, was unterscheidet einen guten Cutman, der bei Weltmeistern in der Ecke steht, von einem durchschnittlichen?

Jacob Duran:

Da gibt es mehrere Faktoren. Zum einen ist es die richtige Einstellung zum Beruf. Man muss etwas von dem Sport verstehen, um zu wissen, wie man in jeder Situation agieren muss. Außerdem muss man jeden Klienten ernst nehmen, immer sein Werkzeug komplett dabei haben und systematisch arbeiten. Mein Credo ist, dass ich auf den schlimmsten Fall vorbereitet sein muss, denn eine Verletzung kann die Karriere eines Sportlers ändern und sogar komplett zerstören. Ein guter Cutman muss mehr tun als nur Vaseline auftragen.

Vaseline gehört zur Grundausrüstung des Cutman, man sieht häufig, dass sie in den Ringpausen aufs Gesicht des Boxers aufgetragen wird. Warum?

Duran:

Vaseline hilft dabei, dass die Schläge des Kontrahenten leichter abrutschen, deshalb wird sie in jeder Pause auf die besonders gefährdeten Gesichtspartien um Augen und Nase herum aufgetragen. Ich habe meine Vaseline mit Adrenalin gemischt.

Was bewirkt das?

Duran:

Adrenalin ist in Deutschland das einzige Mittel, das zur Blutstillung erlaubt ist. In den USA gibt es dafür drei Medikamente, die ich benutzen darf. Aber in Deutschland kann ich zum Schließen des Cuts lediglich eine Adrenalinmischung benutzen. Diese trage ich mittels Wattestäben als Wasserlösung im Verhältnis 1:1000 auf, oder aber per Vaselinemischung. Das Wichtigste dabei ist die Hygiene, und auch da unterscheiden sich die Cutmen teils erheblich. Viele sind schmutzig, stecken sich die Wattestäbe hinters Ohr oder in den Mund. Das würde ich nie tun. Ich trage immer Latex-Handschuhe, achte darauf, dass all mein Werkzeug steril ist.

Was gehört noch zur Grundausstattung?

Duran:

Ich habe immer einen Eisbeutel dabei, damit kann ich das Gesicht des Kämpfers kühlen, wenn er keine blutenden Wunden hat. Ganz wichtig ist das Kühleisen. Dieses Eisen nutzt man, um Schwellungen und Blutergüsse, die sich unter der Haut gebildet haben, wegzudrücken. Es wird in Eis kalt gehalten, und wer es richtig einsetzt, kann damit wichtige Dienste leisten. Richtig einsetzen bedeutet: harter, direkter Druck auf die Schwellung. Nicht das Eisen übers Gesicht bewegen, wie viele es tun, sondern nur punktuell drücken.

Gibt es eine Schule für Cutmen, oder woher haben Sie Ihr Wissen?

Duran:

Es gibt keine Schule, unsere Schule ist das Leben. Ich habe mir alles selbst abgeschaut, deshalb ist Erfahrung in diesem Beruf ja auch so wichtig. Vor allem muss man viel mit den Sportlern kommunizieren, um richtig reagieren zu können. Ich habe schon einige Kämpfer gesehen, die ausflippen, wenn sie einen Cut haben. Da bin ich als Psychologe gefragt, muss beruhigen.

Dafür ist doch der Trainer da. Wie ist die Aufgabenteilung in der Ringecke?

Duran:

Normalerweise steht der Cutman in der Pause rechts hinterm Ringseil und reicht dem Coach den Eisbeutel oder Wasser. Aber sobald ein Cut aufgetreten ist, steht er in der Mitte vor dem Kämpfer. Ich mache das klar, bevor ich mit einem neuen Team arbeite. Früher haben viele Trainer sich in meine Arbeit eingemischt, heute passiert das nicht mehr. Jeder im Team hat seine Aufgabe, und ein guter Trainer wird sich immer auf seinen Cutman verlassen.

Ihre Arbeit fängt meist erst richtig an, wenn der Sportler verletzt ist. Fühlen Sie sich als eine Art Notarzt?

Duran:

Das kann man so sagen. Unser erstes Ziel ist es, die Gesundheit des Sportlers zu erhalten. Aber das zweite Ziel ist, ihn immer zum Weitermachen fit zu bekommen. Diesen Gewissenskonflikt muss man in Einklang bringen. Wenn Ringrichter oder Ärzte einen Kampf abbrechen, tun sie es, weil der verletzte Kämpfer einen Nachteil hat. Mein Job ist, diesen auszuschalten.

Gibt es Platzwunden, die man gar nicht stillen kann?

Duran:

Die gibt es. Wir fürchten besonders zwei Arten von Cuts: Die, die aussehen wie ein Blitz, bei denen die Haut in mehreren Richtungen gerissen ist. Und die, die so tief sind, dass Nerven und sogar Venen in Mitleidenschaft gezogen werden. Wenn das Blut im Rhythmus des Pulsschlags aus einer Wunde herauspulsiert, dann ist es sehr schwierig, daran zu arbeiten. Viele nehmen in der Vorbereitung auch Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Aspirin, die das Blut flüssiger machen und schwerer gerinnen lassen. So etwas muss ich wissen, damit ich richtig behandeln kann.

Vitali Klitschko hatte im Juni 2003 bei seinem Duell mit Lennox Lewis einen Cut, der so tief war, dass ein komplettes Wattestäbchen darin verschwand. Der Kampf musste wegen dieser Wunde abgebrochen werden. Sie waren damals noch nicht im Team der Klitschkos. War es dennoch der schlimmste Cut, den Sie je gesehen haben?

Duran:

Nein. Es war eine heftige Wunde, sie war tief und sehr fransig. Doch den schlimmeren Cut hatte Vitali, so habe ich es mir erzählen lassen, im Mund. Er hat stark geblutet und musste dauernd Blut schlucken. Das allein hätte gereicht, dass er hätte aufgeben müssen.

Erinnern Sie sich an die schlimmste Wunde, die Sie je behandeln mussten?

Duran:

Im Profiboxen war es beim Kampf zwischen Raul Marquez und Keith Mullings im September 1997. Marquez hatte über beiden Augen Cuts, die so lang waren wie seine Brauen, in jeden konnte ich problemlos einen Wattestab versenken. Insgesamt hatte er fünf Cuts und musste später mit 75 Stichen genäht werden. Aber ich habe ihn im Kampf gehalten. Das hat mich im Boxen auf die Bildfläche gebracht, seitdem werde ich weltweit anerkannt. Ich arbeite aber auch in der Ultimate Fighting Championship, einer in den USA sehr beliebten Kampfsportvariante mit viel härteren Regeln als im Boxen. Dort sind multiple Cutverletzungen die Regel. Manchmal kann ich kaum glauben, was ich dort tue. Dagegen könnte ich beim Boxen mit einer Hand arbeiten und mit der anderen Popcorn essen, wenn es nicht gegen die Hygieneregeln verstoßen würde.

Sie müssen hartgesotten sein, um das viele Blut zu ertragen. Gab es mal eine Situation, in der Ihnen angesichts einer Wunde schlecht wurde?

Duran:

In der UFC gab es mal einen Kampf, der war so blutig, dass beide Kämpfer von Kopf bis Fuß mit dem Blut des Gegners besudelt waren. Wenn Sie den Geruch von frischem Blut kennen, dann wissen Sie, wie es dort roch. Davon ist selbst mir schwindelig geworden.

Und wie viele Boxer kennen Sie, die kein Blut sehen können?

Duran:

Tatsächlich gibt es einige, denen beim Anblick blutender Wunden schlecht wird. Noch viel verbreiteter ist allerdings die Angst vor Spritzen. Da werden starke Männer zu wimmernden Kindern. Was jedoch alle Kampfsportler eint, ist eine besondere Einstellung dem Schmerz gegenüber. Ich habe, und das ist kein Spruch, um die Legende des mutigen Boxers zu nähren, noch nie einen Kämpfer im Ring klagen hören, wenn ich seine Wunden behandelt habe. Das Adrenalin, das durch den Körper schießt, wirkt Wunder.

Beim Nähen der Wunden, wenn der Kampf vorüber und das Adrenalin weg ist, dürfte das anders aussehen. Nähen Sie als Cutman auch? Immerhin ist Ihr Spitzname Stitch.

Duran:

Nein, das Nähen der Wunden überlassen wir den Doktoren. Jeder soll das tun, was sein Fachgebiet ist. Ich denke schon, dass ich es könnte, aber eben nicht gut genug, um Weltmeistern helfen zu können.

Sie haben im Oktober 2004 erstmals mit Wladimir Klitschko gearbeitet, bei dessen Kampf gegen DaVarryl Williamson. Wie kam der Kontakt zustande?

Duran:

Der Kontakt entstand über Wladimirs Trainer Emanuel Steward, er suchte nach dem Wirbel rund um die K.-o.-Niederlage gegen Lamon Brewster einen neuen Cutman. Der Kampf gegen Williamson war gleich harte Arbeit, Wladimir hatte einen Cut zwischen den Augen, der so schlimm war, dass der Kampf gestoppt wurde. Zum Glück gewann er nach Punkten. Die Klitschkos sind die angenehmsten Fighter, mit denen ich je gearbeitet habe, sehr zurückhaltend und dankbar. Ich habe mit vielen Champions gearbeitet, aber die beiden sind wohl die berühmtesten, mit denen ich es je zu tun hatte. In den USA werde ich vor allem für die Arbeit mit ihnen respektiert.

Sie arbeiten fast jedes Wochenende irgendwo auf der Welt, es gibt ein Buch über Ihr Leben, im kommenden Jahr spielen Sie sich in einer Komödie mit Selma Hayek selbst. Staunen Sie manchmal, wie weit Sie es mit dem Flicken von Wunden gebracht haben?

Duran:

Manchmal? Ich kann es oft kaum fassen, wie viel Glück ich gehabt habe. Ich bin als Sohn mexikanischer Einwanderer in Kalifornien als Farmer aufgewachsen und dachte, dass mein Leben als Farmer enden würde. Dann wurde ich 1974 jedoch zur Air Force eingezogen und nach Thailand versetzt, wo ich das Thaiboxen lernte. Zurück in den USA habe ich eine Kickboxschule eröffnet und darüber den Weg gefunden, mich um die Sportler zu kümmern. Dass ich seit acht Jahren meine Frau und unsere vier Kinder mit dem Cutman-Job ernähren kann, auf der ganzen Welt arbeite und sogar erkannt werde, finde ich einfach spannend.